Interview

"Ich habe keine Lust, mir von der Angst unser Leben diktieren zu lassen"

Rock: Interview mit Kraftklub-Sänger Felix Brummer über "Rock am Ring" und das Album "Keine Nacht für Niemand"

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Felix Brummer (Zweiter von links) am zweiten Tag von "Rock am Ring 2017".

© Glasdome

Sie qualmen wie die Kesselflicker. Die ganze Baumhausbar in Berlin-Kreuzberg ist eingeräuchert, nach ein paar Minuten stinken die Klamotten schlimmer als früher nach einer Kneipennacht. Die Chemnitzer Band hat sich hier versammelt, weil sie das dritte Album "Keine Nacht für Niemand" veröffentlicht und darüber sprechen möchte. Und das überrascht. Kraftklub-Musik bollert und scheppert nicht mehr nur, es bleibt nun auch viel Platz für spannende Zwischentöne und sogar Balladen. Und obwohl alle fünf da sind, redet eigentlich nur Sänger Felix Brummer (27). Die anderen? Rauchen. Da das Interview vor dem Kraftklub-Auftritt am zweiten Tag des von einer Terrorwarnung unterbrochenen Festivals Rock am Ring geführt wurde, hat der Frontmann kurzfristig noch vier weitere Fragen beantwortet.

Herr Brummer, sind Sie und Kraftklub nach der Terrorwarnung bei "Rock am Ring" beklommen an Ihren Auftritt am zweiten Festivaltag auf dem Nürburging herangegangen?

Felix Brummer: Nein, ehrlich gesagt nicht. Das heißt nicht, dass wir uns keine Gedanken machen würden. Wir wollen auch nicht erschossen oder in die Luft gesprengt werden. Aber ich habe keine Lust, mir von der Angst davor unser Leben diktieren zu lassen. Wenn man anfängt, darüber nachzudenken, was alles passieren k ö n n t e, dann kann man sich gleich zu Hause einschließen.

Wie fanden Sie die Reaktion der Zuschauer auf die Unterbrechung und die Evakuierung - Stichwort: "Eins kann uns keiner nehmen und das ist die pure Lust am Leben?"

Brummer: Wie gesagt, die Leute lassen sich halt auch nicht von der Angst treiben. Weder von Terroristen noch von irgendwelchen rechten Idioten, die dann auch gleich wieder hervorgekrochen kommen.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als die Nachricht von der "terroristischen Gefährdungslage" kam?

Brummer: Uns taten vor allem die Bands leid, die nicht spielen konnten, und die Fans, die dann nicht alles angucken konnten.

Wie gehen Sie damit um, Teil eines Lebensgefühls zu sein, das Terroristen seit dem Anschlag auf das Pariser Bataclan gezielt ins Auge fassen?

Brummer: Das hat nichts damit zu tun, dass wir Musiker sind. Wir alle hier sind unendlich privilegiert aufgewachsen. Keiner leidet Hunger, keiner stirbt an 'ner Lungenentzündung, weil er sich kein Krankenhaus leisten kann. Uns geht es im Großen und Ganzen gut. Früher gab es die Pest, meine Großeltern sind vorm Krieg geflohen. Jetzt gibt es eben die unwahrscheinliche Möglichkeit, dadurch zu sterben, dass sich ein Bekloppter in die Luft sprengt, weil er deine Art zu leben scheiße findet. Das ändert nichts daran, dass wir hier im Vergleich zum Großteil der Welt unglaubliches Glück haben.

Zur Musik, Ihr Albumtitel "Keine Nacht für Niemand" bezieht sich auf "Keine Macht für Niemand" von Rio Reisers Band Ton Steine Scherben. Warum habt ihr diesen Titel gewählt?

Brummer: Wir fanden es spannend, dass diese Zeile komplett ihre Bedeutung verändert, nämlich vom politischen Statement zum Raver-Motto, wenn man nur einen einzigen Buchstaben austauscht. Dadurch, dass unsere ganze Platte überbrodelt vor Anspielungen, Zitaten und Querverweisen, wollten wir dieses Prinzip auch in den Titel übernehmen.

Ist Rio Reiser wichtig für Kraftklub?

Brummer: Ja, wir können uns kaum tief genug vor ihm verneigen. Er war immer ein riesengroßer Inspirationsquell. Er hat es geschafft, ernsthafte, starke Polit- und Protestsongs und gleichzeitig ergreifende Liebeslieder zu schreiben. Diese Mischung fand ich immer schon spannend. Generell mag ich es, wenn Bands sich nicht festlegen auf "Die Ironischen", "Die Lustigen" oder "Die Bösen". Man sollte sich nicht einschnüren lassen.

