Branich - da war doch was? Selbst Ortsfremde kennen den Namen. Ja, vom Branich-Tunnel, jener 1,8 Kilometer langen unterirdischen Verbindung zwischen Rheinebene und Odenwald. Doch der Branich ist mehr als der Granitmantel für eine Verkehrsader: Der bis zu 455 Meter hohe Berg in Schriesheim ist eines der begehrtesten Wohngebiete der Region. 1921, vor genau 100 Jahren, beginnt seine Besiedlung.
Allerdings wird in dem Berg schon 500 Jahre vor dem Tunnelbau (2012 bis 2016) gebuddelt. Im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert arbeitet hier ein Silberbergwerk. Im 17. und 18. Jahrhundert werden auch Eisenerz, Vitriol, Alaun, Bleiglanz und Kobalt abgebaut, erst Anfang des 19. Jahrhunderts wird die Grube geschlossen. Kurz zuvor soll das Vitriolbergwerk von Russlands Zar Alexander besichtigt worden sein - am Rande eines seiner beiden Besuche in Heidelberg, also 1813 oder 1814.
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Fast jeder Schriesheimer Landwirt besitzt Anfang des 20. Jahrhunderts ein Grundstück auf dem Branich. Doch die Bodenqualität ist schlecht, die Steillage macht die Nutzung zur Qual. Hier ein Grundstück zu besitzen, gilt - kurios angesichts der heutigen Grundstückspreise - eher als Fluch denn als Segen. „Wer Vater und Mutter nicht ehrt / Muss auf den Branich, bis er sterbt“, lautet ein geflügeltes Wort.
Beliebtes Ausflugsziel
Genutzt wird der Berg damals vor allem als Ausflugsziel. „Wie herrlich ist der Ausblick in die Landschaft!“, schwärmt ein zeitgenössischer Bericht: „Weit tastet das Auge ins Tal hinein, genießt den Anblick der Ruine Strahlenburg, die etwas tiefer gegenüber liegt . . . Zu Füßen breitet sich die Rheinebene aus. Im Hintergrund taucht der Dom von Speyer auf. Und hinter diesem anmutigen Bild zeigt sich der Dunstkreis, der über der Industriestadt Mannheim liegt, der man vor Stunden erst enteilte.“ Das erste Bauwerk hier ist denn auch ein von der Gemeinde Schriesheim errichtetes Blockhaus für Ausflügler, ganze vier Quadratmeter groß.
1921 beginnt die Besiedlung des Branich. Der Mannheimer Rechtsanwalt Pfeiffenberger erhält von der Schriesheimer Familie Wolf als Honorar für einen Prozess ein Grundstück auf dem Branich, den heutigen Blütenweg 47. Der Jurist bebaut es mit einem kleinen Häuschen - dem ersten „festen“ auf dem Berg. Ihm folgt der Mannheimer Pädagoge Professor Ries, der als Rast-Punkt für Odenwald-Exkursionen mit seinen Schülern eine Hütte errichtet. Sein Grundstück kauft er 1924 für eine Mark pro Quadratmeter.
Der Professor bleibt nicht lange alleine. 1925 erwirbt der Mannheimer Spenglermeister Georg Günther unterhalb des Geländes von Ries ein Grundstück. Dank seines Berufes ist er in der Lage, für die Wasserversorgung auf dem Branich wahre Pionierarbeit leisten zu können: Im Wald lässt er eine kleine Quelle fassen, verbirgt den Wasserhahn an dem betonierten Wasserbehälter jedoch hinter einer eisernen Tür. Nur gegen Zahlung einer einmaligen Gebühr in Höhe von 20 Mark können die Anwohner diese Quelle nutzen. Sonntagmorgens vor dem Kaffeetrinken heißt es auf dem Branich also: „Wasserholer raustreten!“
Gartenhaus huckepack
Auf spezielle Art zieht Hans Gutleben her. An Palmsonntag 1927 transportiert er auf einem großen Lastwagen sein Gartenhaus von Mannheim nach Schriesheim, was in der gesamten Gegend natürlich für einiges Aufsehen sorgt. Schüler des erwähnten Professors Ries versetzen es übrigens nachts heimlich einige Meter talwärts, weil es in ihren Augen zu nahe an ihrer Unterkunft liegt.
