"MM"-Debatte

Beschleunigen soziale Medien die Spirale des Hasses, Herr Gensing?

Im Internet tobt der Hass: Vor allem auf Facebook haben sich Menschen zusammengeschlossen, die sich rund um die Uhr in ihrer Weltsicht bestätigen und dadurch oft auch radikalisieren. In ihren Filterblasen sind sie kaum noch zu erreichen. Ein Gastbeitrag.

Von 
Patrick Gensing
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Soziale Medien scheinen wie gemacht für Populisten, schreibt Patrick Gensing: "Wer am lautesten und schrillsten schreit, kann eine Dynamik der Aufregung in Gang setzen."

© dpa

Die Sozialen Netzwerke sind nicht schuld an politischem Fehlverhalten, an Rassismus und Menschenverachtung. Sie sind nicht Ursache für Ressentiments, sondern Mittel zum Zweck. Aber sie machen den Hass deutlich sichtbar - und verstärken ihn wohl auch noch. Die Möglichkeiten der Netzwerke spielen den Strategien von Populisten in die Hände, sie wirken als Beschleuniger sowie Verstärker: Facebooks Servicefunktion, mit der es seinen Nutzern potenzielle Freunde, Gruppen und Seiten anzeigt, die den jeweiligen persönlichen Interessen und Meinungen entsprechen, hilft maßgeblich bei dem Einstieg in die rechte Szene.

Hat Facebook beispielsweise durch Klicks auf eine "Bürgerinitiative" gegen ein Flüchtlingsheim oder das Teilen von entsprechenden Inhalten einen Nutzer erst einmal in diesem politischen Milieu verortet, wird automatisiert eine Spirale in Gang gesetzt: Das Netzwerk bietet den jeweiligen Nutzern immer neue Personen und Seiten an, die politisch passen sollen.

Das Soziale Netzwerk schafft so eine individuell zugeschnittene Wohlfühloase. Es werden Inhalte vorgeschlagen, die gefallen - und potenzielle Freunde, die ähnliche Meinungen vertreten. Auf diesem Weg finden sich Gleichgesinnte leicht zusammen; Meinungen, die die eigene infrage stellen, werden ausgeblendet.

In den Filterblasen, die so entstehen, herrscht Konsens: Man bestärkt sich gegenseitig in der gemeinsamen Haltung und Weltsicht. Ein Phänomen, das längst nicht auf die rechte Szene beschränkt, hier aber besonders ausgeprägt ist - weil sich selbst gewählte Isolation und eine Ideologie, die ein glasklares Freund-Feind-Denken umfasst, perfekt ergänzen.

Wer weder die eigene Meinung überprüfen noch die eigene Perspektive reflektieren möchte, sondern ausschließlich nach Bestätigung sucht, wird mit solchen maßgeschneiderten Filterblasen bestens bedient.

Diese neuen Mikroeinheiten der Öffentlichkeit erinnern an Gruppen von politischen Sektierern: Wer dazugehören möchte, sollte nicht widersprechen, sondern die jeweils vorherrschenden Meinungen teilen und wiederholen. Viele Facebook-Gruppen werden zu fanatischen Meinungsfestungen, zu Trutzburgen der Irrationalität ausgebaut.

Solche Prozesse der mentalen Abschottung müssen Folgen haben. Wer sich nur noch mit Gleichgesinnten umgibt, die sich ständig mit bereits vorselektierten Informationsfetzen befeuern, verändert seine gesamte Wahrnehmung.

Fast jeder kennt wohl solche Prozesse in abgeschwächter Form von sich selbst: Wer ein bestimmtes Fachgebiet neu für sich entdeckt, wird dafür sensibilisiert bestimmte Dinge wahrzunehmen, die man zuvor unbewusst als nicht bemerkenswert wegsortiert hat. Wer sich mit Architektur beschäftigt, sieht Gebäude und Städte plötzlich mit ganz anderen Augen; wer sich mit Medienwissenschaft befasst, verändert den Blick auf Nachrichtensendungen oder TV-Formate - und wer viel Zeit in rechtsradikal geprägten Filterblasen verbringt, in denen sich Gleichgesinnte rund um die Uhr mit Inhalten über angeblich schwerkriminelle Ausländer sowie vermeintliche Lügen von Politik und Medien aufstacheln, wird zwar nicht sensibilisiert, aber fokussiert seinen Wahrnehmungsfilter auf alles, was mit diesem Thema zu tun haben könnte.

