Punk-Rock - Sänger Sammy Amara über die steile Erfolgskurve der Broilers, das Vorbild Tote Hosen und rechte Tendenzen

"Wir flippen nicht mehr aus"

Von 
Steffen Rüth
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Herr Amara, nachträglich noch Glückwunsch zur Nummer 1.

Sammy Amara: Danke. Aber ist es nicht erschreckend, dass die Charts mittlerweile wichtig sind für eine Band mit Punkrockwurzeln? Naja, okay, aber wir haben uns trotzdem gefreut.

Ist mit der Platzierung ein Traum für Sie wahr geworden?

Amara: Ach, wir hatten und haben immer eine große geheime Wunschliste im Kopf. Darin steht, was wir alles erreichen möchten. Ich kann natürlich jetzt nicht verraten, ob ein Platz 1 einer unserer Wünsche war. Wenn du eine Sternschnuppe siehst, wünschst du dir ja auch etwas im Stillen und redest nicht darüber.

Gehen wir also einfach mal davon aus, dass Sie sich nicht darüber beklagen, die deutschen Albumcharts anzuführen . . .

Amara: Na gut, gehen wir davon aus. Noch wichtiger ist aber, dass wir uns treu und integer geblieben sind. Man muss sich nicht automatisch verkaufen, wenn man in großen Hallen spielt. Erfolg ist super, solange man sich als Mensch nicht zum Schlechten verändert. Nach oben ist alles offen, wenn du langsam wächst und mit kleinen Schritten vorangehst. Man darf einfach nicht zum Arschloch werden, und zum Glück hatten und haben wir Freunde, die uns sehr erden. Ich glaube auch, wir haben die wacklige Zeit, in der man hätte abheben können, längst überstanden. In unserem Alter flippt man so schnell nicht mehr aus.

Sie haben denselben Manager, dieselbe Plattenfirma und mit Vincent Sorg auch denselben Produzenten wie die Toten Hosen. Wie wichtig sind Campino und Kollegen für Ihre Karriere?

Amara: Sehr, sehr wichtig. Die Hosen waren der Auslöser dafür, dass wir überhaupt mit Punk in Berührung gekommen sind. 1991 haben sie ein englischsprachiges Cover-Album herausgebracht, ich war zwölf und fand das einfach genial. Die Toten Hosen werden immer einen unfassbar hohen Stellenwert für uns haben. Sie haben uns das Leben als Band geebnet.

Ruft man dann bei Campino an als aufstrebende Band und sagt: "Wir sind auch aus Düsseldorf, wir müssen uns kennenlernen"?

Amara: Nein. Der Kontakt kam zustande, als ich noch in meinem ursprünglichen Beruf als Grafikdesigner gearbeitet habe. Ich habe mal ein T-Shirt für die Hosen entworfen, mal ein Poster, und so kam eins zum anderen.

Sie waren auch als Vorgruppe mit den Toten Hosen auf Tournee, unter anderem in Argentinien. Ihr neues Album heißt "Noir", das davor "Santa Muerte". Bereiten Sie sich auf eine internationale Karriere vor?

Amara: Nein, als deutschsprachige Band wäre das Quatsch. Das schaffen nur Rammstein, weil sie so deutsch sind, wie man nur deutsch sein kann. Selbst die Hosen funktionieren ja nur in Argentinien wirklich gut. Uns reicht der deutschsprachige Raum. Auch, weil die Texte bei uns wichtig sind.

Der Song "Ich will hier nicht sein" beschreibt das Elend eines afrikanischen Flüchtlings aus dessen eigener Perspektive. Was haben Sie sich dabei gedacht?

Amara: Uns erschüttert diese wiederkehrende Fremdenangst in unserem Land. Das macht uns sogar Angst. Wir sagen: "Leute, entspannt euch, öffnet die Arme für die Menschen, die Hilfe suchen." Ich habe mich beim Texten in die Perspektive der Leute versetzt, die in diesen Auffanglagern vor sich hin leben. Die finden das nicht geil, das ist nicht deren Lebenstraum. Die sind auch nicht aus Spaß in einem alten Kahn übers Meer gesegelt. Sondern die machen das, weil sie überleben wollen. Sie wären bestimmt auch lieber in ihrer Heimat geblieben, nur hätte man sie dort vielleicht umgebracht.

Als Band, die aus der sogenannten "Oi!"-Punkszene kommt, werden die Broilers ab und zu selbst in die rechte Ecke gestellt . . .

