Mannheim. Pierre Littbarski ist schuld. Ich weiß nicht, wann ich „Litti“ zum ersten Mal mit dem Ball zaubern sah. Ich weiß nur, dass ich als Kind den kleinen Freistoß-Schnippler mit den O-Beinen irgendwann ins Herz schloss. Ich fand „Litti“ gut - also musste ich zwangsläufig auch den 1. FC Köln, seinen Verein, gut finden. Ich wurde FC-Fan, bin es heute noch, stand zu Zweitliga-Zeiten zu meinem Verein und freue mich über die gute Entwicklung des Geißbock-Clubs.
Junge Menschen sind einfach gestrickt. Das Bild ist schön, der Opa alt, der Himmel blau. Ich war da keine Ausnahme. Da ich FC-Fan war, freute ich mich auch über Siege aller anderen Vereine aus Köln. Ich drückte den Hockey-Spielern von Rot-Weiss Köln die Daumen, fieberte mit den Korbjägern von Galatasaray - ja, so hießen die Kölner Basketballer Ende der 1980 für kurze Zeit. Und: Weil mich der rasante Eishockey-Sport schon immer faszinierte, war ich auch Fan des KEC, Fan der Kölner Haie. Und so hoffte ich auch an dem Tag, der mein Leben verändern sollte, auf einen Kölner Sieg.
Meine Eltern wissen heute nicht mehr, warum sie mir zu meinem 15. Geburtstag den Besuch eines Eishockey-Spiels geschenkt haben. Als ich den Gutschein am 7. Januar 1992 in Händen hielt, freute ich mich auf meine Live-Premiere. Mehr aber auch nicht. Ich zählte keine Tage - wie später zwischen zwei Spielen. Meine Hände wurden nicht feucht - wie später vor einem Heimspiel. Mein Herz schlug nicht schneller, wie später, als ich im Ford Fiesta saß und die 30 Kilometer von Nieder-Liebersbach im Odenwald in den Friedrichspark zurücklegte. Mit meinem Bruder Tobias, meiner Mutter Regina und meinem Vater Lothar brach ich am 19. Januar 1992 früh Richtung Mannheim auf. Wir stellten unser Auto am Stadion ab, liefen von dort in die Quadrate, um in einem Steakhaus zu Abend zu essen. Da leichter Schneefall einsetzte, fuhren wir mit dem Taxi zurück in den Friedrichspark. Wir hatten vier Sitzplatz-Tickets, mussten dementsprechend nicht so früh im Stadion sein.
Als wir aus dem Taxi stiegen, hörten wir die Trommeln, die Fans sangen sich warm. Der Friedrichspark, der wenige Stunden zuvor noch unscheinbar dagelegen hatte, war zum Leben erweckt worden. Wir nahmen völlig gebannt von dem, was da vor sich ging, unsere Sitze ein, viel Platz hatten wir nicht. Das war bei den frostigen Temperaturen aber auch gar nicht so schlecht, wir hielten uns gegenseitig warm. Und dann kamen die MERC-Spieler aufs Eis. Ohrenbetäubender Lärm. Frenetischer Jubel. Die Haie wurden mit einem gellenden Pfeifkonzert begrüßt. Wie das Spiel verlief? Ich kann es heute gar nicht mehr genau sagen. Ich weiß nur noch, dass sich beide Mannschaften einen großen Kampf lieferten. Zu meiner Entschuldigung sei gesagt: Ich war aber auch viel zu sehr mit dem Drumherum beschäftigt. Die Regeln waren mir noch ziemlich unbekannt, manche Schlachtgesänge verstand ich nicht. Gut, das einpeitschende „Heja, heja MERC“ ging bis ins Mark. Aber warum die Fans plötzlich einen „Jason Worm“ ankündigten, fragte ich mich schon, welcher Wurm - vielleicht eine Abwandlung der La Ola - gleich durchs Stadion schwappen würde? Es war keine Kreation der Anhänger, wenig später hatte MERC-Trainer Jiri Kochta ein Einsehen und brachte Jason Hall, diesen Stürmer, der das „Druff un dewedder“ des Mannheimer Eishockeys vielleicht so perfekt verkörperte wie kein Zweiter.
Mit einem 3:3 ging es ins Schlussdrittel. Mein Vater war in der zweiten Pause verschwunden. Dann kam er zurück auf seinen Platz, trug einen blau-weiß-roten MERC-Schal um den Hals. „Willst du den haben?“, fragte er mich. Und ob ich wollte. Noch heute liegt mein erstes MERC-Souvenir zu Hause in meinem Büro in einer Glasvitrine.
Andreas Lupzig schoss die Haie in der 42. Minute zum 4:3-Sieg. Die meisten der 7500 Zuschauer gingen enttäuscht nach Hause. „Der Kölner EC für den MERC zu ausgefuchst“ , schrieb der „Mannheimer Morgen“ am nächsten Tag über das packende Duell.
