Auf seinem neuen Album verarbeitet der Blur- und Gorillaz-Frontman Damon Albarn seine Eindrücke von Island, wo er einen Zweitwohnsitz hat. Beim Interview in einem Pariser Hotel gibt er sich ganz isländisch und erzählt von aktiven Vulkanen, schmelzenden Gletschern und versteckten Wesen.
Herr Albarn, auf Ihrem neuen Album huldigen Sie Island und der Natur. Die Platte erscheint, während in Glasgow der UN-Klimagipfel abgehalten wird. Zufall oder Absicht?
Damon Albarn: Reiner Zufall! Es sei denn, jemand in meiner Plattenfirma ist sehr, sehr zynisch, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Ich war mit diesem Album im April fertig, habe also ziemlich lange gewartet. Aber das lag zum Teil auch daran, dass die Herstellung von Vinyl mittlerweile bis zu einem Jahr dauert. Ich hatte also noch Glück.
Mit dem Brexit hat das ausnahmsweise nichts zu tun?
Albarn: Na ja, wenn du in England lebst, hast du das Gefühl, dass irgendwie alles mit dem Brexit zu tun hat. Es ist wirklich deprimierend.
Sie haben mal angedeutet, dass Sie Großbritannien verlassen würden, wenn der Brexit passiert. Was ist daraus geworden?
Albarn: Wie das mit Plänen so ist: Sie ändern sich. Ich bin isländischer Staatsbürger, kann dort also leben, falls ich das möchte, und wenn ich die Möglichkeit habe, fahre ich gerne dorthin, aber gleichzeitig hat sich alles sehr verändert. Meine Einstellung zu Flugreisen ist nicht mehr dieselbe. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt einen wirklich guten Grund haben muss, um in ein Flugzeug zu steigen. Und der ist meist beruflich.
Seit wann haben Sie den isländischen Pass?
Albarn: Seit ungefähr einem Jahr besitze ich die doppelte Staatsbürgerschaft. Wenn ich nach Island zurückkehre, um das Album vorzustellen, werde ich erstmals als Isländer einreisen, was eine schöne Sache ist.
Wie hat das mit Ihrer Island-Liebe angefangen?
Albarn: Als kleines Kind träumte ich immer wieder davon, über schwarzen Sand zu fliegen, hatte aber keinen geografischen Bezug dazu. Und später, mit Anfang 20, fand ich heraus, dass dieses Phänomen, von dem ich seit meiner Kindheit geträumt hatte, tatsächlich existiert. Natürlich gibt es das auch in Neuseeland und auf Hawaii, aber für mich war Island der Ort, von dem ich geträumt hatte. Es war der eigentliche Grund, warum ich überhaupt dorthin gefahren bin, was eine Offenbarung für mich war. Ich hatte also schon lange diese seltsame Beziehung zu Island. Der schwarze Sandstrand dort ist sozusagen der Schlüssel zu allem, was diese Platte ausmacht.
Mit isländischen Instrumenta- listen machen Sie sich nun die Musik des Landes zu eigen. Haben Sie Björk um Erlaubnis gefragt?
Albarn: Einer meiner besten Freunde ist Einar Örn Benediktsson, der seinerzeit bei den Sugarcubes mitgesungen hat. Im Zweifelsfall würde ich ihn fragen! Davon abgesehen fragen wir in Island nicht unbedingt für alles um menschliche Erlaubnis. Es wird vielmehr mit dem versteckten Volk kommuniziert, den Huldufólk. In Deutschland bezeichnet ihr sie wahrscheinlich als Feen, so wie wir in England. Das ist eine sehr ernste Sache. Um in bestimmten Gebieten bauen zu können, muss man sogar einen Feen-Anwalt beauftragen, der mit ihnen verhandelt.
Damon Albarn
Damon Albarn ist ein britischer Musiker und Sänger.
Albarn hat einen Wohnsitz in Reykjavík. Seit Januar 2021 besitzt er die isländische Staatsbürgerschaft.
