Mühsam schiebt sich unser Kleinbus inmitten des Morgenverkehrs über die Insel, vorbei an Casinos und an Stripclubs, die verlassen in der Sonne liegen, an Hochhäusern und auch am Tag blinkenden Leuchtreklamen. Nahtlos gehen die Städte ineinander über, vor dem Fenster ziehen Straßenbaustellen vorbei, moderne Kastenbauten mit nüchternen Fassaden und Hebkräne, die dem Osten Maltas noch etwas mehr Wohnfläche abtrotzen wollen.
Mit zunehmender Distanz zu San Giljan, wo unsere Fahrt vor dem Ende der Partymeile begann, reisen wir in der Geschichte immer weiter zurück. Nachdem auch Floriana durchquert ist, eine Gemeinde, die im 18. Jahrhundert angelegt wurde und die sich mit der Hauptstadt eine Landzunge teilt, zwängt sich unser Wagen schon durch eine hübsche Gasse Vallettas. Schnurgerade liegt sie vor uns, bedrängt von den dicken Mauern der umliegenden Gebäude, die mit ihren üppig dekorierten Eingangsportalen und den schmalen Holzbalkonen von einer prächtigen Vergangenheit zeugen. Wie bunte Schmuckschatullen zieren die Erker die Häuserfront.
Frisch gestrichen
Manchmal ist die Lasur spröde geworden und die Farbe verblasst, doch der Anstrich der meisten Balkone sieht so frisch aus, als wäre der Lack noch nicht trocken. Kein Wunder, wurde doch vor allem in den vergangenen fünf, sechs Jahren – seit feststeht, dass Valletta in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt sein wird – viel Mühe auf die Restaurierung der charakteristischen Hausfassaden verwandt.
Sehen, ohne gesehen zu werden: Die architektonischen Vorbilder für diese Logenplätze in luftiger Höhe liegen wohl im Maghreb, wo sie den Frauen als Rückzugsort dienten. Doch es waren nicht die Araber, die im 10. und 11. Jahrhundert auf Malta herrschten, die die Balkone in großem Stil auf die Insel brachten. Erst nachdem die Ritter aus Südeuropa gekommen waren, sei dieser Baustil üblich geworden, meint Anna, die uns durch Valletta führt. Heute sind sie der Stolz der Stadt. „Ganz Valletta steht unter Denkmalschutz, beim Renovieren dürfen die Balkone nicht abgebaut werden.“ Vor manchen von ihnen hängt Wäsche, ein scharfer Wind zerrt an ihr.
An einer Häuserecke hat Apostel Paulus, Schutzpatron der Insel, die nach ihm benannte Gasse im Blick. Als Statue thront er auf einem Podest. Die „Triq San Pawl“, wie die Straße auf Maltesisch heißt, ist gesäumt von Obstgeschäften und Bäckereien, von Bars und Boutique-Hotels. Würde nicht ein Hügel die Sicht versperren, müsste der Heilige nur den Kopf ein wenig drehen, um durch die langgezogene Gasse hindurch das Mittelmeer zu sehen. Der Legende nach erlitt er vor Malta Schiffbruch, bevor er die Inselbewohner zum Christentum bekehrte.
Ohne Kurven und Schnörkel führt die Straße durch die ganze Stadt. Links und rechts gehen Querstraßen ab, und mit ihrem schachbrettartigen Grundriss lässt sich Valletta als mediterrane Seelenverwandte der Mannheimer Innenstadt betrachten – gilt sie doch als erste Stadt Europas, die auf dem Reißbrett entworfen wurde.
Säuberlich geordnet
Zwei Parallelstraßen weiter: Rechterhand liegt der Großmeisterpalast, links geht es zur barocken Ko-Kathedrale San Gwann mit ihrem üppigen Blattgold-Dekor und den weltbekannten Gemälden von Mattia Preti und Caravaggio – schwer zu finden ist der Weg dorthin in den säuberlich angeordneten Straßen Vallettas nicht. Es ist jedoch nicht so sehr die erleichterte Orientierung, die die Ritter des Johanniterordens dazu bewog, bei der Stadtplanung in Geraden zu denken.
Nachdem sie die Insel für nur einen einzigen Falken vom spanischen Königshaus abgekauft hatten, beschlossen die Ritter bald, die Hauptstadt auf die felsige Landzunge zu verlegen. Großmeister La Vallette gab das Konzept der Stadt 1566 in Auftrag. Gut befestigt sollte sie sein und der Würde der Ritter entsprechen. Ihr rasterartiger Aufbau diente nicht nur dazu, die Meeresbrise durch die engen Gassen wehen zu lassen. „Die langen Straßenzüge erlaubten auch, immer ein wachsames Auge aufs Meer zu werfen, woher immer wieder Angriffe drohten“, erklärt Anna.
Das Schöne ist: So wie die Ritter Valletta in der Folgezeit erschufen, mit den prunkvollen Palästen, den Spitälern und den zahllosen Kirchen, sieht die frühbarocke Stadt im Wesentlichen bis heute aus. Zu dem, was später hinzu kam, zählen die roten Telefonzellen und die Statue von Königin Victoria, die an die britischen Kolonialherren erinnern.
Gut befestigt
Und da ist noch das Parlament – das einzige moderne Gebäude Vallettas. Mit einem Gemäuer wie zur Verteidigung und Fenstern wie Schießscharten gleicht auch dieses Bauwerk einem Kastell, wenngleich es erst 2014 fertiggestellt wurde.
Belagert, umkämpft, immer wieder erobert, ständig besetzt – ohne dicke Mauern kam man in Malta, das erst 1964 unabhängig wurde, an keinem Ort aus. Auch nicht in Mdina, jener Stadt, die vor der Ankunft der Ritter politisches Zentrum der Insel war. Im Westen der Insel liegt sie erhaben auf einem Hügel, umgeben von Land, von Äckern, von Kaktusfeigen und roter Erde.
Mdina mit all ihrer Pracht ist sehenswert, doch einen städtischen Alltag sucht man vergebens. Rund 250 Menschen, darunter viele Adelige, sind zwischen alten Palästen, Klöstern und Kirchen zu Hause – und damit nur ein Bruchteil der Besucher, die täglich die verwinkelten Gassen erkunden. Selbst die Mauern der Wohnhäuser türmen sich hier wie Festungen auf. So ziemlich jeden Feind würden sie abhalten – einzig die Wurzeln des Kapernstrauchs, der in dicken Büscheln zwischen manchen Sandsteinquadern hervorragt, fordern sie heraus.
Hoch oben auf dem Stadttor begegnet uns Paulus wieder, in Stein gemeißelt erscheint er auf einem Relief. Wenn es um schöne Ausblicke geht, beweist er Gespür. Auch in Mdina gibt es genug zu sehen.
Tipps und Adressen
Kulturhauptstadt: Nach der Eröffnungswoche vom 15. bis 21. Januar finden in Valletta das ganze Jahr über zahlreiche Veranstaltungen statt, darunter Film-, Theater- und Konzertdarbietungen, Fotoausstellungen, Modenschauen und Feuerwerk.
Programm: das vollständige Programm im Internet unter www.valletta2018.org
Anreise: Flüge nach Malta mit verschiedenen Fluglinien. Mit Air Malta ab Frankfurt. Hin- und Rückflug ab 120 Euro pro Person.
Inselerkundung: Der Reiseveranstalter FTI bietet geführte Tages- und Halbtagestouren an, etwa zur Geschichte der Ritter in Valletta oder zu Film-Drehorten. www.fti.de
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