Mannheim. Danger Dan, Sie wirken nicht ganz glücklich über die Resonanz zu Ihrem Klavieralbum, darüber, dass da plötzlich Karl Lauterbach oder Sarah Connor Ihre Lieder feiern. Ich soll nun Lob von Konstantin Wecker ausrichten, der Ihre Soloplatte mit seinen Liedermacherkollegen aus dem Plattenschrank Ihrer Eltern mitinspiriert hat. Schlimm?
Danger Dan: Nein. Das freut mich sehr, wenn Konstantin Wecker das sagt, muss wohl etwas dran sein.
Sie haben das millionenfach geklickte Lied „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ bei Böhmermann mit Igor Levit und Orchester gespielt. Als vierhändiges Duett mit Wecker live oder in der „Anstalt“ – wäre das reizvoll?
Danger Dan: Ja, aber mit dem könnte man vielleicht auch einfach mal ein Bierchen trinken. Das würde mir völlig ausreichen. Man muss ja nicht immer mit allen Musik machen. In der „Anstalt“ möchte ich nicht auftreten.
Ihre Platte war schon vor Erscheinen auf Vinyl ausverkauft, die dritte Auflage wird am 2. Juli ausgeliefert. Dieser Erfolg war so nicht einkalkuliert, oder?
Danger Dan: Das stimmt. Wir hatten ursprünglich 200 Linol-Kunstdrucke gemacht zu dem Album, um die ersten 200 Leute anzulocken, und dachten auch, dass es ein bis zwei Wochen dauert, bis die weg sind. Die ursprüngliche Idee war, dass wir 2000 Schallplatten in einem Jahr davon verkaufen. Wir haben das unterschätzt, weil die Musik sowohl inhaltlich als auch musikalisch sehr limitiert ist. Also die Musik ist seit 1980 spätestens over, die Blütezeit der Liedermacher war dann eigentlich vorbei. Und auch solche antifaschistischen Kampfpamphlete kommen eigentlich in der breiten Bevölkerung selten so gut an. Das hat mich selbst etwas verwundert, aber ich freue mich natürlich auch über den ganzen Zustrom.
Wecker und Reinhard Mey haben aber schon noch ihr Publikum, es kommt auch etwas nach in der Liedermacher-Szene.
Danger Dan: Ich meinte damit auch eher diese Spielart „Mann am Klavier singt ein lustiges Lied“. Das ist ja eigentlich schon länger vorbei. Georg Kreisler hat das in den 1950ern schon gemacht. Und sowas hört man kaum noch. Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass irgendwelche Instagrammer da aufspringen und das total toll finden. Aber ich freue mich natürlich darüber.
Sie sind als Kind mit den Liedermachern quasi zwangsbeschallt worden. Was sagen Ihre Eltern zu dem kleinen, scheinbar unbeabsichtigten Meisterwerk?
Danger Dan: Ich glaube, das ist das erste Mal, dass meine Eltern ein Album von mir hören. Nicht weil sie solidarisch sind mit ihrem Sohn, sondern die mögen auch die Musikrichtung und sind ansonsten nicht so die Rap-Fans. Ich selbst habe ja nie eine Hannes-Wader-Platte freiwillig aufgelegt. Ich weißt ungefähr, wie diese Musik klingen kann und wie man so was machen kann. Das sind Erfahrungsschätze, die ich aus meiner Kindheit mitnehme.
Angesichts der Resonanz auf YouTube und in alten und neuen Medien hätte ich mir Gold für 100000 verkaufte Exemplare vorstellen können. Ist das unrealistisch?
Danger Dan: Das wär ja wunderschön, aber das wird die Zeit zeigen. Bestimmt nicht in der nächsten Zeit. Ich wüsste auch nicht, woher ich jetzt die ganzen physischen Tonträger nehmen sollte.
Vergessen wir die Zahlen: Als langjähriger Chronist politischer Popmusik würde ich den Song „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ schon jetzt auf eine Stufe mit „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten, Sascha“ von den Toten Hosen BAPs „Kristallnaach“ und Weckers „Willy“ stellen. Ist Ihnen das zu hoch gegriffen?
Danger Dan: Ich hab über so etwas noch nicht nachgedacht, mich überfordert der Vergleich eher. Das sind ja alles wahnsinnige Lieder, die auch meine Biographie mitgeprägt haben. Ich weigere mich da ein bisschen, mich da einzureihen. Ich bin sowieso etwas überfordert mit dem ganzen Lob – das kann ich jetzt so noch nicht annehmen. Ich finde auch den Rio Reiser-Vergleich, den ich heute gehört habe, sehr inflationär.