Plötzlich erscheinen die kleinsten Nebensächlichkeiten existenziell wichtig. Jeder halbwegs passende Informationsfetzen - unabhängig vom Kontext oder Glaubwürdigkeit der Quelle - wird zu einem Baustein, um die eigene Weltsicht zu manifestieren und zu sichern.

Daher wird vielen exzessiven Kommentatoren das ständige Wiederholen von unbelegten Behauptungen offenkundig auch nicht langweilig, weil jeder weitere angebliche Beleg für die eigene Weltsicht das Gefühl von Gewissheit und damit Sicherheit vermehrt. Dabei können solche Menschen ins Irrationale abdriften: Sie glauben gar nichts mehr, was ihnen nicht passt - und halten alles für eine Inszenierung und Lüge. Dinge zu hinterfragen, stellt die Basis des kritischen Denkens da. Aber alles, was man nicht hören will, als Lüge zu diffamieren, hat nichts mit kritischem Denken zu tun.

Ein Beispiel: Daniel H., nach eigenen Angaben "Pegida"- und AfD-Anhänger, ist überzeugt, die Landtagswahlen am 16. März seien manipuliert worden - zu Ungunsten der AfD. Diesen Verdacht begründet er auf Facebook folgendermaßen:

"Die ganze scheisse stinkt gewaltig!!! Wer Bitte wählt die grünen ???? Wer die CDU??? Man kann mir viel erzählen aber das die grünen 30 haben das kann nicht sein nie und nimmer. Eher afd 40% grün 10 CDU würde ich 20% geben aber das was die uns ernsthaft als Ergebnisse nennen. Ist lachhaft."

Dieser Kommentar dokumentiert beispielhaft die vollkommene Unfähigkeit, zwischen subjektiver Perspektive beziehungsweise der Stimmung in der eigenen Filterblase auf der einen und einer komplexen gesellschaftlichen Realität auf der anderen Seite zu unterscheiden. Fehlen Belege für die eigene Weltsicht, müssen Verschwörungslegenden gestrickt werden - so wie hier die Idee, mehrere Landtagswahlen mit Tausenden Beteiligten seien massiv manipuliert worden. Eine sachliche Diskussion mit jemanden zu führen, der auf Basis solcher Kategorien "argumentiert", ist unmöglich.

Anekdotisches Wissen, Bauchgefühl und Irrationalismus verdrängen somit Argumentation, Dialog sowie den konstruktiven Austausch von Informationen, die Basis des demokratischen Diskurses wird ausgehöhlt und zerstört.

Die Radikalisierung lässt sich in den Netzwerken quasi live verfolgen: Verschwörungstheorien, Propaganda gegen Flüchtlinge, beleidigende oder volksverhetzende Kommentare zu aktuellen Presseberichten - es ist ein Nachrichtenstrom des Hasses ohne jede Empathie, ohne Respekt vor Menschenrechten und Menschenwürde.

Die politischen Gegner werden hier entmenschlicht, zu Tieren erklärt ("Merkel das Ferkel") - und zum Abschuss freigegeben. Wenn die Gegner erst einmal als Bestien oder Tiere gebrandmarkt wurden, ist dies die Voraussetzung zur Gewalt. Tausendfach werden zudem Notwehrszenarien entworfen, wonach man doch nur Widerstand, der zur Pflicht geworden sei, ausübe - gegen "muslimische Invasoren" oder "Hochverräter in der Regierung". Hunderte Übergriffe auf Flüchtlinge und politische Gegner zeigen, welch massives Gewaltpotenzial in der nationalistischen Bewegung schlummert - und immer wieder ausbricht.

