Wen interessiert das eigentlich? Wer will wissen, ob Lisa Müller aus Kleinklickersbach gerade große Wäsche macht und ihre neue weiße Bluse eingelaufen ist? Oder ob Kevin Kleinhans in Oberdorschel seinen freien Tag damit verbringt, den Keller auszuräumen und er sich bei dem Unterfangen den Zeigefinger eingeklemmt hat? Niemand! Und doch vergeuden Radiosender landauf, landab viel Zeit mit diesem blöden Alltagskram. Sie ermuntern ihre Zuhörer, sich zu melden und der Öffentlichkeit mitzuteilen, womit sie beschäftigt sind. Das Schlimme ist: Der Appell kommt an, er wird massenhaft befolgt. Ob Frühjahrsputz, Sommerurlaub oder herbstliches Pilze sammeln: Joschi, Anna, Paula, Linus & Co. geben bereitwillig und detailfreudig Auskunft. Sie melden sich von unterwegs aus dem Auto und verraten freimütig, wo sie hinfahren und wie lange sie dort bleiben werden.
Wie viele Stunden professionelle Wohnungseinbrecher täglich am Radio kleben, um ihr berufliches Interesse zu stillen, ist nicht bekannt. Aber eigentlich reicht ja ein Instagram-Account, der kostet auch keine Gebühren. Während früher Urlaubsfotos nach der Reise im Bekanntenkreis herumgereicht wurden, ist es heute üblich, unverzüglich Bilder vom Strand oder aus dem Restaurant zu posten, damit alle der Tafelfreuden teilhaftig werden können. Oder sie dürfen sich am neuen Bade-Outfit der Herrin des Hauses erfreuen. Spanne(r)nd – aber niemand kümmert’s.
Der Verlust des Privaten hat längst stattgefunden. Meinen Bekannten möchte ich aber kundtun: Von mir wird es keine Bilder in der Badehose geben. Auf eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses kann ich getrost verzichten. Georg Spindler
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Zeitzeichen Wen juckt’s?
Auf Instagram oder im Radio: Überall wird zutiefst Privates preisgegeben. Nur: Wen interessiert das?