Sprechen wir über die sehr deutliche Ansprache im Lied „Das ist alles von der Kunstfreit gedeckt“ gegen Neurechte und Faschisten. In dem Video stehen Sie am Schluss mit einem Maschinengewehr und singen, dass wenn alles nichts mehr hilft, Militanz die letzte Instanz sei. Sie sind erklärter Pazifist, wie vereinbart sich das mit Kalaschnikow und Gewalt als ultima ratio?
Danger Dan: Ich verabscheue Gewalt. Aber ich sehe das wie Albert Einstein, der ein wackerer, militanter Pazifist war. Da muss dann an bestimmten Stellen den Frieden mit Gewalt durchsetzen. Die Polizei macht ja nichts anderes. Das ist ja auch nur organisierte Gewalt. Aber es gibt immer wieder und gab in der Vergangenheit Momente, in denen sie es nicht schaffte und dann die Zivilbevölkerung gefordert war. Der prominenteste Moment war vielleicht Rostock-Lichtenhagen, als die Polizei tagelang neben einem Lynchmob stand und nicht eingriff, als die anfingen, Leute in Flüchtlingsheimen zu attackieren und mit Brandsätzen zu bewerfen. Das war dann ein Moment, in dem eine antifaschistische Gruppe aus Hannover, Berlin und Hamburg anreisen musste, um das Schlimmste zu verhindern. Und von dem Zeitpunkt an – der mich sehr geprägt hat – gab es bis heute immer wieder solche Momente. Ich glaube, dass man mit einer Lichterkette oder einem nett geschriebenen Flyer prügelnde Mobs nicht aufhalten kann.
Waren Sie in der Hinsicht schon mal selbst … aktiv?
Danger Dan: Gleichzeitig verabscheue ich aber tatsächlich Gewalt. Ich bin auch einfach der Falsche dafür. Ich bin Klavierspieler und kein Boxer. Ich bin aber superfroh, dass es Leute gibt, die sich Nazis in solchen Momenten in den Weg stellen. Ich brauche das jetzt nicht tagtäglich, aber ich glaube, dass man nicht warten sollte, bis es zu spät ist. Von selbst wird sich so ein Nazi-Problem nicht lösen. Seit den 1990er Jahren wurden mehrere hundert Menschen von Nazis ermordet in Deutschland. Die Dunkelziffer ist riesengroß. In den letzten Jahren reihte sich ein rechtsterroristischer Anschlag an den anderen. Und man sieht dann immer, wie nah Sicherheitsorgane da dran sind, zum Beispiel am NSU, an dessen Aufbau der Verfassungsschutz praktisch mitbeteiligt war. Oder NSU 2.0, die Daten von Gegnern von Nazis von Polizeicomputern abgerufen haben, um sie dann Nazis zuzuspielen. Beispiel „Hannibal“: Wo ausgebildete Spezialeinsatzkräfte gleichzeitig auch zum Rechtsterrorismus neigen. Beispiel „verloren gegangene“ Munition von SEK-Einheiten, die dann bei Nazis wiedergefunden wird. Und so weiter und so weiter. Da verliere ich das Vertrauen in Sicherheitsorgane und glaube, dass man das Problem im Zweifel anders lösen muss. Und das wäre zum Beispiel auch der Moment in dem Lied, wo man ganz pazifistisch nicht mehr weit kommt. Ich glaube aber, dass man so ein Problem wie die AFD und den Rechtspopulismus nicht auf der Straße auskämpfen muss, sondern dass es da demokratische und politische Lösungen geben wird.
Die ausländerfeindlichen Pogrome rund um Rostock und nach dem Asylkompromiss ist damals tatsächlich die Zivilgesellschaft erfolgreich entgegengetreten, mit gigantischen Lichterketten-Aktionen wie in München, zwei großen All-Star-Rock-Festivals in Köln und Frankfurt – dann war der in der Öffentlichkeit auftrumpfende braune Spuk vorbei. Heute scheint es den meisten zu reichen, sich auf Instagram, Twitter oder Facebook zu empören, statt öffentlich zu zeigen, wie die Mehrheit denkt. Haben wir da etwas verloren?