Das gilt auch für Kraftklub?

Brummer: Total. Bei den ersten beiden Alben sollte alles ballern und Krach machen. Jetzt haben sich neue Nuancen eingeschlichen. Natürlich gibt es noch Lieder, in denen es richtig abgeht, aber wir haben uns von dem Zwang gelöst, dass jede Sekunde in jedem Song immer aufs Livespielen ausgerichtet sein muss. Jetzt gibt es auch ruhige Songs, die schön sind und bei denen klar ist, dass die Leute nicht ausflippen werden.

Warum haben Sie sich stilistisch so geöffnet?

Brummer: Weil es höchste Zeit war. Die typische Kraftklub-Art, einen Song aufzubauen, hatten wir zur Genüge durchexerziert. Die Frage war: Wiederholen wir uns oder befreien wir uns? Von Anfang an waren wir uns einig, dass wir mehr probieren und die selbstauferlegte Beschränkung kippen wollten. Den Kraftklub-Sound wird man natürlich trotzdem immer heraushören.

Nummern wie "Sklave" oder das sehr tanzbare "Liebe zu Dritt" erinnern an den Britpop aus den 90er Jahren. Mit Absicht?

Brummer: Ja, auf jeden Fall. Britpop ist ein Einfluss, aber nicht der einzige. "Sklave" besteht aus vielen weiteren Referenzen, das ganze Album ist gewissermaßen ein Füllhorn der Referenzen und Inspirationen. Da sind viele Wegbereiter dabei, die uns in der Jugend geprägt haben oder auch heute noch Vorbild sind.

Wer genau? "Am Ende" klingt zum Beispiel, als würde Sven Regener mitsingen und enthält den Refrain eines Songs seiner Band Element Of Crime.

Brummer: Das verraten wir nicht. Viele Wegbegleiter kann man gar nicht heraushören, die singen vielleicht irgendwo im Chor mit. Nur für uns fünf ist wichtig, dass so viele Gastmusiker dabei sind, der Hörer wird den Unterschied gar nicht merken. Wir wollten uns nicht mit den Gästen brüsten, sondern haben halt Leute gefragt, die wir cool finden.

"Lass mich dein Sklave sein/ Ich melde mich zum Dienst und lecke deine Stiefel" singst Du in "Sklave". Stellt ihr euch so das Berufsleben vor?

Brummer (lacht): Oder noch schlimmer. Das ist natürlich überspitzt. Aber klar, wir sind jetzt in einem Alter, in dem das private Umfeld nicht mehr nur aus Studenten besteht. Die ersten unserer Freunde haben jetzt richtige Jobs. Auch textlich haben wir uns emanzipiert, und zwar von dieser vermeintlichen Authentizität, die immer über allem schwebt. Also lag der Schritt nahe, aus anderen Sichten zu schreiben, sich in andere Figuren hineinzuversetzen.

Und einen vermeintlichen Pro-Drogen-Song wie "Chemie Chemie Ya" zu schreiben?

Brummer: Die Nummer spiegelt unser extrem ambivalentes Verhältnis zu Drogen wider. Auf der einen Seite leben wir in einer Stadt, in der man unmittelbar mit ansehen kann, was Drogen anrichten. Wir wohnen in Chemnitz direkt an der Grenze zu Tschechien, und somit an einer der Haupteinflugschneisen für Crystal Meth. Schon traurig, was man da zu sehen bekommt. Andererseits sind Drogen auch in gehobenen Kreisen allgegenwärtig. Die Leute achten auf ihre nachhaltig hergestellten Schuhe, aber beim Kokain ist es ihnen scheißegal, wo das herkommt.

Was ist Ihre Droge?

Brummer: Rauchen! Was harte Drogen angeht, sind wir relativ prüde. Das ist nicht unser Ding.

Es gab einen kleinen Aufschrei über "Du verdammte Hure, das ist dein Lied", eine Zeile in der Single "Dein Lied". Können Sie nachvollziehen, dass sich einige davon brüskiert fühlen?

Brummer: Nein. In dem Song geht es um die Figur eines gebrochenen Exfreunds, der das Ende einer Beziehung scheinbar mühelos wegsteckt, dabei kommt er rein gar nicht mit der Trennung zurecht. Das ist politisch nicht korrekt, aber nachfühlbar, jeder kennt doch solche verzweifelten Leute, selbst wenn er behauptet, so ein Wort wie "Hure" würde er persönlich nie benutzen. Im Zusammenhang mit der sehr weichen Musik wirkt das harte Schimpfwort natürlich noch krasser.

