Vom Hanf zur Hightech

Noch bis in die 1970er gehörte die Schwäbische Alb zu den führenden Textilregionen, dann ging es bergab. Doch einige Hersteller überlebten und schreiben erfolgreich am nächsten Kapitel der Textilgeschichte auf der Alb.

Von 
Bettina Bernhard
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Studentinnen und Studenten von Professorin Manuela Bräuning sollen selbst Hand anlegen: Auf dem Lehrplan der Textilstudiengänge an der Hochschule in Albstadt stehen auch Entwurf und Fertigung von technischen und modischen Textilien. © Schwäbische Alb Tourismus/Julia Metzmann

Eine bunte Riesenmasche in der Fußgängerzone von Tailfingen, einem der neun Ortsteile von Albstadt, lädt ein zum Selfie – und weist den Weg ins Maschenmuseum. Drinnen in der alten Textilmaschinenfabrik geht es weniger bunt zu. Braun, Beige und Schwarz dominieren den Anfang der Textilgeschichte vor gut 300 Jahren. „Auf der Alb ist es immer einen Kittel kälter und die Äcker bringen mehr Steine als Kartoffeln hervor“, fasst Museumsführer Tim Delle die Lebensbedingungen bei 6,5 Grad Jahresdurchschnittstemperatur zusammen.

Praktisch aber unbequem waren die Hemden, Hosen und Röcke aus Flachs, Hanf und Leinen, welche die Bauern selbst herstellten und „bis zum Gehtnichtmehr reparierten“, wie Delle weiß. Dazu kam kratzig-Wollenes vom Schaf. Mit der Verbreitung der Merino-Landschafe auf der Alb und dem Einsatz von Webstühlen wurde aus dem Selbstzweck bald Strategie. Historische Spulmaschinen, Rundwirkstühle und Strickmaschinen zeugen von der Kreativität früher Maschinenbauer.

Kunstvolle Dekostoffe und feine Negligés

„1896 war ganz Albstadt voller Fabriktürme“, zeigt Delle an alten Aufnahmen. Längst wurden auch Baumwolle, andere Natur- und erste Kunstfasern verarbeitet, rund 350 Betriebe allein in der Region Albstadt schufen Textilien aller Art – von kunstvollem Dekostoff bis zum fein gewirkten Negligé. Mit der Globalisierung in den 1970ern verschwanden die meisten Firmen, nur gut ein Dutzend blieb übrig, darunter bekannte Namen wie Mey, Trigema, Comazo oder Gonso.

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Wie sie es schafften, auf dem Weltmarkt zu bestehen, zeigt ein Firmenbesuch bei Mey in Albstadt-Lautlingen. „Das Wichtigste sind gute Zutaten: Biobaumwolle aus Indien, Peru und Ägypten“, sagt Guido Buck, Exportleiter bei dem Familienbetrieb. 1300 Mitarbeiter weltweit beschäftigt Mey, 600 davon in Deutschland, die meisten am Firmensitz in Albstadt. In einem Saal surren futuristische Maschinen, Propeller verwirbeln den Faserstaub, Fäden laufen kreuz und quer, ungezählte Spulen drehen sich. Buck lüftet das Geheimnis von Mey und reicht ein Stückchen gestrickte Baumwolle.

Tausendsassa Rudi Loder

Es ist weich und geschmeidig. Er reicht ein zweites Stück. Das ist noch weicher und geschmeidiger. Das dritte Stück schließlich lässt an Seide denken. „Das ist unser selbstgesponnenes Garn pur, nach der ersten und nach der zweiten Veredelung“, löst er auf. Wie genau veredelt wird, verrät er nicht, denn dieses Tüftlerpatent ist der Schatz der Firma. Nur so viel: „Es ein rein mechanisches Verfahren, da sind weder Chemie noch Faserbeimischungen im Spiel.“

Feine Stöffchen für Wäsche

Aus dem feinen Stöffchen wird auch Wäsche gemacht, das ursprüngliche Handwerk und heute eines von drei Standbeinen: Wäsche, Dessous und Nachtwäsche, rund 35 000 Teile pro Tag. „Wir machen alles selber außer Färben und ein paar Wirkstoffen“, sagt Buck. Die Kunstwerke der 120 Näherinnen kann man im Werksverkauf bewundern.