Danger Dan: Ich glaube, dass man damals schon gesehen hat, dass der Nährboden für das, was sich in Rostock-Lichtenhagen im Vernichtungswillen geäußert hat, aus der Mitte der Gesellschaft kam. Es war die SPD, die damals in Deutschland de facto das Grundrecht auf Asyl abgeschafft hat. Jedenfalls war die Strategie total scheiße, zu sagen, das seien besorgte Bürger und man müsse denen zuhören und deren Sorgen ernst nehmen. Man muss die Sorgen von Menschen ernst nehmen, die von Rassismus betroffen sind oder nach Deutschland flüchten mussten und hier nicht das Recht haben zu arbeiten, sich frei zu bewegen. Aber nicht von irgendwelchen Wutbürgern, die montags in Dresden den Larry machen. Ich glaube auch nicht, dass wir das Problem so lösen, das wir hier in Berlin allwöchentlich und immer wieder vor der Haustür haben. nämlich die größten Naziaufmärsche, die es seit Jahrzehnten in Deutschland gegeben hat. Im Rahmen dieser Querdenken- und Anti-Corona-Proteste, bei denen tausende marodierende, randalierende Faschos vor den Bundestag ziehen, die Treppen stürmen wollen und sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern. Und so wirklich Gegenproteste sehe ich nicht, was auch mit Corona zu tun hat.
Zurzeit wohl vernünftig, oder?
Danger Dan: Ich selbst würde derzeit auch nicht zu Massenprotesten aufrufen. Aber es ist auch wichtig, denen nicht die Straße zu überlassen. Da hoffe ich, dass wenn wir in naher Zukunft geimpft sind, sich doch Widerstand formiert. Denn ganz unbeantwortet lassen kann man das nicht, wenn tausende von Faschos und Esoteriker Hand in Hand Friedenslieder singend den Holocaust verharmlosen.
Ist es nicht problematisch, dass sie mit Ihrer Reichweite das Podium der rechtsextremen Figuren verbreitern, über die Sie in „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ singen?
Danger Dan: Ich glaube, es ist besser, wenn ich von Jürgen Elsässer erzähle, als wenn man auf seinem merkwürdigen Blog landet und dort seine Hasspamphlete lesen muss. Das sind wichtige und prominente Figuren der rechtsextremen Szene. Götz Kubitschek gilt ja als Bindeglied zwischen militanten Neonazis und dem Flügel, also AFD-nahen Leuten. Er war auch beim Aufbau der identitären Bewegung in Deutschland maßgeblich beteiligt. Ich glaube jetzt nicht, dass ich einem randständigen Typen die Aufmerksamkeit gebe, sondern er spielt innerhalb dieser Szene eine sehr zentrale Schlüsselrolle. Ich würde mich stark wundern, wenn er wegen diesem Lied jetzt plötzlich mehr Anhänger oder Zuspruch findet. Ich glaube aber auch nicht, dass Leute, die ihn schon vorher kannten und ihm jetzt mehr abgewinnen können als ich, durch dieses Lied jetzt davon abkommen werden.
Kann man denn mit politischer Kunst oder besser: überhaupt mit Debatten und Argumenten gar nichts mehr bewirken?
Danger Dan: Das sind Ideologien, die sich abkapseln vom Rest der Welt, indem sie andere Argumente nicht mehr zulassen. Wie will man einen Antisemiten mit Fakten davon überzeugen, dass sein Welt-Verschwörungswahn Unsinn ist. Die würden eher, dass was du sagst, in ihren Verschwörungswahn einbauen, als darüber nachzudenken, dass das einfach Quatsch ist, weil die sich in einer Kreisargumentation befinden. Leuten, die nicht mehr auf Fakten vertrauen, nicht mehr auf Medien vertrauen, es sei denn, es sind ganz unkontrollierte, so genannte alternative Medien, was oft nichts anderes bedeutet als totaler Unsinn, denen wirst Du mit Fakten und Gespräche nicht mehr beikommen. Die Strategie muss eher sein, ihnen klar zu machen, dass sie sich verpissen sollen. Mit denen zu diskutieren ergibt keinen Sinn.
Das Lied „Das schreckliche Buch“ nimmt unter anderem Verschwörungstheorien ins Visier, seit Jahren ein Dauerthema Ihrer Band, der Antilopen Gang. Da waren Sie mit am frühsten dran in der deutschen Musikszene – wie kam es zu dieser Sensibilität? Durch Xavier Naidoo?
