Mannheim. Medizinische Geräte piepen. Ein gleichmäßig hoher Ton. Eine Frau steht auf dem Flur der Frühchen-Intensivstation der Universitätsmedizin Mannheim (UMM). Sie redet viel und wirkt aufgeregt. Sie wühlt zusammen mit anderen Frauen in farbigen Babyklamotten. Sie tauschen freudige Blicke. „Wir haben auch ein Kleidungsstück mit Pumuckl drauf. Da müssen wir so lange warten, bis ein rothaariges Frühchen kommt und das bekommt“, sagt sie und lacht.
Vorteile von selbstgenähter Frühchenkleidung: Ein Stück Normalität
Die quirlige Frau ist Julia Heffner. Sie ist die Vorsitzende des Elternkreis Frühgeborene und kranke Neugeborene Mannheim. Sie war vor Jahren selbst Mutter zweier Frühchen. Sie kennt Sorgen und Nöte der Eltern – aber auch die Bedürfnisse der Kleinsten. Sie weiß: Oft fehlt Kleidung, die etwas Normalität in die Lage bringt. Bunt statt Krankenhausweiß. Hosen, T-Shirts und Strampler für Babys, die gerade mal etwas mehr wiegen als eine Packung Butter.
Die Gruppe, die sich um sie schart, besteht aus leidenschaftlichen Näherinnen aus der bundesweiten Facebookgruppe „Nähen für Regenbogenkinder und Frühchen“ und vom Kreativkreis Ilvesheim. Sie sind heute in die UMM gekommen, um ihre neuesten Modestücke für die Kleinsten zu überreichen.
Besondere Bedürfnisse von Frühgeborenen: Mannheimer nähen Frühchenkleidung
Blick hinter die Tür in einen abgedunkelten Raum. Eine Intensivschwester geht hinein. Man sieht einen kleinen Brutkasten. Ein winziges Frühchen liegt darin. So ruhig, dass es fast reglos erscheint. Die Arme liegen ganz gerade neben dem Körper. Wieder das Piepen und der Verlauf von Blutdruck und Puls am Gerät. Rechts im Raum ein Vater: Er hat sein kleines Häufchen Mensch auf der Brust. Er macht das sogenannte Känguruhen, bei dem das Baby nackt auf der Brust des Vaters liegt und durch Hautkontakt Entwicklung und Bindung gefördert werden.
Das kleinste Frühchen, das wir hatten, wog 380 Gramm.
Heffner sagt: „Es könnte sein, dass ihr zwei Liter Schnaps braucht, nachdem ihr diese Station besucht habt.“ Sie führt weiter durch die Räume, wo sie auch einen Beratungsort hat – dort hilft sie Frühcheneltern etwa bei sozialrechtlichen Fragen.
Weitere Stationsschwestern und Pfleger kommen heraus. Säckeweise nehmen sie die Kleidung mit Aufschriften wie „Kleiner Kämpfer“ entgegen. Mut machen soll sie, diese Kleidung. Sie sind gerührt. Auf der Frühchenintensiv geht es oft um Leben und Tod. Die Klinik für Neonatologie ist nicht nur spezialisiert auf das Behandeln von Frühchen, sondern auch von oft schwerkranken Neugeborenen.
Spezielle Kleidung hilft Frühchen an der Grenze zur Lebensfähigkeit im Brutkasten
Die Kleidung sieht dementsprechend aus: Westchen, durch die Schläuche gut durchpassen. Socken, die die nackten Babys wärmen, dabei aber nicht einschnüren. Aus Wolle dürfen sie nicht sein, aus hygienischen Gründen, erklärt Stationsleiterin Sonja Skrzipczyk. Auch kratzen sollte nichts – am besten sind Baumwollstoffe und Jersey.
Die Auswahl an Klamotten erschlägt einen fast. Es tauchen Dinge auf, die sicher manch einer noch nie gesehen hat: Etwa Spucktücher, die aussehen wie riesige Damenbinden. Auf ihnen können die Frühchen dann an der Schulter liegen. Oder sogenannte Pucksäcke, in die die Kleinen wie in Schlafsäcke eingepuckt werden, also eingewickelt, um ein Mutterleibsgefühl nachzuahmen. Löwen, Mäuse, Maulwürfe – auch die Muster der Stoffe sind vielfältig.
