Mannheim. Ihre letzten Auftritte am Goetheplatz waren fulminant. Zuerst schrieb Yona Kim das Libretto zu Adriana Hölszkys Oper „Böse Geister“ und erhielt damit auch den Titel „Uraufführung des Jahres. Danach inszenierte sie Robert Schumanns Seltenheit „Genoveva“ und überzeugte auf ganzer Linie. Nun aber widmet sie sich einem weiteren Außenseiterwerk: Verdis „Ernani“. Darüber sprechen wir mit ihr.
Frau Kim, Sie kommen weit herum und kennen viele Opernhäuser. Giuseppe Verdis „Ernani“ ist die zweite Oper, die Sie auf die Mannheimer Bühne bringen. Was ist das Besondere am Nationaltheater?
Yona Kim: Es gibt hier ein besonderes Arbeitsklima, und dieses Klima wird geprägt durch den Ensemblegeist, der hier hoch gehalten wird und der auch in den szenischen Proben jederzeit spürbar ist. Es herrscht eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens, weil man sich kennt und schätzt. Sängerisch ist „Ernani“ ausgesprochen anspruchsvoll, die vier Hauptrollen dieser Oper können trotzdem alle aus dem Ensemble heraus besetzt werden – das muss man erst mal hinkriegen. Für mich ist das Nationaltheater eines der besten Ensembletheater überhaupt.
Warum ist „Ernani“ für Sie so attraktiv?
Kim: „Ernani“ ist deshalb so besonders, weil Verdi hier schon die Spuren gelegt hat für seine späteren Protagonisten, für „Rigoletto“, für „Simone Boccanegra“, für „Otello“. „Ernani“ ist der Vorläufer all dieser Figuren, die von der Gesellschaft ausgestoßen werden. Das gilt für Ernani auch, der mit dem Fluch lebt, seinen Vater rächen zu müssen, der vom Vater des spanischen Königs Don Carlo hingerichtet wurde.
Verdi-Opern werden oft politisch inszeniert. Diese auch?
Kim: Verdi darf man nicht auf ein einziges Thema reduzieren, das wäre ein zu weiches Bett für diesen unglaublichen Komponisten. Mich interessiert das theatralisch hochwirksame Fieber, das aus der gegenseitigen Durchdringung von Musik und Text entsteht. Ich kann das Stück nicht in einem Parlament oder in einem Rathaus ansiedeln, um das Politische des Stückes hervorzuheben. Das Stück ist gleichwohl hochpolitisch, aber als Politik-Philosophie, nicht als Tagespolitik.
Es gibt wie in allen Verdi-Opern auch hier eine Reihe ohrwurmartiger Hits. Machen diese Hits die Regiearbeit schwerer?
Kim: Eindeutig: ja. Ich habe schon ein wenig Angst, dass der Applaus nach einem solchen Hit nicht der Szene oder der Geschichte gilt, sondern der Virtuosität des Sängers, dem ich den Applaus natürlich von Herzen gönne. Aber schöner wäre es schon, wenn es Beifall für das Gesamtkunstwerk Oper wäre, für die Musik, für die Idee, für die Szene, natürlich auch für die Sänger.
Normalerweise ist das in einer Oper doch so: Tenor liebt Sopran, ein schurkischer Bariton, der auch den Sopran liebt, funkt dazwischen – also einer Dreier-Konstellation. Hier ist das ganz anders.
Kim: Hier ist es ein Viereck und das ist sehr ungewöhnlich. Der Tenor Ernani liebt die Sopranistin Elvira; der spanische König Don Carlo ist der störende Bariton, der Elvira gleichfalls liebt. Aber dazu kommt jetzt noch Silva, ein Bass, der gleichzeitig der Onkel und der Verlobte Elviras ist. Die drei anderen sind jung, Silva aber ist alt, er ist für alle drei eine Art universelle Vater-Figur. Das ist alles sehr untypisch.
Die Oper hat eine eigenartige Aufführungsgeschichte: Im 19. Jahrhundert war sie überaus populär, dann wurde sie jahrzehntelang fast gar nicht aufgeführt, in letzter Zeit gibt es wieder einige Aufführungen. Haben Sie für dieses Auf und Ab eine Erklärung?
Kim: Eine Erklärung könnte sein, dass „Ernani“ im 19. Jahrhundert oft ohne den vierten Akt gespielt wurde. Am Ende des dritten Aktes haben wir für alle Beteiligten eine sehr erfreuliche Situation: Don Carlo verzichtet auf Elvira, die deshalb mit Ernani die Hochzeit planen kann, Silva wird trotz Hochverrats vom König begnadigt, alle sind glücklich. Ein guter Zeitpunkt, die Oper enden zu lassen. Doch jetzt kommt der vierte Akt, der zwar mit dem Liebesglück von Ernani und Elvira beginnt, das aber schon nach kürzester Zeit unterbrochen wird: Silva taucht auf und fordert Ernanis Tod. „Ernani“ ist eine Oper mit Kanten und Schärfen.
Kim und Verdis „Ernani“
Yona Kim: Die gebürtige Südkoreanerin promovierte in Wien mit einer Arbeit über Ingeborg Bachmann und war danach als Autorin und Librettistin, später auch als Opernregisseurin tätig. 2017 zeigte sie in Mannheim Robert Schumanns „Genoveva“.
Termine: Samstag, 24.2., 19 Uhr (Premiere), danach am 4./9./29.3., 6./11.4., 16./19.6. sowie am 1.7.
Info/Karten: 0621/1680 150.
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