Hockenheim. War für Sie der beste der Tag der 16. April 1994?
Ingo Knollmann (lacht): Ich hatte damals natürlich überhaupt keine Ahnung, dass das ein Tag sein würde, aus dem dann fast 30 Jahre werden. Grundsätzlich versuche ich aus jedem Tag einen guten Tag zu machen, aber heute muss ich sagen: Ein Glück, dass wir damals diese Schnapsidee hatten, uns als Dorfpunks zu treffen, Bier zu trinken und ordentlich Lärm zu machen. Man kann das genau so sagen: Hätten wir diese Chance in der Scheune in Ibbenbühren und den Auftritt am 16. April als Initialzündung nicht gehabt, würde es heute vielleicht keine Donots geben. Dass wir heute unseren Lebensunterhalt durch diesen Traum bestreiten dürfen, ist im positiven Sinn komplett wahnsinnig.
Es gibt nicht wenige, die den Donots die – durchaus musikhistorische – Stilprägung zuschreiben, zwischen Alternative Rock und Punk eine Mitte gefunden zu haben, die radiotauglich und damit auch massenkompatibel ist. Realisiert man das? Und was machen solche Zuschreibungen mit einem?
Knollmann: Ganz ehrlich: Wir haben das bis heute nicht begriffen. Ich bin selbst Fan von so vielen deutschen Punkbands, mit deren Erfolg wir jetzt verglichen werden – angefangen von Den Toten Hosen und Den Ärzten über Wizo und die Beatsteaks. Ich weiß, wie sehr mich Musiker wie die Ramones oder Bad Religion geprägt haben. Wenn ich mir vorstelle, dass wir das für andere Bands oder Musikhörer sein dürfen, ist das irre. Aber ich möchte das auch nie ganz verstehen, um zu verhindern, dass das irgendwann ganz normal ist. Die Frage „Was soll denn jetzt noch kommen?“ darf sich nicht stellen. Denn uns ist klar: Da muss noch ganz viel kommen!
Zumindest Vorzeichen einer außergewöhnlichen Karriere haben sich ja aber allein durch die Labelgründung von Solitary Man Records in Japan abgezeichnet, das dann später auch zur Heimat für die eigenen Platten wurde. Wieso gerade der asiatische Raum?
Knollmann: Um die Geschichte zu erzählen, muss ich ein bisschen weiter ausholen. Anfang der Nuller-Jahre sah uns ein Japaner in New Yorker Hotellobby, fragte uns, wer wir seien und drehte fast durch, als wir ihm klarmachten, dass wir die Donots sind. Ohne es zu wissen, waren wir über Importe dort in die Charts gekommen und genossen offensichtlich Kultstatus.
Die Donots und die kommende Tournee
- Offiziell 1993 gegründet, formierte sich die Pop-Punk-Bank Donots eigentlich beim ersten öffentlichen Konzert am 16. April 1994 im Jugendkulturzentrum Ibbenbühren. Die Bezeichnung der Band kommt von einer augenzwinkernden Anpassung der englischen Formulierung „do nothing“ und heißt übersetzt so viel wie „Nichtstuer“
- Zu Beginn auf Englisch musizierend, feierten die Donots mit ihren Alben „Pocketrock“ (2001) und „Amplify The Good Times“ (2002) ihren Durchbruch, auch international, wie etwa in Japan
- Die Band macht immer wieder politisch gegen rechte und konservative Strömungen auf sich aufmerksam wie zuletzt beim Neujahrsempfang der AfD in Münster
- Ihren bisher größten Erfolg landeten die Donots mit der 2018 erschienenen Platte „Lauter als Bomben“, die sich auf Platz 4 der deutschen Charts platzierte Heute gelten die Donots neben den Toten Hosen und den Ärzten als eine der großen deutschen Punkbands
- Das 15 Songs umfassende neue Album „Heute ist ein guter Tag“ erschien am 3. Februar bei Solitary Man Records/Warner
- Die dazugehörige Tournee starten die Donots am 20. April im Substage in Karlsruhe. Am 22. April spielen sie eine Doppelshow im Schlachthof Wiesbaden um 13 und 19.30 Uhr.
- Die Festival-Lieblinge gastieren u.a. am 17. Juni beim Southside, am 10. August im Taubertal und beim Glücksgefühle-Festival auf dem Hockenheimring (14. bis 17. September, noch nicht konkret terminiert).
Konnten Sie das fassen?
Knollmann: Wir konnten das zuerst gar nicht glauben, aber als wir unsere Alben „Pocket Rock“ und „Amplify The Good Times“ quasi zeitgleich dort veröffentlichten, war Whitney Houston hinter uns. Es war surreal. Als wir in Japan unsere ersten großen Tourneen gespielt haben, wurden wir von Fans am Flughafen empfangen, Anhänger übernachteten für ein Autogramm in der Hotellobby und als wir im „Liquid Room“ in Shibuya spielten, musste uns die Polizei nach der Show auf der Hauptstraße eskortieren. Es war die Zeit, in der wir gemeinsam mit dem einflussreichen Sender Nippon TV Solitary Man gründeten, um Bands dort bekannt zu machen. Aus meinem Schlafzimmer in Münster promoteten wir Bands wie die Dropkick Murphys oder die Toydolls, wurden aber sogar von Placebo gefragt, ob sie ihre Musik unter unserem Label dort veröffentlichen dürfen. Als wir uns dann aus einem Deal mit BMG herausklagen mussten und kein Label unsere neue Platte „Coma Chamaleon“ unbedingt realisieren wollte, war uns klar: Wir müssen das selbst machen. Wir wussten, wie es geht – auch, wenn es unfassbar viel Arbeit war. Wir schrieben Mails an alle Radiostationen und Sender. Wir spielten in Leipzig nach vier Jahren Albumpause wieder vor 80 Zuschauern. Aber wir wussten, dass die Platte gut ist und konnten sagen: Wenn wir hinfallen, dann die Treppe hoch.
