Mannheim. Jan Delay, auf „Earth, Wind & Feiern“ findet man alles, was das lebenshungrige Herz begehrt: ein pralles Beat-Spektrum, die Quasi-Hochzeit Ihrer Reggae- und Funkphase, ein paar spannende Geschichten zwischen Nacht- und Familienleben, dazu einige Gute-Laune-Songs – wie bekommt man das alles in dieser tristen Zeit unter einen Hut?
Jan Delay: In dem man es einfach vor der tristen Zeit macht (lacht). Also die ganzen Sachen sammeln und vor allem mit der ganzen Band Disko No. 1 aufnehmen. Das wäre in unserem kleinen Studio unter Corona-Bedingungen gar nicht mehr gegangen. Und dann nutzt man die triste Zeit der Totalisolation, um daran ganz in Ruhe rumzuschrauben und die Platte fertig zu machen – ganz allein oder zu zweit. Wobei: Zwei Songs sind auch währenddessen noch entstanden.
Aber offensichtlich ohne expliziten Pandemiebezug. Warum?
Jan Delay: Ich habe mal versucht, so etwas wie einen Song mit Corona-Bezug zu schreiben. Weil die Pandemie nun mal stattfindet und das Album ja auch angehalten hat. Aber dann habe ich schnell gemerkt: Ich will das Virus überhaupt nicht auf meiner Platte haben. Es soll sich verpissen. Eine Platte ist ja für die Ewigkeit. Und warum sollte ich irgendwen irgendwann daran erinnern wollen? Deshalb findet das Thema einfach nicht statt. So kann man diese Stimmung transportieren, um die erste Frage zu beantworten. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte die Platte innerhalb der Pandemie-Zeit schreiben müssen – das wäre null gegangen! Nicht mit einer Silbe. Weil genau dieses Gefühl, was dann kam, diese Lähmung, diese Isolation und diese Angst vor dem Unbekannten, hat dazu geführt, dass ich in den ersten zwei, drei Monaten nicht eine Zeile aufschreiben konnte. Man wusste ja nicht, was alles aufs uns zukommt, und am Anfang hatte ich im Supermarkt das Gefühl ich explodiere, weil ich etwas angefasst habe, was vorher jemand anderes in der Hand hatte.
Trotz der positiven, oft partytauglichen Grundstimmung klingt Ihr Gesang manchmal etwas weniger knallig als man es von positiven Jan-Delay-Nummern gewohnt ist. Hängt das mit dem Pandemie-Gefühl zusammen?
Jan Delay: Mein Vater hat so etwas Ähnliches gesagt. Ich weiß auch nicht genau, wo das herkommt. Ich glaube, es hat eher etwas mit Wohlfühlen zu tun: dem Familien-Ding, der schönen Musik, der positive Vibe. Am Anfang habe ich zu meinem Freund und Produzenten Kaspar Wiens alias Tropf gesagt: „Wir machen einfach Musik.“ Und er hat geantwortet: „Wir machen einfach das, wir auf wir Lust haben – egal ob das nun eine Rock-, Funk- oder Reggae-Platte wird. Das ist scheißegal, wir machen einfach schöne Musik und haben Spaß bei der Sache.“ So entstehen vielleicht andere Harmonien und Lieder, die für mich ja die Grundlage zum Texten sind. Die werden dann auch positiver und das kann sich auf die Phonetik auswirken. Die Art, wie ich singe, hängt unter anderem von der Tonart ab. Darüber denke ich nicht nach, das passiert einfach. Aber das bringt auch mir Spaß, weil ich mich unterbewusst darüber freue, mich mal anders zu hören. Ich denke nicht: „Oh toll, jetzt klinge ich so lieb und mache nicht dauernd dieses Njanjanja.“ Aber es ist trotzdem der gleiche Gedanke, der dazu führt.
„Saxophon“ ist ein seltener Moment, in dem man etwas über Ihre Jugend und ihr engeres Privatleben erfährt. Weil Sie jetzt selbst Vater sind? Oder weil Sie wieder in Ihrer Heimatstadt Hamburg wohnen?
