Zeitzeichen Die Grenzen des Geschmacks

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Nicht aber über Qualität.

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Kommentar von
Georg Spindler
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In all den Jahren, die ich als Kulturjournalist tätig bin, musste ich oft meinen persönlichen Geschmack hintenanstellen, um ein Konzert adäquat zu rezensieren. Die Musik von Elton John oder Queen etwa spricht mich nicht an. Aber sie ist großartig. Denn es gibt objektive Kriterien, um den Wert eines Kunstwerks zu beurteilen: Originalität, Ausdruckskraft, Einfallsreichtum.

Was den Geschmack betrifft, dazu hat Walter Neusch, der 2012 verstorbene Mannheimer Pressefotograf, der lange für den „Mannheimer Morgen“ tätig war und gerne privat philosophierte, ein treffsicheres Statement abgegeben: „Die Grenzen deines Geschmacks sind die Grenzen deiner Erlebnisfähigkeit.“ Das stimmt! Wer sich von gegenständlicher Malerei nicht lösen kann, kann abstrakte Werke nicht verstehen. Das hat überhaupt nichts mit Intelligenz zu tun, sondern mit Wahrnehmungssensibilität. Musikfans, denen ein paar hingedroschene Akkorde für Hörvergnügen reichen, werden ihren AC/DC-Kosmos nie verlassen wollen. Wem einer sturer Viervertel-Beat höchsten Spaß verschafft, dem sind vielschichtige Rhythmen ein Graus.

Man darf, gerade als Journalist, all den Genügsamen keine Vorwürfe machen. Und man sollte nicht versuchen, Helene-Fischer-Fans für Karlheinz Stockhausen begeistern zu wollen. Menschen sind unterschiedlich. Und das ist gut so. Wäre ja nicht auszudenken, wenn alle Miles Davis, Olivier Messiaen oder Radiohead mögen würden. Da gäbe es nur noch langweilige Gespräche in öder Übereinstimmung. Und jemand wie ich hätte seinen Sonderstatus verloren. Üble Vorstellung.

Redaktion