Die Erfindung des modernen Menschen

Schauspiel: Sebastian Schug inszeniert Georg Büchners "Leonce und Lena" am Mannheimer Nationaltheater

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Probt derzeit im Schauspielhaus des Nationaltheaters: Regisseur Sebastian Schug.

© Christian Kleinert

Mannheim. Nach Italien soll es gehen. Ins Land der süßen Müßigkeit will Prinz Leonce aus dem Königreich Popo fliehen. Grund ist die Aussicht auf die arrangierte Hochzeit mit Prinzessin Lena aus dem Königreich Pipi, die ihm sein Vater eröffnet. Auch Lena will sich mit dem elterlichen Beschluss nicht abfinden und tritt ebenfalls die Flucht an. Man ahnt es schon, die beiden treffen und verlieben sich. Was beide allerdings nicht ahnen, ist, dass sie sich doch glatt in den von Eltern versprochenen Partner verliebt haben. Und irgendwie fügt sich alles letztendlich doch nach Plan zusammen. Ob aus reinem Zufall und aufgrund einer großen Vorsehung, das lässt Georg Büchner in seiner Märchenfabel von "Leonce und Lena" offen. Bis zur finalen Traumhochzeit baut Büchner allerdings ein dichtes, pointen- und zitatreiches Lustspiel, das mit seinen Spitzen das gesellschaftliche und politische System der Kleinstaaterei zur Zeit des Deutschen Bundes hand-fest kritisiert.

Sebastian Schug, der am Mannheimer Nationaltheater bereits mit "Die Glasmenagerie" und "Viel Lärm um nichts" zwei Klassiker auf die Bühne brachte, inszeniert nun Büchners Komödie am Schauspielhaus. "Das Heute-Wort mag ich ja gar nicht. Ein Theater, in dem man sich immer überlegt, was man denn jetzt machen muss. Zum vermeintlichen Zeitgeschehen mich kommentierend zu verhalten, das ist eh nicht mein Ding", antwortet Schug auf die Frage nach der Aktualität von Büchners 1836 verfassten Text, der selbst erst sechzig Jahre später seinen Weg zur Uraufführung fand. "Ich lebe jetzt und in dieser Zeit. Die Verbindung zu heute, die bin ich. Und die Menschen, mit denen ich das mache. Da ist es ganz egal, wie alt der Text ist, er geht ja durch heutige Körper. Heutigkeit ist eher eine Haltung."

Und dennoch, so Schug, greift der Text auf vielen Ebenen direkt in unsere Gegenwart. Beinahe etwas Postmodernes habe Büchners Komödie in ihrem strukturellen Aufbau. Eine Collage aus Verweisen und Zitaten, psychologisch komplex gebaut und mit Gedanken befüllt, die dem Ensemble mit Jacques Malan, David Müller, Carmen Witt, Matthias Thömmes, Julius Forster und Boris Koneczny viel Raum zum Spiel offenlässt. "Und als Grundgerüst dient eine Märchenfabel, die ganz einfach strukturiert ist und daran lässt er wunderliche Blüten wachsen. Das finde ich wirklich spannend", sagt Schug.

Wenn auch die Zeit der Kleinstaaterei angeblich längst Geschichte ist und in Jahreszahlen gemessen durchaus eine gewisse historische Distanz zu Büchners Theatererzählung besteht, zeigt sich für Schug hier allerdings in den Figuren ein Menschenbild, dass "Leonce und Lena" zu einer weiterhin relevanten Position auf dem Spielplan macht.

"Ich finde aufregend an Büchner, dass er da zu einem Zeitpunkt in der Geschichte eine Erfahrung beschrieben hat, wie man sich als Mensch fühlt, die uns bis heute prägt. Eigentlich ist es so etwas wie die Erfindung des modernen Menschen und seiner totalen Identitätskrise", erzählt Sebastian Schug über seine Faszination mit Büchners Arbeit. "Also, man muss das ja nicht negativ sehen. Es geht da um die Abspaltung von uns selbst. Und da ist Büchner einer der Ahnen unseres modernen Lebensgefühls. Überall im Text reicht das ins Heute. Zum Thema Sexualität und Liebe, zum Thema Macht und Utopie - bei mir dockt das alles hier und heute an." Info: Premiere: Samstag, 5. Dezember, 19.30 Uhr, Schauspielhaus. Termine: 11., 15. & 31. Dezember. Karten: 0621/16 80 150.

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