Eine Leichtigkeit, aber auch Souveränität, die auch das neue Album ziert – von der Kinderstimme, die den „Weltuntergang“ verkündet, bis hin zu „Radikale Passivisten“, das die Ironie des Nichtstuns konterkariert…
Knollmann: Nur als kleine Randnotiz: Das Mädchen, das man im Intro hört, ist die Tochter von Guido. Er hat das als Handyvideo zufällig während einer Fahrradtour aufgenommen und es passte einfach perfekt zu unserem Motto. Alles fühlt sich nach Apokalypse an, aber wenn jetzt gleich ein Komet einschlägt, schaust du nochmal kurz nach oben und denkst dir: Heute war ein guter Tag. So sind wir dann auch an das neue Album herangegangen, auf dem wir uns auf keinen Fall wiederholen, aber auch nicht so schwer und bedeutungsschwanger klingen wollten, als wäre Corona. Wir wollen Leichtigkeit erschaffen, wo es keine gab. Die Situation kennen wir hervorragend. Als Punkband stehen wir seit 30 Jahren knietief in der Scheiße. Wir haben gelernt, Fragen zu stellen. Wir haben gelernt, nicht alles zu schlucken. Wir haben aber auch gelernt, Schulter an Schulter zu stehen, gemeinsam Dinge einzureißen und etwas Besseres aufzubauen.
Um mit dem tatsächlichen Opener zu sprechen: „Auf Sie mit Gebrüll“. Doch selbst der Song macht ja klar: „Jede Mauer hat ‘ne Tür, wenn wir es so woll’n“ – das entsprechende Engagement vorausgesetzt…
Knollmann: Man muss nicht in die große Politik gehen, um die Welt zu verändern. Ich glaube auch nicht, dass ein Song die Welt verändert – aber er kann dabei helfen. Weil viele Menschen ihren Wirkungskreis total unterschätzen und gar nicht begreifen, dass sie einen guten Tag für sich und andere kreieren können. Am meisten stören mich dabei die Nörgler, die sich mit verschränkten Armen darüber beschweren, was alles passieren müsste, ohne selbst irgendeinen Beitrag zu leisten. Von denen würde ich mir zumindest wünschen: Wenn ihr schon den Arsch nicht hochkriegt, dann geht wenigstens aus dem Weg.
Wie man Widerstand mit Genuss feiert, durfte man ja zuletzt beobachten, als Sie den Kommentar zum Spontankonzert des AfD-Neujahrsempfangs in Münster, die Band fabriziere nichts als „dumpfen Krach“ augenzwinkernd für’s Eigenmarketing nutzten…
Knollmann: Wer eine solche Steilvorlage nicht volley aus der Luft nimmt, ist wirklich selbst schuld. Wir haben uns ja immer schon gefragt, wie wir unser Genre genau eingrenzen sollen – dass uns Daniel Zerbin von der AfD dabei hilft, hätten wir nicht erwartet. Dumpfer Krach: Davon muss es T-Shirts geben!
Wie sehr fühlt man auch als Punkband mit dem Erfolg der Donots die gesellschaftliche Verantwortung für Zusammenhalt in Zeiten der Spaltung?
Knollmann: Wir müssen hier zwei Dinge klar trennen. Live-Konzerte müssen abgefeiert werden und dürfen Eskapismus sein. Was ich brandgefährlich finde, ist die eigene Reichweite neben der Bühne nicht nutzen, um sich klar zu positionieren. Bei Bands wie uns ist das ja fast schon selbstverständlich, aber wenn sich zum Beispiel eine Helene Fischer für eine Zukunft gegen rückwärtsgewandte Ideologien positionieren würde, wie cool wäre das bitte? Denn in meinem Philosophie-Studium habe ich durch die Diskurstheorie von Habermas gelernt: Menschen ganz links oder ganz rechts wirst du kaum auf die andere Seite ziehen, aber all die Leute, die der Diskussion zuhören, die kannst du erreichen – und um die müssen wir kämpfen.
Mit „Endlich irgendwo“ wird nicht nur das Album beschlossen, sondern auch eine Ankunft zelebriert. Wo sind die Donots nach fast 30 Jahren angekommen?
Knollmann: Vorausgeschickt: Ich will nie irgendwo ankommen. Auch, weil wir wissen, dass alles, was wir tun, auf Sand gebaut ist. Erfolg ist keine Verbeamtung und die Sorge, dass er ausbleibt, ist auch den Antrieb. Wenn es mir um etwas geht, dann klarzustellen: Alles, was wir tun, ist Donots. Eine Freiheit, die wir uns erst erspielen mussten. Am Anfang haben wir uns immer ein ganz enges Korsett und das groß geschrieben, was alles nicht geht. Heute denke ich mir: Mach was du willst, aber mach es zu deinen eigenen Spielregeln – dann geht das klar. Bei dieser Überzeugung sind wir angekommen – und stolz darauf.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/treffen_artikel,-menschen-in-der-region-saenger-ueber-das-neue-album-der-donots-wollen-leichtigkeit-erschaffen-_arid,2047656.html