Hamburg/Mannheim. „Ich steh zwar wieder ganz am Anfang, doch hab die Birne frei für neues!“ Als Udo Lindenberg am 26. Februar 2007 diese beiden Zeilen als Überraschungsgast in der Zugabe von Jan Delays Abräumer-Konzert im Mannheimer Capitol singt, markiert der tosende Beifall einen Wendepunkt in der Karriere des Deutschrock-Pioniers. Die war zuvor fast ausgetrudelt, wie der Titel des Duetts mit Jan Delay mehr als nur andeutet: "Im Arsch"..
Danach geht es zurück Richtung Deutschrock-Olymp, Udo Lindenbergs wohlverdientem Stammplatz bis Ende der 1980er. Im Interview mit dieser Redaktion erinnert sich Lindenberg 2008 an diese Initialzündung: „Das war ein geiler Abend, mit einem Top-Publikum – wie immer in der Musikstadt Mannheim. Außerdem ist es überaus erfrischend, mit Jan Delay zusammenzuarbeiten. Wir fahren viel Autobahn, hören Demos und er sagt Sachen wie: ,Was ’n Old-School-Sound’ oder .Weg mit der Porno-Orgel’.“
Letzteres war enorm wichtig, denn für seine Pioniertaten konnte Lindenberg irgendwann sich und seiner partyfreudigen Entourage irgendwann fast nichts mehr kaufen.. Dabei hat der Panikrocker und ewig elastische Vorturner der „Bunten Republik Deutschland“ spätestens ab 1973 mit zahllosen Klassikern wie „Hoch im Norden“, „Alles klar auf der Andrea Doria“, „Cello“ oder „Rudi Ratlos“ überhaupt erst gezeigt, dass deutsche Texte mit Rockmusik Sinn machen. Ohne nach Schlager zu klingen und weniger ernsthaft streng beziehungsweise kabarettistisch als die Liedermacherszene.
Zu viel Tango mit „Lady Whisky“
Der gelernte Schlagzeuger, dessen größter Dauerbrenner wohl die „Tatort“-Titelmelodie mit Klaus Doldinger ist, klingt so authentisch wie der Sound seiner Band, des Panikorchesters. Auch die Texte. Oft lässig, etwas schnoddrig, aber mit viel Empathie für Außenseiter, Freiheitssuchende und emotionale Knackpunkte trifft Lindy nicht nur den Nerv seiner eigenen Generation. Später schreibt der „Panikpräsident“ auch politisch Geschichte – mit Anti-Nazi-Liedern wie „Sie brauchen keinen Führer“, Friedenssongs und dem Drang, für seine Fans in der DDR zu spielen („Sonderzug nach Pankow“). So beeinflusst er auch zahllose jüngere Kreative von Moses Pelham über Max Herre bis Clueso.
„Geheimrat“ Jan Delay, vor allem aber der Reinbeker Starproduzent Andreas Herbig sorgen dafür, dass Lindenberg nach 17 (!) Studioalben ohne Top-Ten-Berührung sich ab 2007 wieder dem zeitlosen Rock-Sound seiner Anfangsjahre annähert. Es war höchste Zeit: Udo hatte durch einige Schicksalsschläge und beim Dauertango mit „Lady Whisky“ und ihren Verwandten nicht nur seinen brennenden Ehrgeiz verloren. Sein Sound ist ihm egal, so wird er buchstäblich museumsreif: Den Echo fürs Lebenswerk bekommt er schon 1992, drei Jahre nach nach einem Herzinfarkt hat ihn die Szene wohl bereits abgeschrieben. 2004 wurde das „rock’n’popmuseum“ in seinem Heimatstädtchen Gronau nach ihm benannt – am Udo-Lindenberg-Platz. Nach dem ambitionierten, aber nur 7000 Mal verkauften Album „Atlantic Affair“ (2002) verliert er sogar den siebenstellig dotierten Plattenvertr derag.
Engagiert in der Quadratestadt
Der Rubel rollt zwar nicht mehr, aber Lindenberg bleibt engagiert: 2001 startet er unter anderem mit den Söhnen Mannheims inklusive Xavier Naidoo eine neue „Rock gegen rechte Gewalt“-Tournee, 2002 unterstützt er beim Benefizfestival „Menschen am Fluss“ in der Maimarkthalle die Opfer der Oderflut (mit legendärer Aftershow-Party im Lindbergh)und 2005 gewinnt ihn Rolf Stahlhofen als Schirmherr für die All-Star-Eröffnungsshow Monnem Soul, dem musikalischen Höhepunkt des Eröffnungswochendes der SAP Arena.