Jan Delay: Nein, das war zwar schon geplant, aber wir waren noch nicht umgezogen. Das Lied „Saxophon“ habe ich innerhalb von einem Tag geschrieben – und drei Tage, bevor Corona so präsent wurde, dass es einen komplett eingenommen hat.
Oder kommen Sie mit Mitte 40 in eine Phase, in der man über seine Wurzeln nachdenkt?
Jan Delay: Nö. Weder bei „Zurück“ noch bei „Saxophon“ habe ich mich hingesetzt und gesagt „Ich will jetzt unbedingt was über meine Familie und mein tiefstes Inneres schreiben.“ Das kommt einfach.
Wie läuft denn der Schreibprozess?
Jan Delay: Ich brauche dazu erstmal neue Musik. Egal, ob sie von mir ist oder von anderen Leuten – sie muss neu sein, wenn ich auf Play drücke. Dann habe ich das Glück, dass mir manchmal, vielleicht bei jedem dritten oder vierten Song, bei den Ideen für die Melodie auch schon eine Zeile zuweht. Das war bei „Feuer“ so, bei „St. Pauli“ – und bei „Zurück“ und Saxophon“ auch. Dann muss ich es hinkriegen, daraus einen Song zu machen. Lustigerweise klappt das auch immer.
Was war die zugewehte Zeile bei „Saxophon“?
Jan Delay: „Mama hat gesagt: Mach Dir keinen Kopf, mein Sohn, Papa hat ein Saxophon.“ Dann musste ich irgendwie die fehlende Einbauküche unterbringen, die auch typisch für uns war…dann geht es Pa-Pa-Pa-Pamm. Das ist selten, aber sehr schön. Bei „Zurück“ war die Zeile übrigens „Und dann stehst du da und weinst“.
Das ist ein berührendes Lied über die Abschiede von Ihrer Tochter, bevor sie lange unterwegs sind. Wie sehr schmerzt der Spagat zwischen Vaterrolle und dem Vagabunden-Dasein als Popstar? Beides liebt man ja und es gehört zur Persönlichkeit.
Jan Delay: Das schmerzhafte Gefühl ist irgendwann weg. Wobei ich gespannt bin, wie es wird, wenn ich irgendwann wieder unterwegs sein darf. Richtig Touren und so. Meine Tochter ist jetzt sieben. Bis Corona war es für sie total normal, dass Papa sowieso nur ungefähr die Hälfte der Zeit da ist. Seit Corona ist Papa immer da. Wir hatten jetzt fünf Tage Proben, aber hier in Hamburg, in derselben Stadt. Dass sie mich jetzt abends nicht sehen konnte, hat schon eine totale Krise ausgelöst. Das wäre vor zwei Jahren ganz normal gewesen und hätte sie gar nicht tangiert. Mal gucken, wie das jetzt wird. Aber das Gute ist, dass ich selbst so aufgewachsen bin. Ich weiß also, wie sich beide Seiten fühlen. Jetzt weiß ich, wie es für meinen Vater und meine Mutter war. Ich weiß aber auch, wie es sich für sie anfühlt – denn das war ich. Deshalb bilde ich mir ein, damit gut umgehen zu können.
Das Lied „Spaß“ dreht sich um besorgte Bürger mit Rechtsdrall. Das erinnert ein wenig an „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten. Ist es so einfach, dass manchen Leuten nur Kuscheln oder eben Spaß fehlt, um tolerant und offen zu sein?
Jan Delay: Das vereinfachen Sie jetzt ein bisschen zu sehr. Es geht vor allem darum, dass diese Leute sich über ihre eigene deutsche Brauntümelei nur im eigenen Saft drehen. Weil sie nichts von außen zulassen, dadurch nie den Spaß daran erkennen werden, so dass für immer alles beim Alten bleibt. Das soll auch ein Stück weit Verständnis zeigen: Wenn ich keine Musik mit Bass hätte, wäre ich vielleicht auch voller Hass. Ich kann also schon verstehen, dass sie so drauf sind, wie sie drauf sind. Aber es ist auch ihre eigene Schuld, wenn sie nichts zulassen in ihrem Bereich.
