Protest

Warum Mannheims queere Jugend einen „Schutzraum“ fordert

Von 
Markus Mertens
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Für noch nicht geoutete queere junge Menschen wurde während des Lockdowns das eigene Zuhauses mitunter zum erdrückenden Angstraum. Mit einem bunten Flashmob vor dem Rosengarten fordern sie einen Jugendtreff. © Markus Mertens

Mannheim. Die Transparente, die den Stadträten Mannheims inmitten strahlender Regenbogen-Flaggen entgegengehalten werden, kennen keine Doppeldeutigkeit: „Queerer Jugendtreff jetzt!“ Es ist eine Forderung, die im Zeichen der Vielfalt von Organisationen für sexuelle Gleichheit ebenso erhoben wird, wie von Jugendlichen aus der Community selbst. Dass sie am Donnerstag nun erneut mit lauter Stimme sprechen müssen, hätten sie gerne vermieden – an Entschlossenheit mangelt es dem strahlenden Protest jedoch keineswegs. Denn die Pläne für einen queeren Jugendtreff in Mannheim gibt es nicht erst seit gestern. Es war das Jahr 2018, in dem sich etliche Organisationen gemeinsam mit dem Stadtjugendring zusammentaten, die Pläne für eine Entschließungsgrundlage erarbeiteten, das Vorhaben im Jugendhilfeausschuss thematisierten und nach eingehenden Beratungen grundsätzlich auch die Stadtverwaltung auf ihrer Seite hatten.

„Das Projekt war eigentlich schon im städtischen Haushalt eingeplant – dann kam Corona“, wie sich Johanna Ilgner von der Psychologischen Lesben- und Schwulenberatung PLUS aus Mannheim erinnert. Dass der Mannheimer Corona-Haushalt vielen neuen Projekten wie dem des Jugendtreffs zumindest vorerst den Riegel vorschob, hatte dabei gerade für queere Jugendliche teilweise ganz enorme Auswirkungen. Denn auch, wenn die Familie in Zeiten von Lockdowns und Kontaktbeschränkungen für viele Bürger ein angenehmer Rückzugsraum war: Für noch nicht geoutete queere junge Menschen wurde der Mikrokosmos des eigenen Zuhauses bisweilen auch zum erdrückenden Angstraum. Denn während sich homo-, inter- und transsexuelle Menschen in Vor-Corona-Zeiten zumindest in ihrer Freizeit mit Gleichgesinnten verabreden konnten, herrschte nun fast schon der Zwang, sich mit Eltern und Geschwistern zu umgeben, die keineswegs immer verständnisvoll auf queere Themen reagierten. Ein belastender Balanceakt.

„Befreiungsschlag zu mehr Selbstbewusstsein und Stolz“

Auch Florian Wiegand, der bei PLUS die Jugendarbeit verantwortet, stellt fest, dass es bei Programmen wie „Power Up“, die an Schulen für sexuelle Selbstbestimmung sensibilisieren sollen, durchaus zwiespältige Reaktionen gibt. „Einerseits spüren wir, dass der Bedarf an Beratung steigt, andererseits müssen wir auch immer wieder Veranstaltungen absagen, weil sich Eltern empören“, wie Wiegand im Gespräch erklärt.

Für queere Engagierte wie David und Coley sind genau das die Stolpersteine, die es auf gleich doppelte Art und Weise zu beseitigen gilt. Auf der einen Seite, indem die Toleranz für wüste Schimpfworte wie „Schwuchtel“ einem aufmerksamen Einschreiten weicht. Auf der anderen Seite, indem ein „Schutzraum“ wie der Jugendtreff eingerichtet wird, der gerade dann auch als Ort der Hilfe dienen kann, wenn Beleidigung, Ausgrenzung oder sogar körperliche Angriffe für Schaden gesorgt haben. Für den schwulen 32-jährigen David und den 16-jährigen transsexuellen Coley, die sich bei Queer Future BW auch landesweit für die Belange ihrer Gemeinschaft einsetzen, wäre der Jugendtreff ein „Befreiungsschlag zu mehr Selbstbewusstsein und Stolz“, für die Verantwortlichen der Selbstorganisationen jedoch auch ein wichtiger weiterer Meilenstein.

Bereitschaft, für sexuelle Offenheit einzutreten, besteht in Mannheim

Denn – und auch das stellen die Verantwortlichen vom Queeren Zentrum Mannheim (QZM) und PLUS klar – in der Quadratestadt gibt es ohne Zweifel schon geraume Zeit die Bereitschaft, für sexuelle Offenheit einzutreten. Der Regenbogenempfang gehört seit Jahren fest in den Kalender von Oberbürgermeister Peter Kurz, mit Sub_Dance gastierte vor drei Monaten das erste queere Kulturfestival in der Stadt und erst im Juli erklärte die Stadtverwaltung Mannheim zum „Freiheitsraum für LGBTIQ-Personen“. Trotz allem – oder gerade deswegen – wollen die führenden Kräfte, die zivilgesellschaftliches Engagement zwischen Beratung und Aufklärungsarbeit möglich machen, nun von der Stadt auch weitere Taten sehen.

In den Räumlichkeiten des QZM, so ergibt es sich aus dem Aufruf, stünden Räumlichkeiten für die Einrichtung des Jugendtreffs bereit. 154 000 Euro würden Miete und Personalstellen pro Jahr kosten. Ein Betrag, der Vielfalt, Offenheit und Toleranz fördern und auch ermöglichen soll. Und dementsprechend laut und farbenfroh kommt der Flashmob vor den Toren des Mannheimer Rosengartens auch daher. Ob den bisweilen leicht verwunderten Blicken einiger Stadträte auch weitere Reflexionen folgen werden, bleibt wohl vorerst abzuwarten. Allein: Dass die hier benötigte Summe bei entsprechender Zusage für weit verbreitete Euphorie unter den queeren Menschen in Mannheim sorgen würde: Dafür ist die Freude, mit der lang gehegte Wunsch am diesem Tag vorgetragen wird, ein unübersehbares Beispiel.

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