Der Mann ist eine Erscheinung. Großgewachsen, stämmig, mit seiner quasi patentierten Kombi aus Schal und Schiebermütze auf dem Kopf und einer einnehmend freundlichen Art füllt Gregory Porter locker sein gesamtes Berliner Hotelzimmer. Der 44-jährige Jazz-Superstar ist in der Stadt, um über sein aktuelles Album "Take Me To The Alley" zu sprechen, das qualitativ nahtlos an den Erfolgsvorgänger "Liquid Spirit" anknüpft. Und trotz einer halb schlaflosen Nacht, die er mit US-Wahlberichterstattung auf CNN verbrachte, ist er putzmunter. Nach den bisherigen Erfahrungen mit seinen Konzerten in der Region seit 2012 wird Porter das auch am Montag, 21. November, 20 Uhr bei seinem Auftritt im Ludwigshafener Feierabendhaus der BASF sein.
Gregory Porter, es kommt heute selten vor, dass ein Jazzmusiker so bekannt wird wie Sie. Zuletzt gelang das vor Jahren einer Norah Jones oder einem Michael Bublé. Warum findet das breite Publikum nun ausgerechnet Sie so toll?
Gregory Porter: Das ist die große Frage, nicht wahr? Warum manche Musiker erfolgreich werden und andere, vielleicht viel talentiertere, immer im Verborgenen bleiben, ist und bleibt ein Rätsel. Ich denke, bei mir liegt es vor allem an der Stimme.
Was meinen Sie konkret?
Porter: Elemente meines Gesangs sind für Jazz typisch, andere Elemente sind für Jazz eher untypisch. Ich bin kein Purist. Die Wurzel des Jazz ist für mich der Gospel, und so scheinen in meinen Songs immer auch Blues, Soul, R&B und ein wenig Pop durch. Ich denke auch, dass Jazz zeitgemäß und relevant sein und bleiben muss, damit die Musik sich behaupten kann.
Wie viel zum Erfolg trägt ihre stattliche Erscheinung, tragen der um den Kopf gewickelte Schal und die Mütze bei?
Porter: Gerade am Anfang war das natürlich ein Hingucker, was mir sicher nicht geschadet hat. Aber mittlerweile dürften sich alle an meinen Anblick gewöhnt haben.
Sie haben, auch wenn Sie reden, eine sehr sanfte, angenehme Bariton-Stimme. Sind Sie gut darin, Menschen zu beruhigen?
Porter: Oh ja, ich habe schon so manche Schlägerei unterbunden (lacht). In der Schule galt ich als Friedensstifter. Witzigerweise habe ich meine Stimme oft im Leben benutzt, um mich selbst zu beruhigen und zu trösten. Zuerst half meine Stimme also mir, dann erst den anderen. Meine Mutter meinte, ich hätte mich als Kind oft selbst in den Schlaf gesungen.
Im neuen Song "Fan The Flames" rufen Sie zum Protest auf. Wie passt das zu Ihrer friedfertigen Haltung?
Porter: Ich glaube an Widerstand, aber ich verabscheue Gewalt. Mein Protest soll friedlich und sanft sein. Ich habe "Fan The Flames" schon nach den Ereignissen in Ferguson geschrieben, als die Polizei einen unschuldigen Schwarzen erschoss, solche Vorfälle gibt es in den USA leider sehr, sehr häufig, wie Sie sicher aus den Nachrichten wissen. Dagegen muss man vorgehen, sich wehren. Ich stimme mit der Wut der Protestierenden überein, Protest ist für mich aber stets positiv besetzt. Es ist wichtig, für eine bessere, gerechtere Gesellschaft zu kämpfen. Aber immer gewaltlos.
Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA dürfte Ihnen Sorgen bereiten.
Porter: Ein wenig. Speziell Donald Trump spielt die Menschen gegeneinander aus. Er betont das Trennende, das Gemeinwesen scheint ihm regelrecht suspekt zu sein. Er gehört zu den Typen von Mensch, die erst reden und dann denken. Ich hoffe, im Privatleben ist Trump nicht die Sorte von Mann, der er im Wahlkampf ist. Aber blöderweise sieht es so aus, als wäre der immer so. Ich denke, die Vereinigten Staaten würden auch einen Präsidenten Donald Trump überleben, noch aber fehlt mir die Phantasie, mir ernsthaft vorzustellen, dass er den Posten wirklich bekommt.