1929 eröffnet Jakob Menges eine Flaschenbier- und Limonadenhandlung für die zahlreichen Sonntags-Ausflügler aus der Region. Der Andrang ist groß, der Raum sehr schnell zu klein. Zwei Jahre später baut er daher das Gasthaus „Schauinsland“, wie es in seinen Grundstrukturen trotz mehrerer Umbauten bis 2014 besteht. Am Abend des Kerwe-Samstags im August 1931 wird die Wirtschaft eröffnet. Attraktion der Einweihungsfeier ist das Anknipsen des elektrischen Lichts.
In den 1930er Jahren wird die Branich-Bebauung politisch forciert. „Die Gemeinde Schriesheim hat in schönster Lage Baugelände für Wohn- und Wochenendhäuser zu billigstem Preis abzugeben“, heißt es in einer Anzeige vom 29. Juni 1935: „Baugelände für Wohnhäuser einschließlich Wald nicht über 1,50 Reichsmark. Baugelände für Wochenendhäuser einschließlich Wald nicht über eine Reichsmark.“ Die Namen und vor allem die Titel derer, deren Ansiedlung für 1936/37 überliefert ist, zeugen von der Sozialstruktur der Neubürger: „Professor Lurz, Direktor Benkert, Direktor Fröber, Kommerzienrat Bayer, Direktor Marwitz, Dr. Pfleiderer“. Ein Zeitungsbericht unter der Schlagzeile „Kolonie Neu-Mannheim auf dem Branig“ (sic!) stellt denn auch heraus, dass es sich bei der Besiedlung „um eine ausgesprochene Mannheimer Angelegenheit handelt.“ Da dem so ist, kommt dem Branich nach den Luftangriffen auf die Quadratestadt eine eminente Bedeutung zu. Bereits nach den ersten Bombenabwürfen auf Mannheim 1940 werden die hiesigen Hütten zu Dauerwohnungen ausgebaut.
Infos und Ausflugstipps
- Der Branich erhebt sich nördlich des Schriesheimer Tals – gegenüber der Strahlenburg, also auf der stadtauswärts linken Seite der Talstraße.
- Seit dem Mittelalter besaß das Gebiet verschiedenste Gewann-Namen: Keliner, Laubelt, Lerchenberg, Vogelsberg, Fensengrund, Gerstenberg, Zins, aber auch als Vorläufer der heutigen Bezeichnung Bräunig, Pranich, Pranig und – bis in die 1930er Jahre hinein – Branig. Der Begriff „Branich“ wurde erst 1947 von der Gemeinde Schriesheim verbindlich festgelegt.
- Der Branich ist etwa 110 Hektar groß und durch starke Höhenunterschiede geprägt, für Unkundige daher also nicht ganz einfach zu befahren. An der Abzweigung aus der Talstraße beträgt seine Höhe 153 Meter, die höchste Erhebung bildet die Hohe Waid mit 455 Metern. Die Mehrzahl der Wohngebäude liegt in einer Höhe von 200 bis 300 Meter.
- Aktuell gibt es 245 Wohngebäude und 908 Einwohner (1978: 635).
- Wichtigste Einrichtung ist das Heinrich-Sigmund-Gymnasium (HSG), das 1948 eröffnet hat. Es ist ein staatlich anerkanntes Privatgymnasium mit 360 Schülern (2021/22). Infos: privatgymnasium-schriesheim.de.
- Attraktion ist das von einem Verein betriebene Besucherbergwerk Anna Elisabeth, das Besichtigungen der Stollen anbietet. Wegen Corona ist es derzeit aber geschlossen. Infos: www.bergwerk-schriesheim.de.