„Wir freuen uns immer über Stoffspenden“, sagt Stefanie Avril, die beim „Mannheimer Morgen“ das Redaktionssekretariat leitet und sehr aktiv in der Nähgruppe ist. „Auch wenn jemand St. Pauli-Fan ist: Bitte nichts mit Totenköpfen nähen, weil hier wirklich Leben am seidenen Faden hängt“, sagt Hanna Beckemeier vom Kreativkreis. Ihre Mitstreiterinnen Ruth Knester und Christine Schädel wissen: Fast kein Shop führt so kleine Klamotten, wie sie hier benötigt werden, mit Ausnahme einiger Onlineshops oder DIY-Stores.
„Könnt ihr das uns noch einmal in noch kleiner nähen?“, sagt derweil Stationsleitung Skrzipczyk, während sie sich entzückt durch die Kleidung wühlt. „Das kleinste Frühchen, das wir hatten, wog 380 Gramm“, erzählt sie. Immer wieder huschen Eltern über den Flur in Räume zu den Brutkästen. Selten hat man so viele sorgenvolle Blicke von jungen Eltern gesehen. Heute können laut Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ selbst Frühgeborene überleben, die vor der vollendeten 24. Schwangerschaftswoche geboren wurden und weniger als 500 Gramm wiegen. Allerdings ist ihr Risiko für dauerhafte körperliche und geistige Beeinträchtigungen relativ hoch.
In Mannheim liegen viele Frühchen, die beatmet werden. Manche kommen aus anderen Städten oder aus dem europäischen Ausland mit dem Helikopter per Spezialtransport: „Wir hatten mal ein Frühchen, das kam direkt nach der Geburt aus Chemnitz mit dem Heli“, erzählt Heffner. „Leider ist es zwei Tage später hier gestorben.“ Heffner: „Aber die Mutter, das blieb mir in Erinnerung, sagte damals: ,Danke, dass ihr versucht habt, mein Kind zu retten.‘“ Die Frauen in der Gruppe sind ganz still.
„Ich habe ein ganzes Lager an Babyzubehör zu Hause. Hier gibt es Familien, die sind so arm, da würden die Babys sonst nackig hier rausgetragen.
Vielen der Kleinsten aber kann durch die hohe Spezialisierung in der UMM geholfen werden. Sogar im Mutterleib werden dort Kinder bereits operiert – mit großem Erfolg, etwa bei der Fehlbildung des offenen Rückens. Neben der Intensivstation gibt es eine Station, auf der die Frühchen liegen, bei denen es bergauf geht. „Manchmal ist das große Glück ganz klein“, steht an der Wand geschrieben.
Auch für diese Frühchen haben die Frauen schon genäht, unter anderem in den Räumen des „Mannheimer Morgen“. Der Kreativkreis der Evangelischen Kirche Ilvesheim registrierte damals den Zeitungsbericht und organisierte daraufhin ein eigenes Frühchen-Klamottennähen. „Es waren so viele dabei, es ist richtig eingeschlagen, und somit werden wir es am Samstag, 7. März 2026, wieder im Evangelischen Gemeindehaus Ilvesheim, Neue Schulstraße 10, anbieten“, sagt Hanna Beckemeier. Auch beim SV 98/07 Seckenheim wird am 12. Oktober 2025, 10 bis 17 Uhr, wieder genäht.
Der Nähtreff veranstaltet regelmäßige Events und ist immer auf der Suche nach größeren Räumlichkeiten mit Tischen, in denen er seine Arbeit ausüben kann. Auch Stoffspenden können beim Kreativkreis oder Stefanie Avril (am Empfang des „Mannheimer Morgen“) abgegeben werden. Kriterien für Stoff- und Materialspenden sind: mindestens 20x40 cm groß, bei höheren Temperaturen waschbar, besonders benötigt werden aktuell Bündchenstoffe.
Julia Heffner sagt indes: „Ich habe ein ganzes Lager an Babyzubehör und anderen Babyklamotten zu Hause. Denn in Mannheim gibt es viele Familien, die sind so arm, da würden die Babys sonst nackig hier rausgetragen.“ Heffner weiter: „Ich habe mittlerweile daheim auch einen zur Not einsetzbaren Buggy und eine Babyschale stehen. Man weiß nie, was kommt.“
Die Gruppe verlässt die Station. „Und wenn Sie mal ein echtes Frühchen sehen wollen, dann gehen Sie mal in die Buchhandlung Waldkirch in Feudenheim. Dort arbeitet mein Großer heute...“, sagt Heffner und sieht in diesem Moment so glücklich aus.
Kontakt:
- Facebook-Gruppe Nähen für Regenbogenkinder und Frühchen
- Instagram-Seite des Kreativkreis Ilvesheim
- Kreativkreis Ilvesheim - kreativkreisilvesheim@web.de
- Stefanie Avril - savril@gmx.de
- Elternkreis Frühgeborene und kranke Neugeborene - info@fruehchen.de
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