Der Tod seines älteren Bruders und Ruhepols Erich 2006 rüttelt ihn endgültig auf. Als er danach in der Mannheimer Kunsthalle seine eigene, sehr kommerzielle Malerei ausstellt, wirkt er schon fokussiert wie lange nicht. Im gleichen Jahr gründet er die Udo-Lindenberg-Stiftung, die der Mannheimer Arno Köster leitet. „Der Greis ist heiß“ heißt es dann ganz richtig auf der grandiosen Comeback-Platte „Stark wie zwei“ (2008), seinem ersten Nummer-eins-Album. Der Millionenseller „MTV Unplugged“ (2011) wird sein erfolgreichstes Werk überhaupt. Dazwischen gibt es den „echten“ Echo und ausverkaufte Tourneen in großen Hallen, später Stadien – der Anspruch erinnert dabei wieder an die circensische „Dröhnland-Symphonie“-Tour, die Theaterstar Peter Zadek 1979 inszenierte. Mit immer gigantischeren Shows, die der Heidelberger Günter Jäckle und die Spezialisten der Firma Epicto in Neckarhausen mit entwerfen. Mannheim bleibt immer wieder Bezugspunkt: 2012 probt Lindenberg mit seinen altgedienten Musikern in der Popakademie, wo er regelmäßig zu Gast ist.
Der gelungenen Generalprobe im kleinen Kreis in der Popakademie folgt ein triumphales erstes Konzert in der SAP Arena. Die Fans strömen zu den Shows, bringen dabei Kinder und Enkel mit. 2022 soll es mit der bereits verfilmten Erfolgsstory weitergehen.
Vor dem 75. muss Udo Lindenberg aber nicht nur deshalb keine Panik haben: Zwei der vier neuen Lieder auf der zum Geburtstag veröffentlichten Karrierebilanz „Udopium – Das Beste“ unterstreichen das: „Mittendrin“ klingt wesentlich elanvoller als der Großteil des etwas kontemplativen Alterswerks „Stärker als die Zeit“ (2016). In „Wieder genauso“ singt der Altmeister zwar wieder mal unverhohlen vom allerletzten Auftritt: „Ich hab letzte Nacht geträumt, es wär vorbei / Und der Tod stand vor der Tür, ich ließ ihn rein.“ Aber gemeint ist das alles andere als lebensmüde, wie Lindenberg sein Verhältnis zum Tod auf seiner Homepage erklärt: „„Ja, ich kenn ihn schon lange - wer ihn gut kennt, lebt intensiver (...). Naja am besten wird man zeitlos, und so fühl ich mich ja auch schon weitgehend. Stärker als die Zeit. Dorian Gray und Benjamin Button. Die Seelenrutschbahn, vom durchgeknallten Spielkind bis zum Weisheitsindianer und zurück.“
Wie im Horrorklassiker "Shining"
Dass er noch mal ausrutscht, müssen seine Fans wohl nicht mehr befürchten, Immerhin hat er das Corona-Jahr weitgehend mutterseelenallein im Hamburger Hotel Atlantic verbracht und sich dabei zwar wie im Steven-King-Horrorklassiker „Shining“ gefühlt, aber trotzdem gemalt und neue Songs geschrieben, wie er in den wenigen Interviews zu seinem Ehrentag berichtet.
Unsere Auswahl: Udos wichtigste Lieder
"Hoch im Norden" (1972)
"Alles klar auf der Andrea Doria" (1973)
"Cello" (Unplugged-Version 2011 mit Clueso, Original von 1973)
"Wir wollen doch einfach nur zusammen sein (Mädchen aus Ost-Berlin)" (1973)
"Rudi Ratlos" (1974)
"Votan Wahnwitz" (1975)
"Wozu sind Kriege da" (1981)
"Sonderzug nach Pankow" (1983)
"Im Arsch" (Gast bei Jan Delay, 2007)
"Mein Ding" (2008)
"Ganz anders" (2008)
"Stark wie zwei" (2008)
"Reeperbahn 2011 Unplugged / What It's Like" (2011)
"Einer muss den Job ja machen" (2017)
"No More Mr. Nice Guy" (Unplugged 2 mit Alice Cooper, 2018)
Achterbahn zum Deutschrock-Olymp
- Udo Lindenberg wurde am 17. Mai 1946 im niedersächsischen Gronau geboren.
- Der Sänger, Deutschrock-Pionier und Maler wurde 1971 als Schlagzeuger auf dem Debütalbum von Klaus Doldingers Jazz-Band Passport bekannt. Sein erstes Album „Lindenberg“ erschien 1971.
- Spätestens ab 1973 bereitet der Wahl-Hamburger mit der fluffigen Szenesprache der LP „Alles klar auf der Andrea Doria“ den Boden für deutschsprachige Rockmusik jenseits der Schlager- und Liedermacher-Szene.
- In den 1980ern wurde Lindenberg zunehmend auch politisch aktiv und erreichte mit Hits wie „Sonderzug nach Pankow“ (1983) oder „Horizont“ (1987“ neue Karriere-Höhepunkte.
1989 erlitt Lindenberg einen Herzinfarkt, der ihn auf Dauer nicht vom exzessiven Alkoholkonsum abhielt. - 1992 erhielt er mit 46 Jahren den Echo für sein imposantes Lebenswerk. Nach dem epochalen Comeback gab es 2009 den ersten von drei weiteren Echos.
- Am Freitag ist das Best-of-Album „Udopium“ mit bis zu 75 Songs (in der 4-CD-Version) erschienen, darunter vier neue.
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