Wo der Mann abgeblieben ist, der nur kurz Zigaretten holen wollte und dann nie wiederkam? Eine heiße Spur führt nach Luzern. Alles in der Stadt am Vierwaldstätter See kommt so charmant, lässig und kultiviert daher, dass wohl jeder in Versuchung geraten könnte, einfach abzuhauen, um die Tristesse des heimischen Alltags gegen die schönste Schweizer Stadt zu tauschen. Das ging selbst Dichtern, Königen und Komponisten schon so, die regelmäßig anreisten und vom Zauber der Luzerner Bucht und der Seeuferpromenade mit ihren mondänen Belle-Époque-Bauten schwärmten. Aber keine Angst, die Stadt lässt sich auch ohne Schweizer Bankkonto genießen. Zum Start einfach die Rolltreppe nehmen!
Die führt im Kaufhaus Manor in die oberste Etage zum Selbstbedienungsrestaurant. Selbstbedienung - das klingt nach klebrigen Tischen, pappigen Brötchen und Kaffee, der nach Entkalker schmeckt. Doch in den Manora-Restaurants der größten Warenhauskette der Schweiz bereiten die Chefs Pizza, Pasta und Pfeffersteak frisch zu, ohne Haubenkoch-Schnickschnack, dafür mit guten, meist regionalen Zutaten der Saison. Das Allerbeste ist jedoch das Panorama, das einem auf der Dachterrasse serviert wird. Dort oben kann man beim genussvollen Verspeisen von Aprikosenwähen mit den Augen über Luzerns Dächer spazieren, bis hinüber zum See und den umliegenden Bergen, und versteht bei diesem Anblick, warum bereits der französische Autor Alexandre Dumas schrieb: „Luzern ist eine Perle inmitten der schönsten Auster der Welt.“
Luzern
Anreise Mit dem Zug via Basel oder Zürich nach Luzern. www.sbb.ch, www.bahn.de
Unterkunft Hotel Le Stelle im historischen Zentrum, DZ/F ab 177 Euro, www.lestelle.ch. Art-déco-Sti im Hotel Montana. DZ/F ab 270 Euro, www.hotel-montana.ch. Perfekt für einen Städtetrip ist an der Kapellbrücke das Hotel Des Alpes. DZ/F ab 220 Euro, www.desalpes-luzern.ch
Essen und Trinken Feine Schokolade, traditionell hergestellter Käse und selbst gebrautes Bier im Simply Bar & Coffee, www.simplyfine.ch Nachhaltig, frisch und vegan im Restaurant Pura gekocht, www.pura-luzern.ch Beste Fondues im Zunfthausrestaurant Pfistern, in der Gaststätte Moosmatt und auf dem Raddampfer Wilhelm Tell, www.restaurant-pfistern.ch, www.moosmatt-luzern.ch, www.schiffrestaurant.ch
Allgemeine Informationen www.luzern.com www.myswitzerland.com
Besondere Attraktivität gewinnt diese Perle durch ihre unverwechselbare Vergangenheit. Man kann über die mittelalterliche Museggmauer flanieren, in der ältesten See-Badi der Stadt planschen oder sich in ihren Gassen voller historischer Prachtbauten und freskengeschmückter Zunfthäuser verlieren. Rund 200 unübersehbare Mauerkunstwerke aus fünf Jahrhunderten fordern zu einem Rundgang durch Luzerns Open-Air-Galerie der gemalten Stadtgeschichte auf. Eine der schönsten Malereien prangt unübersehbar auf der Fassade der alten Cysat-Apotheke am Weinmarkt - der Baum der Erkenntnis. Um seinen Stamm windet sich die Paradiesschlange, bis sie schließlich als barbusige Eva zwischen den Ästen der Krone wieder hervorschaut und mit einem frisch gepflückten Apfel lockt. Darunter steht: „Amor medicabilis nullis herbis“ – „Die Liebe ist durch kein Kraut heilbar.“ Widerstand zwecklos, Adam!
Kapitulieren muss man in Luzern auch vor den unwiderstehlichen Chäschüechli (Käseküchlein). Der Weg zu ihnen ist ganz leicht: nur immer der Nase nach! Die liest zuverlässig in der Speisekarte der Stadt und führt einen eher früher als später zum Chäs Barmettler, denn seine Chüechli werden vor dem alteingesessenen Käsegeschäft gebacken und verströmen so einen feinwürzigen Duft in die Hertensteinstraße. Luzerner wissen die Küchlein seit mehr als 40 Jahren zu schätzen. Bereits die Eltern von Thomas Barmettler, der das Geschäft in zweiter Generation führt, haben sie schon 1976 in genau demselben Ofen gemacht, der noch heute im Einsatz ist.
Luzern ist aber natürlich nicht allein aus kulinarischen und ästhetischen Gründen so erfreulich, richtig liebenswert wird die Stadt durch ihre ungeschliffenen und schnoddrigen Stellen, die ihr die Perfektion nehmen und sie nahbar werden lassen. Die vermutlich hässlichste Ecke im feinen Luzern ist die Baselstraße. Unter den Sohlen bleiben Kaugummis kleben und Benzingeruch durchdringt die abgasblaue Luft. Mehr als 20 000 Autos donnern täglich durch die Straße, die im Volksmund auch „Rue de Blamage“ genannt wird. Hier leben Menschen aus 70 Nationen: türkische Barbiere, tamilische Gemüsehändler, afrikanische Haarstylisten, Schweizer Straßenmusikanten und Heinz. Dreieinhalb Meter groß, drei Tonnen schwer wacht die überlebensgroße Betonstatue des ehemaligen Straßenkehrers Heinz Gilli mitten auf einer Verkehrsinsel über den Strom vorbeifließender Autos.
Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2008 hat Heinz tatsächlich mit Schaufel und Besen für die Sauberkeit im Quartier gesorgt, Tag für Tag. Nun ist er als mächtige Betonfigur in sein altes Revier zurückgekehrt. Üblicherweise werden Denkmale ja vom Volk zu Ehren der Herrscher errichtet. Endlich auch einmal dem kleinen Mann ein Monument zu setzen, ist nicht allein eine Hommage an Heinz Gilli, sondern auch ein Symbol für Luzern als funktionierender gesellschaftlicher Schmelztiegel.
Wie vielfältig die Menschen sind, die in Luzern miteinander leben, kann man beobachten, wenn eine der kleinen Park-Beizen im Sommer zu Tanzcafé mit Livemusik lädt. Dann geht es am Vierwaldstätter See mit Samba und Caipirinhas plötzlich sehr brasilianisch zu. Passend dazu spielt der gegenüberliegende Pilatus-Berg Zuckerhut-Ersatz und liefert einen weiteren von unzähligen Parametern dieses ganzheitlich großartigen Luzerns, an denen fortan alles gemessen wird, was einem an anderen Städten noch so begegnet.
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