- Das 1931 eröffnete Lokal „Schauinsland“, Generationen von Ausflüglern bekannt, schloss 1999 und wurde 2014 abgerissen. Einkehren ist jenseits der Talstraße im Hotelgasthof „Neues Ludwigstal“ möglich.
Ein Beispiel ist die Familie Wachter. Heinrich Wachter unterhält in der Mannheimer Fressgass ein Käse-Spezialitätengeschäft mit zwei Filialen in G 4 sowie in der Neckarstadt in der Lange-Rötter-Straße. Wohnsitz der Familie ist Q 3. 1934 erwirbt sie auf dem Branich im Blütenweg ein Grundstück, auf dem sie ein Wochenendhaus errichtet. Als die Wachters 1943 ausgebombt werden, lassen sie sich dort nieder. Nach dem Krieg wird Wachter Gründer der hiesigen Interessengemeinschaft.
Ein Gymnasium siedelt sich an
Die bedeutendste, über die Grenzen Schriesheims hinaus bekannteste Ansiedlung bildet jedoch das Institut Sigmund, eine Privatschule, die 1894 von dem Neuphilologen Heinrich Sigmund in der Mannheimer Innenstadt in B 6, 22a gegründet wird.
Am 19. Oktober 1944 werden das Schulgebäude, mittlerweile am Friedrichsring 30, sowie am 6. Januar 1945 auch das Internat in A 1, 9 durch Bombenangriffe zerstört. Karl Metzger, Schwiegersohn des Schulgründers und mittlerweile sein Nachfolger, besitzt jedoch ein Wochenendhaus auf dem Branich. Bereits am 8. Januar 1945 beginnt er hier sowie in der Gaststätte „Schauinsland“ von neuem mit dem Unterricht.
Nach dem Einmarsch der Amerikaner an Karfreitag 1945 ist der Betrieb der Einrichtung zunächst verboten und wird erst nach drei Jahren wieder zugelassen. Mit 70 Schülern, davon 30 im Internat, nimmt „das Sigmund“ 1948 seinen Betrieb auf. Ein jahrzehntelanger Ausbau der eigenen Räumlichkeiten beginnt.
Nur wenige Bewohner verlegen nach Ende des Krieges ihr Domizil zurück in das völlig zerstörte Mannheim. Die Wochenendsiedlung Klein-Mannheim mausert sich zum Schriesheimer Ortsteil. Die Monnemer müssen sich an der Bergstraße einleben, die Schriesemer mit denen auf dem Berg auskommen. Die unterschiedliche Prägung bleibt nicht ohne emotionale Konflikte.
Relativ spät, in den 1960er und 1970er Jahren, widmet sich die Stadt der Verbesserung der Infrastruktur. Manche Branich-Bewohner müssen noch in den 1970er Jahren abends ihre Badewanne volllaufen lassen, um am folgenden Tag Wasser zum Geschirrspülen zu haben.
Dafür herrscht auf dem Branich lange Zeit weitgehende Freiheit bei der Gestaltung der Gebäude. Erst 1968 stellt ein Bebauungsplan rechtliche Regeln auf. Allerdings bleibt die Optik ein ständiger Konfliktpunkt. Manche Neubauten entsprechen zwar dem Bebauungsplan, werden jedoch nach Meinung der Bevölkerung der exponierten Lage des Branich nicht immer gerecht.
Prominentester Branich-Bewohner: der im Februar verstorbene General Karl-Heinz Lather, 2007 bis 2010 Stabschef im NATO-Hauptquartier Brüssel. Er wohnt hier, als er noch in Heidelberg Dienst tut. Zu seiner Sicherheit wird 2005 der Zaun um sein Haus im Schauinslandweg auf 1,80 Meter erhöht - nach Genehmigung durch den Gemeinderat. 2007 zieht er nach Brüssel um. Doch da soll es ja auch ganz schön sein.
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