Nach Blur, den Gorillaz und The Good, The Bad & The Queen widmet sich Damon Albarn auf seinem dritten Solo-Album ätherischen Balladen und auch mal jazzigen und orchestralen Instrumentalpassagen, die der Platte einen experimentellen Anstrich verleihen.
Album: Damon Albarn, „The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows“
Und das haben Sie gemacht?
Albarn: Klar, die Feen und Elfen haben nun mal ihre eigenen Anwälte! Bevor ich vor 20 Jahren mein Haus bauen konnte, musste auch ich einen konsultieren und einen Vertrag mit ihnen abschließen, weil es ja ursprünglich ihr Land war – und auch um sicherzustellen, dass sie mir keine Probleme bereiten. Sie sind ja nicht unbedingt bösartig, aber sie können wirklich durchaus verspielt sein …
Auf den Fotos Ihres Instagram-Acounts sieht man Sie hinter einem Holzklavier sitzen und direkt aufs Meer blicken.
Albarn: Das ist der Grund, warum diese Platte so ist, wie sie ist. Ich habe in Island vor der Pandemie an einem Projekt gearbeitet, bei dem ich aus dem Fenster blickte und mit Orchestermusikern spielte. Im Laufe eines Jahres haben wir versucht, diese Eindrücke oder – wenn man so will – Gemälde von der Landschaft, dem Wetterwechsel und dem Gletscher Snæfellsjökull in der Ferne zu kreieren. In vielerlei Hinsicht lässt sich dort eine sehr starke und signifikante Klimaveränderung beobachten, die Spitze des Gletschers hat sich dramatisch verkleinert, seitdem ich das erste Mal dort war. Es ist offenkundig. Er sieht noch immer erhaben und wunderschön aus, aber Tatsache ist, dass er verschwindet. Diese bedrückende Atmosphäre floss in unsere Musik ein.
Und dann kam die Pandemie.
Albarn: Ja, ich musste zurück nach England, nach Devon. In den ersten acht Monaten des Lockdowns habe ich nichts mit den Aufnahmen angestellt. Dann kam mir der Gedanke, die Sache wiederzubeleben. Also habe ich ein Liederbuch über die Probenzeit in Island geschrieben und darüber, wie das mit dem zusammenhängt, was gerade passierte. Eigentlich sollte die Platte durch und durch isländisch sein, aber Devon spielt in meinem Leben ebenfalls eine sehr große Rolle.
Inwiefern?
Albarn: Tatsächlich verbringe ich jetzt einen Großteil meiner Zeit auf meiner Farm dort. Es ist durchaus mit Island vergleichbar, denn sie liegt ebenfalls direkt am Meer, und vom Haus aus hat man einen ähnlich tollen Panoramablick. Der Song „The Cormorant“ erzählt davon, wie ich am Strand in Devon sitze und einen Vogel, einen Kormoran, bei seiner täglichen Jagd beobachte und mit ihm spreche.
Spiegelt der melancholische, ruhige Grundton der Platte Ihre heutige Persönlichkeit wider?
Albarn: Es ist eine Stimmung, in der ich mich häufig wiederfinde. Aber Damon Albarn kann auch lustig sein. Ich bin immer noch dieselbe Person wie Mitte der Neunziger. Ich verfüge nur über ein wenig mehr Erfahrung als damals, bin menschlich ein bisschen gereifter. Und meine Stimme ist eindeutig tiefer.
Die Gorillaz feiern dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum.
Albarn: Das ist schon verrückt für eine Band, die nicht mal existiert. Es war als ein einmaliges schräges Projekt mit Jamie Hewlett gedacht, aber sie sind immer noch da, und jetzt machen wir sogar einen Film auf Netflix. Wir sind jetzt richtig erwachsen!
Ist auch ein neues Blur-Album in Sicht?
Albarn: Grundsätzlich ist es möglich, dass wir mal wieder etwas machen. Doch ich verspüre da keinen Zeitdruck. Ich würde aber gerne mal wieder „Girls & Boys“ und „Parklife“ singen. Das macht mir einfach großen Spaß, und es sind schließlich meine Lieder.
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