Zur Vorbereitung habe ich den Jan-Delay-Katalog mal wieder durchgehört. Wie geht’s Ihnen heute mit „Flashgott“ mit Xavier Naidoo oder „Söhne Stammheims“? Starke Lieder, aber schlecht gealtert, oder?
Jan Delay: Es ist komisch. Im März hatte das Album „Searching For The Jan Soul Rebels“ mit den Songs 20. Geburtstag. Da habe ich kurz drüber nachgedacht, ob ich dazu etwas posten soll, Aber die Leute kommen mir auch heute noch andauernd mit dieser Anzeige „Xavier ist kein Nazi“ von Marek Lieberberg in der FAZ, die ich vor sechs Jahren unterschrieben habe. Das würde ich heute nicht mehr tun. Aber ich stehe dazu. Ich habe es gemacht, weil ich es damals einfach nicht glauben konnte. Der Typ hat südafrikanische, indische und sri-lankische Wurzeln, macht Hip-Hop, Soul, R&B und hat mit uns allen Musik gemacht. Wir haben alle große Zuneigung zueinander verspürt. Ich habe ihn um 2015 auch noch ein, zwei Mal getroffen – da war alles normal. Zwei Jahre später habe ich mich mit Kool Savas ausgetauscht, dem ging es bis dahin wie mir: Wir konnten uns das einfach nicht vorstellen. Richtig eskaliert ist die Sache dann ja erst später.
Warum haben Sie sich nie dazu geäußert?
Jan Delay: Ich habe nichts dazu gesagt, obwohl alle etwas von mir wissen wollten, weil ich mir dachte: „Was bringt es der Sache, wenn ich jetzt vor fremden Leute ausschütte, was ich über jemanden empfinde, den ich mal als Freund und Kollegen bezeichnet habe? Was tut ihr immer so, als ob man Leute unbedingt in die Pfanne hauen müsste? Ihr habt doch gar nichts damit zu tun, Xavier Naidoo war euch doch vorher auch scheißegal. Was soll denn das?“ Da war es cool, im Sommer 2020 mal für ein längeres Gespräch auf meinem YouTube-Kanal Kool Savas zu treffen. Es war schön, mit jemandem darüber zu reden, der davon mindestens genau so betroffen ist wie ich. Den es genau so wurmt, und der genau so wenig weiß, was er tun oder sagen soll. Mit solchen Leuten tausche ich mich gerne aus und überlege, wie man damit an die Öffentlichkeit geht. Aber ich reagiere allergisch darauf, wenn wildfremde Leute, die am besten noch nicht mal etwas mit der Hip-Hop-Szene zu tun haben, von mir ein Statement verlangen, wie ich zu Xavier Naidoo stehe. Oder warum ich ihn nicht von meiner 20 Jahre alten Platte runternehme.
In Mannheim verstehen viele dieses Dilemma und sind nach wie vor der Meinung, dass Naidoo kein Rechtsextremer ist, auch wenn er teilweise so agiert, und dass das Problem wo anders liegt.
Jan Delay: Ja, so sehe ich es auch. Ich halte es für eine Art von Psychose. Eine Freundin von mir hat das seit vier Jahren und lässt sich nicht behandeln. Sie lässt exakt das gleiche Zeug ab. Wenn Sie Geld hätte und Leute, die für sie arbeiten, wäre sie in derselben Situation wie Xavier. Der hat niemandem, der ihm widerspricht oder sagt „Komm, wir gehen mal zum Arzt“. Die ganzen Vögel, die ihn jetzt auf YouTube und Co. interviewen – die lachen doch hinter seinem Rücken über ihn. Da nimmt ihn doch keiner ernst. Das ist tragisch.
Summer Cem rappt einmal „Bitch“ in „Kinginmeimding“, Sie einmal „Hurensohn“. Geht das heute noch, wenn Apache 207 seinen Künstlernamen ablegen soll, weil er damit die indigene Bevölkerung Nordamerikas kulturell ausbeutet. Dann dürfte man als hellhäutiger Hamburger eigentlich weder Reggae, Funk, Hip-Hop oder Soul spielen, oder?
