„Eine Stadt mit Nazi-Bibliothek“

Interview: Trompeter Jacobus North von der linksalternativen Punkband Feine Sahne Fischfilet über die politische Lage

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Feine Sahne Fischfilet (FFS) aus Rostock und Umgebung sind die Deutsch-Punkband der Stunde: Ihr neues Album „Sturm & Dreck“ landete auf Platz drei der Charts. Ihre Konzerte wie am 23. Februar in der Heidelberger Halle 02 sind seit Wochen ausverkauft, die großen Festivals haben sie aber schon gebucht. Im Telefoninterview mit dieser Zeitung spricht Trompeter Jacobus North über Attacken von Neonazis, Verfassungsschutzberichte und Xavier Naidoo.

Herr North, vor einigen Wochen wurde der Probenraum von Feine Sahne Fischfilet von Neonazis attackiert. Sind solche Vorfälle inzwischen die Ausnahme oder immer noch Alltag für Ihre Band?

Jacobus North: Naja, leider ist das für uns in Mecklenburg-Vorpommern ein gewisser Alltag. Wir rechnen damit: Es kann immer etwas passieren. Ob das jetzt vor den Konzerten zur Albumveröffentlichung oder bei Festivals ist. Zumindest Einschüchterungsversuche vonseiten der Neonazis gibt es fast immer. Das ist bei Konzerten so, aber auch generell, wenn man sich in Mecklenburg-Vorpommern bewegt. Traurige Realität für viele Menschen, die alternativ sind. Es ist so normal geworden, dass wir einen relativ guten Umgang damit gefunden haben. Wir haben ja im Unterschied zu vielen anderen das Glück, eine mediale Öffentlichkeit nutzen zu können. Um aufzuklären und zu informieren.

FSF-Sänger Monchi hat vor Jahren bei einer Podiumsdiskussion in der Mannheimer Popakademie eindrücklich von wechselseitig sehr handfesten Auseinandersetzungen berichtet. Wie ist da generell der Stand in Ihrem Bundesland?

North: AfD und NPD haben 2016 zusammen fast 24 Prozent der Stimmen geholt. Das gibt das Stimmungsbild ganz gut wieder. Man muss dazu wissen, dass die NPD von 2006 bis 2016 im Rostocker Landtag saß. Die haben sich mit der AfD also die Schlüssel in die Hand gegeben. Das ist die parlamentarische Ebene. Auf der Straße, in den Städten und Dörfern ist das Bild natürlich eher schlechter als besser.

Wie geht man damit um? Nur handfest?

North: Handfeste Auseinandersetzungen gehören auch dazu. Das passiert. Aber was bringt’s, wenn man darüber jammert? Man muss weitermachen, den Kopf hochkriegen … Das ist das, was wir zuletzt mit der Kampagne „Noch nicht komplett im Arsch. Zusammenhalten gegen den Rechtsruck“ versucht haben: Den Fokus davon ein wenig wegzukriegen, was alles so schlimm ist. Mehr hin zu: Was ist nicht schlimm?

Trotzdem nachgefragt: Das Phänomen „national befreite Zonen“ ist noch an der Tagesordnung – also Gegenden, wo Neonazis das Sagen haben und die man als Ausländer oder Punk besser meidet?

North: Die gibt es. Aber nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern oder im Osten. Auch im Westen. Wir haben zuletzt mit den Toten Hosen in Dortmund gespielt, da hat der Stadtteil Dorstfeld auch Einiges zu bieten. Ich will die Ossi-Wessi-Diskussion aber gar nicht aufmachen.

Wie drastisch ist es denn zum Beispiel in einer Kleinstadt wie Anklam bei Greifswald, wo FSF mit dem Rapper Marteria und Hosen-Sänger Campino 2016 ein Überraschungskonzert als Höhepunkt Ihrer Kampagne „Noch nicht komplett im Arsch“ gegeben haben?

North: Das ist eine Stadt, die eine Nazi-Bibliothek hat. Dort wurden auch viele andere Strukturen von Nazis übernommen. Oder denken Sie an das sogenannte Nazi-Dorf Jamel. Das sind solche Zonen, klar. Wie das in der Realität aussieht, ist im Einzelfall unterschiedlich. Jemand, der mitteleuropäisch aussieht und sich normal anzieht, sollte in der Regel kein Problem haben, sich dort zu bewegen. Wer etwas alternativer oder exotisch aussieht – da dürfte das anders aussehen. Aber man muss auch sagen: Es gibt auch in Meck-Pomm auf dem Land Leute, die sich engagieren. Es ist nicht alles ganz scheiße…

Ist das auch das Thema Ihres neuen Songs „Angst frisst Seele auf“?