Auf einigen der neuen Lieder ziehen Sie das Tempo deutlich an. "Day Dream" oder "Don't Lose Your Steam" haben mehr Energie, mehr Beat und mehr Funk als von Ihnen gewohnt.
Porter: Oh ja, und das sind natürlich die zwei Lieblingssongs meines Sohnes Demyan. Der Junge ist vier und hat zu Weihnachten ein Schlagzeug bekommen, auf das er seitdem täglich eindrischt. Das Kerlchen steht auf Krach (lacht).
"Junger Mann, ich zähle auf dich" singen Sie in "Don't Lose Your Steam".
Porter: Ja, da rede ich mit meinem Sohn. Ich bitte ihn, das Erbe meiner Mutter weiterzutragen und niemals aufzustecken, egal, welche Enttäuschungen im Leben auch auf ihn warten werden.
Ihre Karriere lief jahrelang eher schleppend, Sie sangen in kleinen Jazzclubs und arbeiteten als Koch. Haben Sie Ihren Durchhaltewillen von Ihrer Mutter?
Porter: Ja, mein Erfolg war sicher alles andere als so eine Über-Nacht-Geschichte. Ich habe mir alles hart erarbeiten und kämpfen müssen. Meine Mutter hat mich dazu erzogen, mich niemals unterkriegen zu lassen und mutig zu sein.
Ihre Mutter Ruth war Pastorin, sie starb 1991 an Krebs.
Porter: Ja, Ich habe sieben Geschwister, Mum lebt durch uns weiter. Und ich muss aufpassen, dass ich nicht sage, JEDER meiner Songs sei von ihr inspiriert. Aber schon für mein Album "Liquid Spirit" war ihr Einfluss prägend, und auch "Take Me To The Alley" ist voller Erinnerungen an meine Mutter. Den Titelsong zum Beispiel schrieb ich, während der Papst in New York war, er wusch die Füße der Gefangenen, er gab den Hungernden zu essen, solche Sachen hat auch meine Mutter oft gemacht. Einmal kaufte sie ein Auto, um damit Obdachlose aufzugabeln, sie bei uns zu Hause duschen zu lassen und ihnen Essen zu geben. "Take Me To The Alley" ist ein biblisches Motiv -der Herr sagt "Führe mich nicht zu den Reichen, sondern bring mich in den dunklen Gassen zu den Menschen, die im Schatten leben."
Sind Sie als Sänger auch so eine Art Priester?
Porter: Ich habe natürlich oft in der Kirche gesungen, und meine Arbeit ist total vergleichbar mit der eines Seelsorgers. Für einen Priester allerdings ist meine Seele nicht rein genug (lacht). Ich bin kein perfekter Mensch.
Für Ihr Album "Liquid Spirit" haben Sie unter anderem einen Grammy und einen Echo erhalten. Was macht der relativ späte Erfolg mit Ihnen?
Porter: Ich genieße den Erfolg, definitiv. Als Künstler hat man immer mit etwas Unsicherheit und Selbstzweifeln zu kämpfen, da tut Zuspruch natürlich gut. Aber hauptsächlich geht es mir darum, mich selbst und mein Publikum zu berühren. Ich denke nicht so viel ans Geschäft. Nach "Liquid Spirit" sind die Erwartungen an mich natürlich gestiegen, das kann ich nicht wegdiskutieren und bin mir des Drucks bewusst, auch wenn ich mich ihm nicht unterwerfen will.
Im Stück "In Fashion" sprechen Sie über Ihr neues Leben im Rampenlicht. Sind der öffentliche und der private Gregory Porter identisch?