Jan Delay: Ja, genau! Deshalb interessiert mich diese Diskussion auch nicht. Ich bin mit der Musik aufgewachsen, ich mach diese Musik und bin über Hip-Hop dazu gekommen. Und Hip-Hop ist eine einzige kulturelle Aneignung. Das ist seine Grundidee. Also: Ja, ich mache cultural appropriation. So habe ich Musikmachen kennengelernt. Und alle, die ich liebe und vergöttere, praktizieren auch musical appropriation. Ist mir egal, Hauptsache, der Reim ist fett.
Man könnte den Vorwurf gelten lassen, wenn er von James Brown käme…
Jan Delay: Nicht mal das. Er hat viel von Fela Kuti geklaut. Der dürfte sich beschweren. Oder Kraftwerk. Die können sagen: „Wir haben’s erfunden.“ Da gibt es nichts zu diskutieren.
„Nichts ist so kalt, wie der heiße Scheiß von gestern“ – ist eine der schönsten Zeilen auf dem Album. Aber nicht Ihr Ernst, oder? Sie sind doch selbst erklärtermaßen ein Musiklexikon und feiern in Sound und Text viel alte Musik.
Jan Delay: Ich finde die Zeile ganz groß. Ich habe sie übrigens von Sven Regener geklaut, der das mal in einer Talkshow gesagt hat. Das hat ja nichts damit zu tun, dass ich die Musik von früher nicht liebe. Mir ging es darum, dass man als Künstler, der lange im Geschäft ist, immer damit genervt wird: „Mach doch mal wieder wie früher!“ Für all die Kolleginnen und Kollege ist dieses Lied. Wir freuen uns doch auch über alte Musik, aber wir wollen natürlich nicht immer dasselbe spielen. Ich hau‘ ja auch nicht auf der Straße Leute an und sage „Du, die Hose, die du vor zehn Jahren getragen hast, war aber viel geiler. Trag die mal wieder und chill‘ mal mit deiner Ex-Frau von vor zehn Jahren. Leb‘ mal so wie vor zehn Jahren. Nur für mich. Das ist mir so wichtig, denn das erinnert mich an meine Jugend. Danke!“
Apropos: „Earth, Wind & Feiern“ oder Zeilen wie „Sie nannten ihn Mucke“ finde ich großartig. Aber erkennen alle Zielgruppen noch Referenzen an die Band Earth, Wind & Fire oder Bud-Spencer-Filme? Das kulturelle Gedächtnis scheint etwas nachzulassen, obwohl Musik und Filme so leicht zu bekommen sind wie nie zuvor.
Jan Delay: Okay, wenn man in Hip-Hop-Songs die 100. Line über „Scarface“ hörst, denke ich mir schon: „Okay, die zwölf- bis 30-Jährigen kennen nur einen Film. Ansonsten glaube ich das nicht. Das ist Kulturpessimismus. Ich glaube an die jüngere Generation und dass sie ihre Zugangsmöglichkeiten kennen und nutzen. Ich bin immer wieder positiv überrascht.
Wann?
Jan Delay: Wenn mir 20-Jährige erklären, das „Natural Born Chillas“ von 1996 mein bester Song wäre. Dann sage ich „Ne und da warst Du noch gar nicht auf der Welt.“ Und bekomme dann eine Analyse, warum das so ist, dass ich nur noch da sitze und sage „Wow! Krass“.
Schmerzt das mit dem Rockalbum „Hammer & Michel“ noch, das 2014 nicht der gewohnte Erfolg wurde?
Jan Delay: Ne! Sonst würde ich ja keine Zeile schreiben wie „Nach der Rockplatte, auf die keiner Bock hatte“ in der ersten neuen Single „Intro“. Es hat 2014 wehgetan, dann hat es sich gelegt. Als 2016 die Beginner-Platte „Avance Chemistry“ rauskam, war das obsolet.
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