North: Im übertragenen Sinne. Konkret geht es um den Mordaufruf einer Nazi-Band gegen eine Freundin von uns: Katharina König, die für Die Linke im Thüringer Landtag sitzt und Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss ist. Das Lied ist im Prinzip unsere Antwort auf den Aufruf, sie „abzuschlachten“.

Haben Sie trotz Ihrer drastischen Erfahrungen, Verständnis für die besorgten Bürger, die die AfD wählen? Das sind ja in der Regel keine Neonazis…

North: Ja und Nein. Dieser Tenor „Wir müssen diese Leute auch verstehen“ ist mir schon ein bisschen zuwider. Denn was Leute von der AfD sagen, wäre noch vor zehn Jahren eindeutig rechtsradikale Propaganda gewesen. Und sie haben es trotzdem geschafft, sich so in den Fokus zu rücken, dass andere Parteien nachziehen, um Wähler zurückzugewinnen. Da muss man meiner Meinung nach ganz genau aufpassen, wen man da verstehen will. Und wer die Leute dahinter sind, die ganz andere Dinge vorhaben.

Das alles deutet auf einen Riss in unserer Gesellschaft hin. Nehmen Sie den einfach hin – oder müsste man nicht etwas dagegen unternehmen? Gerade als politische Band…

North: Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Wir bewegen uns normalerweise auf einer Agitationswelle mit dem Motto „Nein, wir reden nicht mit diesen Leuten.“ Das ist meine Position als Musiker und Künstler. Zu sagen: Den Nazi-Versteher zu geben, darauf habe ich keine Lust. Wenn ich mich aber in eine Position hineinversetze, in der ich diese tatsächliche Spaltung überwinden müsste, sähe das anders aus. Klar ist: Leicht würde das nicht, diese Leute davon zu überzeugen, nicht mehr gegen andere Menschen zu hetzen, die noch viel weniger haben. Das Phänomen, dass solche Leute lieber nach unten als nach oben treten, hat es ja schon immer gegeben. Wie man das auflösen soll, darauf habe ich auch keine Antwort. Wenn sie einer hätte, wäre das Problem ja auch schon erledigt.

Wie verfolgen Sie den zähen Regierungsbildungsprozess auf Bundesebene – mit Spannung oder völlig desillusioniert und uninteressiert?

North: Das finde ich schon spannend, ich weiß gar nicht, warum. Vielleicht, weil ich eifriger Tageszeitungsleser bin. Bei aller Desillusionierung gibt es ja schon Unterschiede zwischen den großen Parteien. Auch, wenn sie marginal sind. Und wenn CDU und SPD jetzt zum Beispiel sagen, die selbstgesteckten Klimaziele interessieren uns nicht mehr – das finde ich schon beängstigend. Das wäre mit den Grünen in der Regierung sicher anders gelaufen. Man darf sich nichts vormachen: Union und SPD haben keine wirkliche Vision, was sie konkret verändern wollen. Das geht, wenn überhaupt, schon alles sehr, sehr langsam. Aber ich glaube, es ist in Deutschland auch gar nicht gewollt, dass sich so viel verändert.

Mit den Irie Révoltés gab es in Heidelberg eine geistesverwandte, politisch sehr aktive Band. Haben Sie verstanden, warum die ausgerechnet jetzt aufgehört haben?

North: Schwierig. Grundsätzlich ist es unsere Aufgabe als Künstler, so etwas wie dem Rechtsruck Paroli zu bieten. Andererseits gibt es eben Situationen im Leben, in denen man vielleicht nicht mehr die Energie oder Motivation hat, weiterzumachen. Ich weiß es nicht. Aber es ist natürlich schade, dass solche Leute mit klarer Haltung aufhören. Denn davon gibt es zu wenige. Aber ich selbst würde auch nicht im Rennen bleiben, nur weil ich meine, es wäre meine Aufgabe. Wenn ich unsere neue Platte hören würde, und die Songs würden mich selbst nicht mehr bewegen – dann sollte ich es auch lassen. Zum Glück ist bei uns gerade genau das Gegenteil der Fall. Wir könnten unsere Inhalte nicht vermitteln, wenn wir sie nicht Ernst meinen würden.

Für eine etwas unklarere Haltung steht inzwischen für viele der Mannheimer Sänger Xavier Naidoo, der sich früher auch stark gegen Rechts engagiert hat. Wie sehen Sie ihn?

North: Auf mich wirkt es, als ob er inzwischen einen Knall bekommen hätte. Deswegen ist er nicht weniger gefährlich – etwa als Projektionsfläche für die Reichsbürgerbewegung. Ich weiß aber auch nicht, was mit ihm los ist. Ich kenne ihn nicht.