Amara: Ja, fürchterlich. Wir haben rein gar nichts mit diesen Menschen zu tun. Mein Vater ist Iraker, er ist Arzt und in den 60er Jahren nach Deutschland gekommen. Dieses kranke rechtskonservative Denken, das seit geraumer Zeit wieder aufkommt, ruft in mir große Übelkeit hervor. Wir sind keine Band, die mit dem erhobenen Zeigefinger herumläuft, aber wir würden es auch von einer Band aus der Punk-Ecke erwarten, dass sie sich klar positioniert. Um das noch einmal deutlich zu sagen: Wir kommen von Links, und da fühlen wir uns auch wohl.

Es kommt vor, dass die Broilers mit der umstrittenen Rechtsrockband Frei.Wild verglichen werden. Finden Sie das ärgerlich?

Amara: Natürlich! Und falsch. Wir haben für Frei.Wild nichts übrig, deren Haltung von wegen "Jetzt sind wir wieder wer" oder "Jetzt beschützen wir unsere Tradition und Werte", das ist doch ekelhaft. Wir müssen insgesamt aufpassen, dass das Land nicht nach Rechts abdriftet.

Wird die Politik nicht immer sozialdemokratischer?

Amara: Richtige Sozialdemokratie ist das doch gar nicht. Was uns Sorgen macht: Die Egal-Einstellung von vielen Jugendlichen bereitet einen Nährboden, auf dem es sehr schnell in eine blöde Richtung schwappen könnte. Die Jugend braucht mehr politisches Bewusstsein. Viele der heute 20-Jährigen wissen gar nichts mehr von den fremdenfeindlichen Anschlägen in den 90ern in Solingen, Mölln oder Rostock. Die sollen sich dringend darüber informieren, was passieren kann, wenn man es mit dem Patriotismus zu ernst nimmt.

Ist "Ich brenn'" Ihr Anti-Burn-Out-Song? Kennen Sie das Thema persönlich?

Amara: Irgendwie schon. Ich hasse das Wort, nur gerät man schnell in so eine Spirale, in der man merkt, dass man aus dem letzten Loch pfeift. Gefährlich wird es, wenn das, was du geliebt hast, plötzlich keinen Spaß mehr macht. So weit ist es bei uns zum Glück noch nicht gekommen.

Sie gelten als recht feierfreudig. Werden Sie ruhiger mit dem Alter?

Amara: Auch mit Ring am Finger und Kinderwagen kannst du noch Punk sein. Wir sind in so einem Zwischenalter, mit Mitte 30 bist du oft hin- und hergerissen zwischen Abenden auf der Couch und der Angst, da draußen was zu verpassen. Diese Angst wird aber immer kleiner.

Trifft sich die Band auch noch privat?

Amara: Auf jeden Fall. Unser Schlagzeuger Andi Brügge zum Beispiel ist einer meiner ältesten Freunde. Wir waren zwölf Jahre alt und sind in dieselbe Klasse gegangen, als wir unsere erste Band gründeten. Wir hatten den Stimmbruch noch vor uns, aber glaubten schon, wir wären die Allerhärtesten. Ich bin rumgelaufen wie Sid Vicious von den Sex Pistols.

Wie wichtig war der Alkohol?

Amara: Mit zwölf Jahren war Saufen noch kein Thema, mit 14 schon. Am Anfang haben wir unsere Trinkfestigkeit mit Sangria getestet und sind natürlich nicht weit gekommen. Als Jugendlicher probierst du eben solche Sachen aus, das hatte nicht viel mit Punkrock zu tun.

Erst seit dem 2007 erschienenen Album "Vanitas" können Sie von den Broilers leben. Haben Sie je daran gedacht, dass das mit der Band nichts mehr wird?

Amara: Es war uns nicht so wichtig, ob wir nun mit den Broilers Kohle machen oder nicht. Wichtig war die Leidenschaft. Am wichtigsten sind uns immer die Liveshows gewesen. Die Konzerte müssen geil sein, sonst hat es keinen Sinn. Und es stand für uns fest, dass wir so viel wie möglich selbst machen. Die alte "Do It Yourself"-Haltung ist unser Credo. Doch dass wir Ende des Jahres 2013 zweimal hintereinander im ISS Dome in Düsseldorf vor je 11 000 Leuten spielen - das hätten wir nie für möglich gehalten.

Ihre Musik erinnert mehr an amerikanischen 80er-Jahre-Rock oder - wenn man das mit jüngeren Bands vergleicht -an eine Mischung aus Toten Hosen, Revolverheld und Gaslight Anthem.

Amara: Als wir "Die Hoffnung stirbt nie" schrieben, haben wir in der Tat an "Summer Of 69" von Bryan Adams gedacht. Die 80er waren ein Super-Jahrzehnt für Pop und Rock. Wir alle in der Band können uns auf Bruce Springsteen oder auf Billie Joel einigen. Von den klassischen Songwritern haben wir uns viel abgeguckt.