Porter: Ich hoffe, dass ein kleiner Streifen meines Lebens so privat bleiben kann wie ein kleines Handtuch am großen Strand. Die meisten wissen ja immer noch nicht, wer ich bin. Von acht Milliarden Menschen auf der Welt erkennen mich schätzungsweise fünf Millionen.
Bringt der Erfolg auch Nachteile mit sich?
Porter: Ich habe weniger Zeit, um mich den Menschen zu widmen, die mir nahestehen. Früher habe ich immer einmal die Woche richtig exquisit für meine Frau gekocht, jetzt gehen wir meistens essen. Um näher an meiner Familie zu sein, sind wir gerade umgezogen, von Brooklyn zurück in meine Heimatstadt Bakersfield in Kalifornien. Für meinen Sohn ist es schöner, mit der Familie aufzuwachsen.
Sehen Sie ihre Frau denn oft genug?
Porter: Lange Tourneen machen einsam, das stimmt wirklich. Wenn ich acht Wochen oder so am Stück weg bin, dann treffen wir uns meistens irgendwo zwischendrin. Ab und zu kommt sie auch mal ein, zwei Wochen mit, aber mit unseren Sohn und seinem Kindergarten ist das kompliziert. Im Kern geht es bei "In Fashion" aber um etwas anderes.
Um was denn?
Porter: Darum, wie durchsichtig wir alle durch Medien wie Facebook geworden sind. Ich finde es etwas abnormal, das Leben anderer Menschen so genau verfolgen zu können, dass ich weiß, was sie anziehen, was sie essen, mit wem sie zusammen sind. Wenn ich früher ein Mädchen gut fand, dann bin ich 20 Mal am Tag mit dem Fahrrad an ihrem Haus vorbeigefahren, um zu gucken, was sie so macht. Heute brauche ich bloß noch bei Facebook nachzuschauen.
Sie sind 20 Mal am Tag mit dem Fahrrad...?
Porter: Das sollten wir besser nicht vertiefen, sonst komme ich noch nachträglich wegen Stalking ins Gefängnis (lacht).
"Consequence Of Love" ist das eindeutigste Liebeslied auf Ihrer neuen Platte. Sind Songs über die Liebe eigentlich
besonders schwer zu schreiben?
Porter: Das ist tatsächlich nicht so einfach, erst recht dann, wenn man auch ein bisschen was Interessantes über die Liebe erzählen will. In "Consequence Of Love" geht es darum, wie die Liebe es schafft, alle Hindernisse zu überwinden. Als Teenager sind vielleicht deine Eltern dagegen, später können dich gesetzliche, religiöse oder auch soziale Normen daran hindern, deine Liebe auszuleben und zu genießen. Ich denke zum Beispiel an Homosexuelle, die wegen altmodischer Gesetze immer noch nicht heiraten dürfen. Oder auch an mich selbst. Ich wuchs als Schwarzer in einem sehr weißen Viertel auf, irgendwie ist der Song eine späte Reaktion auf meine Jugend und auf die unnötigen Barrieren, die auch mir manchmal in der Liebe im Wege standen.
Insgesamt ist Ihre Musik wie geschaffen für erotisch-zwischenmenschliche Situationen, nicht wahr?
Porter: Absolut. Ich finde das schön. Sex ist wichtig, sonst wären wir alle nicht hier.
Info
- Zur Person: Der im November 1971 in Los Angeles geborene Gregory Porter sang zunächst Gospel, wurde aber auch von Soul, Jazz und Blues beeinflusst. Nach dem verletzungsbedingten Ende seiner College-Football-Karriere konzentrierte er sich auf Musik. Bereits sein Debütalbum "Water" (2011) wurde für den Grammy nominiert. Mit der dritten Platte "Liquid Spirit" gewann der Bariton ihn und erreichte Platz 15 der deutschen Charts. Der Nachfolger "Take Me To The Alley" schaffte es im Mai 2016 in die Top Ten. Porter gilt derzeit als wichtigster Jazzsänger seiner Generation.
- Zum Konzert: Montag, 21. November, 20 Uhr im Ludwigshafener BASF-Feierabendhaus. Karten unter 0621/10 10 11 (53 bis 71 Euro plus Gebühren). jpk
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