Bis 2015 tauchten Feine Sahne Fischfilet mehrfach wegen angeblich linksradikaler Umtriebe im Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern auf. Sie haben sich juristisch dagegen gewehrt. War das Ganze überwiegend ärgerlich – oder vor allem perfekte Werbung für eine linke Punk-Band?

North: Als Band hat uns das enorm genützt, klar. Wir haben dadurch ein Gehör bekommen, dass es sonst so nicht gegeben hätte. Aber wenn man überlegt, welche Gefahr von dieser Behörde ausgeht – nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, dann ist der PR-Effekt zweitrangig. Die gehört meiner Meinung nach abgeschafft. Weil sie den NSU gedeckt hat und nach seiner Aufdeckung die Akten geschreddert hat. Was für ein Skandal: Da tötet eine rechtsextreme Terrorzelle über zehn Jahre hinweg Menschen in ganz Deutschland. Und das Organ, das genau so etwas verhindern soll, unterstützt und finanziert das maßgeblich.

Wenn man vom Verfassungsschutz beobachtet wird – was passiert da konkret? Klickt es im Telefon, stehen unbekannte Autos lange vor der Tür?

North: Nein. Es gab sicherlich Observation. Konkret einen Peilsender unter dem Auto. Das war dann offensichtlich. Aber ich weiß zum Beispiel nicht, ob unser Telefongespräch gerade abgehört wird. Und allein die Tatsache, dass ich es nicht weiß, ist ja schon problematisch.

Wie erlebt man es vor diesem Hintergrund, wenn plötzlich SPD-Bundesjustizminister Heiko Maas 2016 das FSF-Engagement lobt?

North: Naja, die Kampagne „Noch nicht komplett im Arsch“ von 2016 war halt zivilgesellschaftliches Engagement. Wir sind dabei über die Dörfer gefahren, haben mit Leuten gesprochen und sie vernetzt. Das fand der Justizminister halt gut. Der ist, wenn es gegen AfD, NPD und Nazis geht, vielleicht noch einer der Besseren. Ich muss trotzdem sagen, dass sich seine Partei in Mecklenburg-Vorpommern wenig dafür interessiert, wie es den Leuten geht. Und viele staatliche Stellen im Bundesland arbeiten trotzdem gegen unsere Band, obwohl wir uns engagieren.

Nach Platz drei für Ihr neues Album „Sturm & Dreck“ und großen Hallen – bekommen Sie die unvermeidliche „Ausverkauf!“-Keule besonders massiv zu spüren?

North: (stöhnt) Ja, das gehört halt dazu und gab es eigentlich schon immer. Gerade von unseren engsten Freunden (lacht). Aber wir haben immer gesagt: Wir machen, worauf wir Bock haben, und schauen, wie weit das geht. Klar war auch, dass wir mit unserer politischen Botschaft so viele Leute wie möglich erreichen wollen. Wenn das auch nur bei Einzelnen eine klitzekleine Veränderung bewirkt, hat es sich schon gelohnt.

Feine Sahne Fischfilet live

Zur Band: Das Punk-Sextett Feine Sahne Fischfilet wurde 2007 von Musikern aus der Umgebung von Rostock und Greifswald gegründet. Die politische Haltung war von Beginn an antifaschistisch. Einige radikale „Späße“ wie die als Scherz gedachte Bauanleitung für einen Molotow-Cocktail brachte der Band ab 2012 die Aufmerksamkeit von Mecklenburg-Vorpommerns Verfassungsschutz wegen ihrer mutmaßlich „explizit anti-staatlichen Haltung“. Auch das trug zum stetig wachsenden Erfolg der Punkrocker um Sänger Jan „Monchi“ Gorkow bei, bei denen u.a. Trompeter Jacobus North für Ska-Einlagen sorgt. Inzwischen sind FSF bundesweit Festival-Lieblinge und begeisterten zuletzt im Vorprogramm der Toten Hosen in ganz großen Hallen.

Zum Album: Ihre vierte Studioplatte Sturm & Dreck (Audiolith) erreichte Platz drei der Charts.

Zum Konzert: Der FSF-Auftritt am Freitag, 23. Februar, ist seit Wochen ausverkauft und beginnt um 19.30 mit Kaput Krauts im Vorprogramm.

Zu den Festivals: Dafür sind Monchi und Co. in der Festivalsaison u.a. zu hören beim Southside (22-24. Juni, southside.de, ab 219 Euro) oder auf dem Taubertal (9.-12. August, taubertal-festival, de, 129 Euro, Tageskarte 63 Euro – Zeitplan steht noch nicht fest). jpk

 

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