Sie machen gar keinen Punk mehr, oder?

Amara: Die Diskussion ist fruchtlos. Das müssen sich die Hosen auch seit über 20 Jahren anhören. Der musikalische Kosmos wird eben immer größer. Früher haben wir nur Ska und Punk gehört, jetzt entdeckt man auch andere Sachen. Ich mag zum Beispiel sehr gern Soul. Warum sollen wir uns selbst beschränken?

Info

Zur Person: Sammy Amara, geboren 1979 in Düsseldorf, wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt auf. Sein Vater, ein Arzt. kam Ende der 60er Jahre aus dem Irak nach Deutschland. 2013 erwarb er das Diplom als Kommunikationsdesigner - unter anderem hatte er noch als Student T-Shirtmotive für die Toten Hosen entworfen.

Zur Band: 1992 gründete der Sänger und Songwriter mit Schlagzeuger Andreas Brügge eine Schülerband, die 1994 in die Broilers umbenannt wurde. Broiler ist ein in Ostdeutschland üblicher Begriff für Brathähnchen, den Düsseldorfern kam es aber auf das "oi" in der Mitte an - sie waren Anhänger des antirassistischen Oi-Punk. Mit ihrer vierten Platte "Vanitas" orientierten sie sich musikalisch Richtung Rockabilly und wurden populärer - auch dank zahlreicher Auftritte mit den Toten Hosen (DTH). Deren Produzent Vincent Sorg prägte den Sound der Alben "Santa Muerte" (2011) und "Noir" (2014), die es auf Platz 3 beziehungsweise Rang 1 der Albumcharts schafften.

Zum Konzert: Die Broilers spielen am Samstag, 7. Juni, 20 Uhr, auf dem Hessentag in Bensheim (Festzelt Berliner Ring). Karten unter 0621/10 10 11 (35,35 Euro). jpk

Programm Hessentag

Wenn Bensheim vom 6. bis 15. Juni Gastgeber des Hessentages ist, tragen auch eine Vielzahl von Pop- und Rock-Stars zur Unterhaltung der Gäste bei. Karten gibt es zum Beispiel unter 0621/10 10 11. Hier eine Auswahl der wichtigsten Konzerte:

Freitag, 6. Juni

Seeed / Sizarr u.a. (YOU FM Night), 19 Uhr, Hessentagsarena, 46,20 Euro.

"Hessentags-Party-Nacht" u.a. mit Jürgen Drews, Mickie Krause, Loona, VoXXclub und Rico Bravo, 19 Uhr, Festzelt, 24,75 Euro.

Samstag, 7. Juni

Schönherz & Fleer - Rilke-Projekt, 20 Uhr, Hessenpalace/Weststadthalle, ab 37,40 Euro.

"OpernAir" mit Gunther Emmerlich und Bensheimer Sängern, 20 Uhr, Stadtpark, 19,80 Euro.

Frida Gold, The Disco Boys u.a. bei Just White, 20 Uhr, Hessentags-Arena, 15,40 Euro.

Broilers, 20 Uhr, Festzelt, 33 Euro.

Sonntag, 8. Juni

Santiano, 20 Uhr, Festzelt, ab 35,30 Euro.

BAP, Hessenpalace, 20 Uhr, ausverkauft.

Stefan Gwildis, 20 Uhr, Sternendom, 31,35 Euro.

Thees Uhlmann, 20 Uhr, Stadtpark, 24,20 Uhr.

Montag, 9. Juni

Xavier Naidoo, 20 Uhr, Hessentags-Arena, 46,20 Euro.

Dienstag, 10. Juni

Tim Bendzko & hr Bigband, Festzelt, 38,50 Euro.

Mittwoch, 11. Juni

Joy Fleming, Fools Garden, Clemens Bittlinger, 20 Uhr, Sternendom, 25,30 Euro.

Adel Tawil, 20 Uhr, Festzelt, 38,50 Euro.

Donnerstag, 12. Juni

Runrig, Sharon Corr u.a., 18.30 Uhr, Festzelt, 40,70 Euro.

hr1-Open Air mit Bryan Adams, Billy Idol u.a., 17 Uhr, Hessentags-Arena, 66 Euro.

Freitag, 13. Juni

Annett Louisan, 20 Uhr, Sternendom, ausverkauft.

Samstag, 14. Juni

Frankfurt City Bluesband u.a., 20 Uhr, Sternendom, 22 Euro.

Glasperlenspiel u.a., 20 Uhr, Stadtpark, 27,50 Euro.

Sonntag, 15. Juni

Sunrise Avenue, 19 Uhr, Hessentags-Arena, 51 Euro. jpk

Komplettes Programm und Vorverkauf unter www.hessentag2014.de

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