Danger Dan: Der Typ war ja schon immer wahnsinnig. Ich habe schon vor fünf, sechs Jahren ein Lied unter dem Pseudonym Baron Tothschild geschrieben, in dem ich nur Zitate von Xavier Naidoo teilweise wortwörtlich, teilweise nur sinngemäß aneinanderreihe. Ich wollte darauf aufmerksam machen, was für eine Scheiße er schon immer erzählt hat. Er redet seit 2011 davon, dass Deutschland besetzt sei und kein souveränes Land.
Wie fühlt es sich an, wenn bei Jan Böhmermann plötzlich ein Weltpianist wie Igor Levit die eigene Melodie in den Steinway streichelt, um Sie am Flügel zu begleiten – das muss für einen Punkrapper doch surreal sein?
Danger Dan: Ja, da ist mir noch einmal aufgefallen, dass ich doch mehr hätte üben können. Sogar die Lieder, die ich selbst geschrieben habe, spielt dieser Herr um einiges expressiver und schöner als ich. Mir hat seine Klavierinterpretation besser gefallen als meine. Aber Igor ist ein wahnsinnig lieber und netter Typ. Das ist ein Mann, der einen nicht unterbricht, sondern zuhört. Er hat ganz schnell gemerkt, dass ich furchtbar aufgeregt bin, und hat dann gesagt, singe einfach, und ich werde dich schön begleiten. Und das macht richtig Spaß mit ihm. Man stellt sich das vor wie eine Hierarchie, denn da kommt ein Typ mit einem kaputten Stage-Piano, ein Autodidakt, der keine Noten lesen kann, und spielt mit einem Grammy-nominierten Pianisten am Steinway. Man stellt sich das viel hierarchischer vor als es am Ende war. Ich hatte das Gefühl, wir machen zusammen Musik, und habe mich sehr aufgehoben gefühlt. Ich würde jederzeit wieder mit ihm spielen.
Sie könnten beim Heidelberger Frühling mit ihm Schubert singen.
Danger Dan: Ich fürchte, dass würde er sich nicht antun. Ich bin ja weder ein besonders expressiver Pianist, noch ein so wahnsinnig talentierter Sänger. Alles was ich kann, habe ich auf diese Platte gepackt, und viel mehr ist da wahrscheinlich auch nicht mehr drin.
Trotz enormer Nachfrage haben Sie 2021 keine Solo-Tournee geplant. Picknick-Konzerte mit 1000 Leuten zum Beispiel auf der Ladenburger Festwiese im Spätsommer müsste doch möglich sein, oder? Mit Musik mehr zum Zuhören als zum Rumspringen …
Danger Dan: Es wird irgendwelche Antilopen Gang-Konzerte unter Corona-Bedingungen geben, falls es nicht wieder zum Lockdown kommt. Aber ich finde das Problem um einiges größer, dass es Leute gibt, die auf Intensivstationen liegen und ersticken, als dass es keine Konzerte gibt. Und wenn man das gegeneinander aufwiegt, muss ich sagen, halte ich mich erst einmal zurück, bis wir alle durchgeimpft sind.
Und 2022 gastieren Sie dann beim legendären Liedermacher-Festival Burg Waldeck? Kurator Adax Dörsam aus Mannheim würde sich freuen….
Danger Dan: Wenn ich eingeladen werde, komme ich auf jeden Fall vorbei.
Antilope im Alleingang
- Danger Dan wurde am 1. Juni 1983 in Aachen als Daniel Pongratz geboren. Der Sohn des Pädagogik-Professors Ludwig A. Pongratz (TU Darmstadt). Ohne Abitur studierte er in Maastricht Musiktherapie. Das Studium brach er ab, um Profimusiker zu werden.
- Mit Koljah, NMZS (1984-2013) und seinem Bruder Panik Panzer (Tobias Pongratz) gründete Danger Dan 2009 die Antilopen Gang. Mit politischen, aber auch witzigen Texten sowie einer Mischung aus Hip-Hop und Punk veröffentlichten sie sechs Alben. 2017 schaffte es „Anarchie und Alltag“ auf Platz eins.
- Nach einigen EPs und Kollaborationen ist das gerade bei Warner Music erschienene „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ Danger Dans zweites Soloalbum. 2018 erschien „Reflexionen aus dem beschönigten Leben“.
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