Ich war angefixt. Ich war als KEC-Fan in den Friedrichspark gekommen, ich verließ ihn als MERC-Fan. Diese Stimmung - sie sollte kein einmaliges Erlebnis gewesen sein. Als Schüler konnte ich mir die Eintrittskarten aber kaum leisten. Insofern war es ein Glücksfall, dass ausgerechnet die Mitglieder des Fanclubs „Die Ourewäller“ einen Teil des Ordnungsdienstes im Friedrichspark stellten. Ich trat in den Fanclub ein, in dem ich später die Pressearbeit übernahm. Anfangs brachte mich meine Mutter zu den Spielen, später bildete ich mit den Fanclub-Mitgliedern eine Fahrgemeinschaft. Auch mein bester Freund Daniel Wolk war bald Feuer und Flamme für den MERC, natürlich führten wir die Punktestatistik von Jiri Lala, Dieter Willmann & Co. in einem kleinen Notizbuch. Mit meinem Bruder Tobias und dessen bestem Freund Tobias Hassel traten sogar zwei KEC-Fans, die wir nicht bekehren konnten, in den Ordnungsdienst ein. Mit Jungs wie Christian Seidel, Thomas Berg, Claas Olehowski und Klaus Hornung zogen wir nach den Spielen noch um die Häuser - meistens nach einem ersten Stopp in der Weinheimer Kneipe des legendären Stadionsprechers Udo Scholz - oder zockten NHL auf der Playstation.
Unsere Aufgabe im Stadion war, das Tor hinter der Stadion-Gaststätte zu bewachen. Trainer, Spieler, der MERC-Nachwuchs, die Polizei und die Sanitäter durften hier rein, alle anderen mussten draußen bleiben. Ich erinnere mich noch gut an die Finalspiele Ende der 1990er Jahre. Nicht nur einmal wurden uns 200 D-Mark angeboten, um jemanden ins ohnehin schon übervolle Stadion zu schmuggeln. Jedes Mal widerstanden wir der Verlockung. Und das, obwohl wir in der Hackordnung der Ordner an letzter Stelle standen.
Unseren Job wollte niemand übernehmen, weil wir von unserem Tor die Eisfläche nicht einsehen konnten. Zweieinhalb Stunden vor Spielbeginn mussten wir vor Ort sein, hofften darauf, dass möglichst viele Ordner zum Dienst erschienen - vor allem jene, die mit unserer Aufgabe betraut waren. Denn die Rechnung war einfach: Je mehr da waren, desto kürzer musste man am Tor ausharren. War man zu sechst, verpasste man also nur zehn Minuten. Dumm nur, wenn ausgerechnet in dieser Phase das Spiel entschieden wurde. Aber egal. Wir waren glücklich, dabeisein zu können, ein Teil unseres Vereins zu sein.
An Freitagnachmittagen saß ich im Musik-Grundkurs bei Herrn Lehr, MERC-Kutte und -Schal in der Tasche, Ordner-Jacke über dem Stuhl. Und dann, beim letzten Läuten, raus aus der Schule, rein in die blau-weiß-roten Klamotten und ab Richtung Mannheim. Einmal war ich so aufgeregt - es muss ein ganz wichtiges Spiel gewesen sein -, dass ich die ganze Strecke mit angezogener Handbremse zurücklegte. Das fiel mir erst auf, als ich am Friedrichspark ankam. Trotz allen guten Zuredens: Zurück schaffte es der Fiesta nicht mehr, ein Kollege aus dem Fanclub brachte mich nach Hause.
Wir erlebten die Meisterschaften 1997 und 1998 im Friedrichspark, wie beim ersten Titelgewinn nach 1980 die ganze Stadt mit den Adlern feierte. Wir waren 1999 im alles entscheidenden fünften Finale in Nürnberg dabei, als Jan Alston das 3:2 schoss und Stéphane Richer kurz vor Schluss auf der Linie den Sieg rettete und später den Pokal, auf dem Mannschaftsbus stehend, den vor dem Friedrichspark wartenden Fans präsentierte. Zwei Jahre später jubelten wir Mike Stevens zu, als er uns in der Verlängerung in München den vierten Titel in fünf Jahren bescherte. Wir machten viele Auswärtsfahrten zu einem Ereignis, ab und zu erfuhr der eine oder andere das Ergebnis des Spiels erst am nächsten Tag aus dem Videotext.
Wir weinten beim Abschied vom Friedrichspark, und irgendwann verschoben sich in unserem Leben die Prioritäten. Der Job, die Familie. Das kennt man ja. Aber: Es war eine verdammt geile Zeit! Ich bin Pierre Littbarski noch heute zu großem Dank verpflichtet, dass mich seine Dribblings in den Bann zogen. Er war der Auslöser einer Kettenreaktion, die mir das Erlebnis Friedrichspark ermöglichte.
In einer Serie werden wir in loser Folge Erinnerungen präsentieren, die Leserinnen und Leser, aber auch Redakteurinnen und Redakteure mit dem alten Eisstadion verbinden. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Friedrichspark? Schreiben Sie uns – gerne auch mit Bildern – an lokal@mamo.de.
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