Der Hass kennt keine Pausen. Nur ein Beispiel von täglich tausenden ähnlichen Kommentaren: In der Facebook-Gruppe "Zentralrat der Deutschen" machten sich Nutzer ungeniert über den Erstickungstod von Flüchtlingen in einem Lkw lustig. Einer schreibt von "Gammelfleisch", andere bedauern, dass nicht noch mehr Personen ums Leben kamen. Deutlich wird die massive Menschenverachtung, die hier nicht nur unwidersprochen bleibt, sondern Standard ist. Der Hass ist normal.

Menschen, die solchen fanatischen Ideologien anhängen, mangelt es zumeist an Empathie, Gelassenheit und Kompromissbereitschaft. Bei jedem Thema wird es umgehend grundsätzlich, immer muss eindeutig zwischen Freund und Feind unterschieden werden. Kompromisse und Minderheitenrechte werden ausgeschlossen, weil jedes Zugeständnis als ein Zeichen von Schwäche gesehen wird.

Daher agitieren Rechtsradikale nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern sie stellen den liberalen Rechtsstaat infrage, weil dieser keine homogenen geschlossenen Kollektive kennt und jedem menschlichen Individuum seine Grundrechte garantieren soll. Der Parlamentarismus wird als schwach und kompliziert verachtet, weil er auf Ausgleich und Kompromiss basiert.

Die AfD profitiert wie keine andere Partei von diesen Mechanismen auf dem neuen Markt der Meinungen. Bei Facebook ist sie mit Abstand die stärkste Partei, was die Zahl der "Likes" angeht. Und die AfD kann auch in den klassischen Medien immer wieder eine mediale Aufmerksamkeitsspirale in Gang setzen. Ihren Protagonisten kommt dabei die Rolle von vermeintlichen Tabubrechern zu, deren Behauptungen entkräftet werden müssten. Die knackigen Parolen sind medial optimal zu transportieren und bieten mehr Empörungspotenzial als ausgewogene Debattenbeiträge.

Einfach und emotional - das sind die besten Voraussetzungen dafür, dass ein Thema in sozialen Medien gut läuft. Das entspricht genau dem Politikkonzept von Populisten, die auf einfache Antworten und Emotionen setzen - vor allem auf Angst. Soziale Medien scheint daher wie gemacht für Populisten: Wer am lautesten und schrillsten schreit, kann eine Dynamik der Aufregung in Gang setzen. So können sich Populisten mit gezielten Provokationen und vermeintlichen Tabubrechern in der modernen Mediengesellschaft optimal inszenieren und Skandalisierung herbeiführen.

Wer versucht, die Populisten mit ihren eigenen Waffen auf diesem Gebiet zu schlagen, wird scheitern. Das effektivste Mittel gegen Ressentiments besteht nicht darin, die Parolen zu imitieren, sondern ihnen zu widersprechen: mit klarer Haltung und Vernunft. Sonst droht der demokratische Diskurs in Deutschland weiter zu erodieren. Der Hass im Netz ist dabei nur der Vorgeschmack auf eine verrohte gesellschaftliche Atmosphäre.

Patrick Gensing

  • Patrick Gensing (Bild) ist Journalist und Blogger und lebt in Hamburg.
  • Er absolvierte 2004 ein Volontariat beim NDR. Danach war er als Autor und Mitarbeiter bei tagesschau.de und Panorama tätig. Sein Panorama-Beitrag "Rassismus im Stadion: Die Welt zu Gast bei Feinden?" war für den Civis - Europas Medienpreis für Integration 2007 nominiert.
  • Gensing ist Referent der Medienakademie von ARD und ZDF zum Thema "Neonazis und Internet".
  • Am 17. Mai erscheint sein viertes Buch mit dem titel "Rechte Hetze im Netz - eine unterschätzte Gefahr" im Rowohlt-Verlag.
  • Zehn Jahre lang betrieb er ehrenamtlich publikative.org - eine Seite, die zunächst als NPD-Watchblog bekannt wurde. Für dieses Projekt wurde er unter anderem mit dem Alternativen Medienpreis sowie mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten ausgezeichnet. (sos)

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