Zentrum der Textilindustrie auf der Schwäbischen Alb

Die Geschichte des Hauses ist überall lebendig. Im Treppenhaus werben alte Plakate, im Obergeschoss residiert das Nähmaschinenmuseum. 434 Exemplare hütet Renate Stockert, die ältesten aus Holz von Anfang des 19. Jahrhunderts. 39 Nähmaschinen sind Unikate, wie sie stolz erzählt – so ein Prachtstück aus Kirschbaum-Wurzelholz mit vergoldetem Körper, das zum Ende des Sezessionskrieges in USA 1866 gefertigt wurde. Oder die Nähmaschine des Herstellers Lion, die sich in einem Löwenkörper zum Aufklappen verbirgt.

Der beharrliche Glaube an Qualität und bewährte Technik sowie der hartnäckige Überlebenswille der Älbler – das passt auch auf Rudi Loder. Er produziert auf museumsreifen Maschinen Stoffe für die Slow-Fashion-Marke Merz beim Schwanen des Berliner Designer-Paares Gitta und Peter Plotnicki. An deren Weg bis nach Hollywood ist Loder nicht ganz unschuldig. Das kam so: Rudi Loder, gelernter Metzger, schult um zum Textilfachmann aus Leidenschaft. Auch er steht in den 1980ern vor dem Aus. Doch statt zu jammern, siedelt er samt seinem Maschinenpark um nach Bangladesch, wo er mit Klima, Arbeitsmoral und Behördenwillkür kämpft – und verliert.

Film- und Fußballstars in den Maschen von der Alb

1997 kehrt er heim nach Albstadt und übernimmt 2004 die Textilfirma Gota samt ihren altehrwürdigen Rundwirkstühlen. Er kämpft um die Stammkunden und verscheuert alte Lagerbestände. So gelangt „Opas Hemd“, ein solides Wirkstück mit Knopfleiste und Schweißband, auf einen Berliner Flohmarkt. Plotnicki findet es und macht sich auf nach Albstadt.

Rudi Loder sagt, klar könne er solche Hemden fertigen auf seinen alten Maschinen, aber „wer bitte soll dieses alte G’lump denn kaufen?“. „Wirst sehen“, sagt der Berliner und behält Recht. In den Maschen von der Alb stecken bald Fußballstars und Hollywood-Größen. Die bis zu 120 Jahre alten Maschinen laufen heute noch. Bedienen können sie junge Talente, die ein extra reaktivierter Rentner schulte. Dass es Nachwuchs in der Textilindustrie gibt, liegt (auch) an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, die mehrere Textilstudiengänge in Albstadt-Ebingen anbietet. Hier lernen und lehren stilecht in einer ehemaligen Textilfabrik die Studenten und ihre Ausbilder, und das mit viel Praxis. Isabell Schweizer, die Laborleiterin der Textiltechnologie, liebt ihre Maschinen – vor allem „die zum Kaputtmachen“: Hier werden alle möglichen Textilien stundenlang gescheuert, gezogen, gedehnt oder mit Drehscheiben und Druck auf ihr Pillingverhalten getestet.

Puppen tragen kunstvoll gestrickte Pullover

Professorin Manuela Bräuning führt durch einen Saal voller Überraschungen. Puppen tragen kunstvoll gestrickte Pullover oder asymmetrische Röcke, bullige Jacken und filigrane Blusen – definitiv keine Stücke „von der Stange“ sondern kreative Mode. „Jeder muss mal schneidern und mal an die Strickmaschinen und eine Reihe von Aufgaben bearbeiten“, erklärt die Professorin. Dazu kommen technische Projekte wie ein Stoff, dessen Aufdruck bei Hitze sichtbar wird und warnt „Heiß“. Oder ein Sporttrikot mit gummierten schwarz-rot-goldenen Streifen über der rechten Hüfte – „das haben wir entwickelt für die deutschen Athleten bei der Tauzieh-WM“. Textil ist in Albstadt nicht nur Geschichte, sondern auch Zukunft.

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