Interview

Warum Comedy-Star Enissa Amani ihre Haftstrafe auf jeden Fall antreten will

Von 
Jörg-Peter Klotz
Lesedauer: 
Enissa Amani verbindet klassische Stand-up-Comedy immer stärker mit politischem Aktivismus. © Parham Farajollahi

Sie hat gerade einen Grimmepreis gewonnen, macht Stand-up-Comedy mit zunehmend politischem Einschlag, wird als Aktivistin respektiert - und steht mit einem Bein im Gefängnis: Enissa Amani. Im Modus des Drauflos-Plauderns wie unter Freunden transportiert sie wie zuletzt im ausverkauften Mannheimer Capitol klug und für jeden nachvollziehbar eine unverkrampfte Sicht auf die diversen Identitätsdebatten. Ihr von klein auf temperamentvoll ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit wird ihr demnächst eine 40-tägige Haftstrafe einbringen. 2019 hatte die Wahl-Kölnerin auf rassistische Äußerungen eines bayrischen AfD-Landtagsabgeordneten mit Beleidigungen in den sozialen Netzwerken reagiert. Das damit verbundene Bußgeld von 1800 Euro findet sie vollkommen gerechtfertigt, wie Amani betont. Aber so lange die Anzeigen wegen Volksverhetzung gegen den AfD-Vertreter von der zuständigen Staatsanwaltschaft im oberbayrischen Traunstein nicht weiter verfolgt werden, geht sie lieber ins Gefängnis, um ein Zeichen zu setzen.

Frau Amani, es scheint Ihnen sehr ernst zu sein mit dem Antritt der inzwischen offiziell angedrohten Haftstrafe. Dadurch ist ein Rückzieher, in dem Sie einfach das Bußgeld bezahlen, unmöglich. Oder?

Enissa Amani: Das stimmt.

Wie stellen Sie sich auf 40 Tage im Gefängnis ein?

Amani: Eigentlich gar nicht. Wir sind aber alle in Hab-Acht-Stellung, denn es könnte jetzt jeden Tag der Fall sein. Ich habe mich umgehört und erfahren, dass die Gefängnisse zur Winterzeit oft überfüllt sind und es auch wegen der Pandemie unwahrscheinlich war, dass es im Dezember passiert. Das liegt am Staatsanwalt, er kann es jederzeit vollstrecken. Vom Gefühl her wäre es mir früher lieber als später, dann hätte ich es hinter mir. Ich habe eine sehr besorgte Familie. Mein Vater ist extrem beunruhigt. Er kann es für sich im Kopf nicht ganz trennen, dass es für mich in einem deutschen Gefängnis niemals so eine Situation sein wird wie für ihn als politischen Gefangenen im Iran.

Wie kam es eigentlich zu dieser hierzulande in Kulturkreisen ziemlich einmaligen Protestform?

Amani: Es war ein organischer Prozess. Als ich 2019 diesen AfD-Mann wegen seiner rassistischen Äußerungen beleidigt habe, wusste ich nicht, dass er von anderen Menschen wegen Volksverhetzung angezeigt werden würde. Und dass ihn ein - für mich in diesem Moment nicht klardenkender Staatsanwalt - straffrei davonkommen lässt. Anfangs dachte ich noch: „Wahrscheinlich bekomme ich eine Geldstrafe und die zahle ich dann auch.“ Erst als mir viele Menschen, darunter Juristen und Politiker, viel später geschrieben haben, dass die Staatsanwaltschaft nicht weiter wegen Volksverhetzung ermittelt, kam ich zu dieser Protesthaltung: „Nein, dann zahle ich nicht!“ Damit die Öffentlichkeit darauf aufmerksam wird. Ich wusste aber nicht, dass daraus so ein Politikum wird.

Wirklich?