Ihnen wurde das Verächtlichmachen über eine sexuell freizügige Frau vorgeworfen.

Brummer: Ich weiß, aber wir sind hier nicht auf einer amerikanischen High School, sondern in der Kunst. Man kann nicht zu jedem Lied einen Beipackzettel dazugeben. Wahrscheinlich wird der Song auch von Arschlöchern gemocht, die sich denken "Endlich sagt es mal einer". Aber Reibung ist okay. Wer Musik will, die überhaupt nicht missverständlich ist, der muss andere Musik als unsere hören.

Sie singen im Lied "Leben ruinieren" ja auch über sich, dass Sie sich selbst nicht mit nach Hause nehmen würden.

Brummer: Genau. Der Chauvinistenstammtisch, der unsere Platte kauft, der wird nicht viel Freude an uns haben. Dieser Song erzählt die Geschichte von einem Mann, der sich für viel weniger wert hält als die Frau und mit bewunderndem Blick zu ihr aufschaut.

Wie sehen Sie's persönlich?

Brummer: Sage ich nicht. Die Authentizität hat in der Popmusik nichts verloren, das wusste bereits Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow. Wer totale Ehrlichkeit will, der soll Youtubern zuschauen, die sich eine Webcam ins Zimmer stellen.

Ist "Fenster", indem es vor allem um Fake-News-Verbreiter geht, das am stärksten politische Stück?

Brummer: Es ist zumindest das Stück, dass sich am eindeutigsten in einen politischen Kontext einordnen lässt. Es gibt auch andere Songs, die man als politisch betrachten könnte, Politik ist ja mehr als nur links, rechts, geradeaus. Es geht auf dem Album viel um diese ganzen Fitnessstudio-Typen, diese Selbstoptimierer und Noch-eine-Sprache-Lerner und damit um eine Gesellschaft, die Tag und Nacht dabei ist, eine Traumversion von sich zu erreichen und dem eigenen Ideal nachzujagen. Exzess und Laster werden häufig als schlimm empfunden in diesen Kreisen. Diese Haltung lehnen wir total ab.

Ihre ersten beiden Alben waren auf Platz Eins. Hat man da auch als Indie-Band den Druck, nachlegen zu müssen?

Brummer: Nein, wir sind das Album gelassen angegangen. Bei der zweiten Platte waren wir deutlich unlockerer als bei dieser. Wir haben diesmal lange Urlaub gemacht, und dann haben wir schnell wieder angefangen, Musik zu machen - so wie früher, fünf Kumpels treffen sich im Probenraum.

Wer hat Sie zu der Ballade "Fan von dir" inspiriert?

Brummer: Die Figur des Fans als solchem ist jemand, der mich unglaublich fasziniert. Ich finde es interessant, wie erwachsene Menschen, auch in meinem Umfeld, bis zur Selbstaufgabe Fan von etwas sind, zum Beispiel von einem Fußballclub. Mir ist das ein Rätsel. Dieses Bild habe ich kombiniert mit dem Bild des Verlierers, das sich ja durch unser Schaffen zieht. Es kann noch so beschissen laufen für deinen Verein, du kommst nicht davon los, das ist schön und zugleich todtraurig.

Warum fasziniert Sie das so?

Brummer: Vielleicht weil der Fangedanke der letzte, alle vereinende, konservative Gedanke in unserer Gesellschaft ist. Der Club bleibt der Club, egal, was sonst noch los ist und egal, wie schwer die Zeiten sind.

Ist konservativ sein der größte Schrecken für Sie?

Brummer: Zumindest ist es keine Eigenschaft, die ich mir selbst zuschreiben würde.

Die Farbe des ersten Albums war Weiß, die des zweiten war Schwarz, jetzt ist Rot an der Reihe. Warum?

Brummer: Rot lässt viel Raum für Assoziationen und bildet ein breites emotionales Spektrum ab, von Liebe bis Hass. Aber beim nächsten Album müssen wir uns etwas anderes überlegen. Es sind einfach keine coolen Farben mehr übrig.

Die Band Kraftklub

  • 2009 gründeten Felix Kummer (Künstlername Brummer; Sprechgesang, Texte), sein Bruder Till (Bass), Karl Schumann (Rhythmusgitarre, Gesang), Steffen Tidde (Leadgitarre, Keyboard) und Max Marschk (Drums) in Chemnitz die Band Kraftklub.
  • 2010 erschien die erste EP „Adonis Maximus“, 2011 folgte ein Vertrag bei Universal. Das Debütalbum „Mit K“ erreichte 2012 Platz eins der Charts, wie auch der Nachfolger „In Schwarz“ (2014).

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