Amani: Ich mache meine Sachen impulsiv. Es kamen auch via Instagram sofort viele Tipps und Empfehlungen für Anwälte. Ich habe mich ganz am Anfang mit einer renommierten Kanzlei beraten. Der Anwalt hat sich schon auf den Fall gefreut: „Frau Amani, ich hole sie da raus. Da kann man ganz viel machen, mit künstlerischer Freiheit.“ Und genau das will ich nicht! Deshalb habe ich das Mandat nicht vergeben.

Warum genau nicht?

Amani: Weil ich ihn nicht im Rahmen meiner Kunst beleidigt habe, ich habe ihn als Mensch beleidigt. Und dazu stehe ich auch. Ich möchte niemanden, der mich da raushaut. So dass ich vor Gericht gestanden und den Anschein erweckt hätte, als wolle ich mich aus der Sache rauswinden mit Hilfe der Kunstfreiheit. Mein einziges Ziel ist, damit Aufmerksamkeit auf die Justiz zu lenken, auf gewisse Leute in unserem Rechtssystem, die auf dem rechten Auge blind sind.

Sie sind mit den Jahren politisch immer aktiver geworden. Dieser Fall wird jetzt auch spürbar Teil ihrer Bühnenpersönlichkeit, zuletzt beim Auftritt im Mannheimer Capitol als Teil eines Intro-Films. Resultiert aus einer ursprünglich fast privaten Protestaktion eine Haftstrafe, die wie eine Art Performance-Kunst funktioniert? Auch, weil Sie die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit gar nicht mehr selbst im Griff haben und kontrollieren können?

Amani: Ich hatte die von Anfang an nicht im Griff. Wenn Sie sich retrospektiv meine Auftritte bei „TV Total“ anschauen. Da merkt man, wie ich immer unbedingt noch eine politische Botschaft in die Kurzauftritte gestopft habe. Übrigens entgegen allen Ratschlägen meines damaligen Umfelds. Aber das ist ein Teil von mir, auch als Tochter von Exil-Iranern. Ich bin eben nicht nur der Nasen-OP- oder Lidstrich-Witz, sondern stolz auf genau diesen Aspekt. Dass ich mich damit durchgesetzt habe, zu sagen: Ich muss etwas über meine Geschichte, auch die politische, einbauen. Mit den Jahren wurde es mehr, ich bin auch selbstbewusster und erwachsener geworden. Es ist wie eine Art Gravitation: Man wird automatisch zu Dingen hingezogen, die der eigenen Leidenschaft entsprechen. Für mich ist dieser Politisierungsprozess auch sehr organisch. Ich kann nicht ruhig bleiben, wenn ich von etwas Kenntnis habe, das nicht gerecht ist. Inzwischen weiß ich, wofür ich stehe, und wie ich welchen Leuten diese Themen erklären kann. Aber live versuchen wir, die Comedy- und Entertainment-Enissa von der politischen Aktivistin ein wenig zu trennen. Dazu dient der Film am Anfang. Es ist mir auch wichtig, keinen Witz aus der drohenden Haft zu machen - dafür ist mir das Thema zu ernst.

Sie machen mit Ihrer Gefängnisstrafe auf eine kaum nachvollziehbare juristische Entscheidung aufmerksam. Aber das ist Ihnen längst gelungen. Was können Sie durch die Haftstrafe noch erreichen?

Amani: Ich bin fest davon überzeugt, dass meine kleine Aktion bei dem einen oder anderen bei der nächsten Entscheidung einen Unterschied macht. Nicht bei allen und nicht bei jedem rechten Problem, aber ich stelle es mir vor wie beim Butterfly-Effekt: Auch ein winziger Flügelschlag hat Auswirkungen. Wenn es nur Nachdenken ist - oder Angst, rassistische Ausdrücke zu verwenden.

Es drängt sich fast auf, aus dem Gefängnisaufenthalt etwas zu machen, womöglich ein Buch. Aber damit würden Sie sich dem Vorwurf aussetzen, daraus Kapital schlagen zu wollen. Oder?

Amani: Die Gefahr sehe ich auch, deshalb will ich so etwas auf gar keinen Fall. Allerdings hat eine Journalistin eine tolle Idee: Eine Kampagne „40 Tage Haft - 40 Tage Antirassismus“, bei der jeden Tag entsprechende Projekte und Vereine vorgestellt und so gefördert werden. Das überlegen wir uns, sobald der Fall eintritt. Ich habe aber auch überlegt, es ganz still und leise hinter mich zu bringen. Damit bloß nicht der Eindruck entsteht, dass ich mich damit profilieren möchte. Aber der Grund ist ja der Protest - und der muss laut sein! Allenfalls könnte ich mir Erklärvideos auf Instagram vorstellen.

Die auch eher von Ihrem Anliegen ablenken dürften …

Amani: Genau! Für mich ist völlig unwichtig, wie es mir im Gefängnis geht. Fragen wie „War Enissa kalt? War ihr warm? Wie war die Suppe? Darf sie ihre Haarkur mitnehmen? War die Zelle klein, groß, gelb oder grün?“ Das tut alles nichts zur Sache, sondern lenkt eher davon ab. Aber in die Richtung gehen leider viele Interview-Anfragen, die ich alle ablehne. So etwas möchte ich auch danach nicht beantworten. Ich muss ja nicht in den Gulag, mir wird’s im Gefängnis gut gehen. Viel wichtiger ist mir die Message: Dieser AfD-Mensch ist in Deutschland mit Aussagen wie Flüchtlingsboote müssten versenkt werden und dem N-Wort komplett ungestraft davon gekommen. Die einzige Frage, die dabei interessant ist, lautet: Was müssen wir an Aufklärungsarbeit in der Gesellschaft leisten, damit sich so etwas nicht wiederholt und sich ein Staatsanwalt es zweimal überlegt, bevor er so eine Entscheidung trifft?

Wann könnte der Haftantritt erfolgen?

Amani: Man hat mir erklärt, dass zuerst ein Brief mit der Ladung kommt. Wenn man dem nicht Folge leistet, steht die Polizei vor der Tür.

Zur Person

  • Sahar Enissa Amani wurde am 8. Dezember 1985 in Teheran geboren als Tochter eines Literaturwissenschaftlers und einer Ärztin. Die Eltern wurden politisch verfolgt und flohen 1987 nach Frankfurt. 2003 begann sie ein Jura-Studium, wechselte dann zu Literaturwissenschaften.
  • Seit 2013 ist sie zunehmend erfolgreich als Stand-up-Comedienne. Live erreicht Amani ein multikulturelles Publikum, dessen Wurzeln sie immer wieder spontan in ihre Show einbaut – in Mannheim regelmäßig vor ausverkauftem Haus. Sie war aber auch Teil des Ensembles RebellComedy und spielt inzwischen dreisprachig auf internationalen Bühnen.
  • Im TV war Amani von Karrierebeginn an gefragt in Sendungen wie „NightWash“, „TV total“ oder „Satire Gipfel“. 2016 moderierte sie ihre eigene Late-Night-Show „Studio Amani“ bei ProSieben. 2015 gewann sie den Deutschen Comedypreis als „Bester Newcomer“. Besonderer Ritterschlag: Sie war die erste deutsche und europäische Komödiantin, die mit „Ehrenwort“ in einem internationalen Comedy-Special auf Netflix zu sehen war.
  • Im Februar 2021 initiierte Amani die divers besetzte Diskussionssendung „Die beste Instanz“ als Reaktion auf eine heftig kritisierte Folge der WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“, in der Gäste wie Thomas Gottschalk weitgehend kenntnisfrei über Rassismus diskutiert hatten. Dafür erhielt sie den Grimme Online Award. Die Wahl-Kölnerin engagiert sich zunehmend politisch.
  • Am 16. April plant sie einen Auftritt in der Frankfurter Jahrhunderthalle (mehr unter enissaamani.de).

Ressortleitung Stv. Kulturchef

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen