Liebe, die reifen muss

Liebe, die reifen muss

Sein Ruf eilt Heilbronn voraus. Doch die Kätchenstadt hat sich gewandelt – und auch die Heilbronner lernen ihre Heimat neu kennen. Ein Streifgang durch Reben, Besenwirtschaften und neu inszenierte Neckarufer.

Von 
Anika Pfisterer
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Ein Ausblick, wie ihn einst Goethe hatte, als er in Heilbronn seinen 48. Geburtstag verbrachte. © Heilbronn Marketing GmbH/Maya Baum

Vor dem Auge ziehen Reben vorbei, Reihe um Reihe. Die Traubenbündel wechseln von grün zu dunkelblau, von dunkelblau zu grün. Karzan Mehmud lenkt sein Taxi im späten Nachmittagslicht durch die Weinhänge, den Wartberg hinunter. Er will Heilbronn zeigen. Eine Stadt der Gegensätze, wie er sie nennt: wo das Schwäbische auf das Fränkische trifft, arm auf reich.

Um Heilbronn kennenzulernen, ist sein Hausberg, der Wartberg, ein guter Anfang. Hier oben stand schon Goethe an seinem 48. Geburtstag, blickte auf die Reben zu seinen Füßen und auf die Stadt weiter unten mit ihren Gärten. „Alles was man übersieht, ist fruchtbar“, notierte er danach in seinem Tagebuch.

Winzer auf neuen Wegen

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Sehenswert: Touristenklassiker wie das Rathaus am Marktplatz mit astronomischer Kunstuhr, die Kilianskirche mit dem Altar von Hans Seyfer oder der Deutschof. Lohnenswert: das charmante Trappenseeschlösschen inmitten des Trappensees (beherbergt heute das Literaturhaus).

Aktivitäten: z.B. geführte Erlebnisweintouren oder Weinproben; Stadtführungen (zu Fuß/mit Segway). Für Familien mit Kindern und Neugierige: das Wissenschaftszentrum „Experimenta“. Im September Pflicht: 10-tägiges Weindorf rund ums Rathaus.

Gastronomie und Unterkunft: Gehoben Genießen: z.B. Heilbronner Weinvilla, Ratskeller. Stilvolles Ambiente: Kaffeehaus Hagen in altem Klinkergebäude, Café Pfeffer im historischen Fleischhaus; zahlreiche Besenwirtschaften, wie z.B. Weingut Alexander Bauer. Übernachten z.B. im Mercure Hotel (ab 89 Euro/Nacht).

Fruchtbar sind die Reben noch heute: Sechs Millionen Liter Heilbronner Wein werden im Jahr produziert – Riesling, Trollinger, Lemberger, Muskateller… Wer beim Weintrinken mit den Heilbronnern ins Gespräch kommen will, kann das am besten in den traditionellen Besenwirtschaften. „Besen“ gehen darauf zurück, dass die „Wengerter“ ihre Weine in ihren eigenen vier Wänden anboten – im Keller oder im freigeräumten Wohnzimmer. Der Besen über der Türe zeigt an, dass geöffnet war, erzählt Jungwinzer Alexander Bauer. Mit seiner Frau Julia führt Bauer ein Heilbronner Weingut in dritter Generation. Bauers Sorten sind experimenteller als die des Vaters, die Besenwirtschaft nennt sich „Winzers Küche“ und mischt Eleganz ins Urige. Bauer steht für eine neue Generation Heilbronner Winzer und Winzerinnen, die dem Wein ein jüngeres Image geben wollen. Die Namen auf ihren Flaschen sind dabei teils noch die von jahrhundertealten Wengerfamilien, die besonders früher als „die Großen“ in der Stadt galten.

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Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
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Heilbronn steht auf viele Weise im Umbruch. Wer lange weg war, findet neue Ecken: Zwischen Bollwerks- und Götzenturm, direkt am Neckar, sitzen Leute in jungen Bars und Cafés unter Kastanienbäumen und Wimpelketten. Die Entwicklung der Stadt geht hin zum Fluss und seinen Ufern. Sie ist eng verbunden mit der Bundesgartenschau, die die Stadt 2019 ausrichtete. Wo einst eine Bundesstraße verlief und Ufergestrüpp wilderte, treffen sich Menschen heute auf grünen Uferterrassen oder lassen alleine die Seele baumeln. So manches Juwel wurde im Rahmen der Ausstellung in neues Licht gerückt, wie die noch heute handbetriebene Neckarschleuse am Wilhelmskanal. An ihrem Ufer stehen Heilbronns „Duscher“, lebensgroße Figuren, die in Badekleidung frösteln. Sie sind ein Überbleibsel der Buga, das sich die Heilbronner nicht wieder nehmen lassen wollten.

Spuren alter Schönheit

Was auch blieb, ist mehr Identifikation mit der Stadt. Die Ausstellung nahm nicht zuletzt die „Einheimischen“ selbst mit, wie auch die 95 000 verkauften Dauerkarten ahnen lassen. Stadtführerin Bettina Kruck-Hampo erzählt, wie das positive Feedback von außen den Heilbronnern einen neuen Blick eröffnete. So mancher, meint sie, hätte sich davor schwer getan mit seiner Stadt, die nach den Bomben von 1944 in Trümmern lag. Oder wie es Karzan Mehmud in seinem Taxi beschrieb: Heilbronn habe nach dem Zweiten Weltkrieg einer „alten Witwe“ geglichen, „die ihre Schönheit sucht“.

Eine Ausstellung im Stadtarchiv zeigt diese alte Schönheit in schwarz-weiß Fotografien. Doch auch aus dem modernen Heilbronn lugt noch das alte hervor. Etwa in der Kilianskirche nahe des Marktplatzes, deren Ursprünge bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. In den Mauern der wiederaufgebauten Kirche verstecken sich die Steine des Originals. Wer genau hinsieht, erkennt sie an den kleinen, eingekerbten Steinmetzzeichen. Der Hochaltar der Kirche, den der Künstler Hans Seyfer einst aus Holz schnitzte, wurde neu zusammengesetzt. Die Heilbronner versteckten seine einzelnen Teile während des Kriegs in einem nahe gelegenen Salzwerk.

Jeden Samstag um elf Uhr ertönt aus der Kirche eine halbe Stunde „Orgelmusik zur Marktzeit“. Wer zu anderer Zeit in Heilbronn unterwegs ist, kann an anderem Ort Ruhe finden: dem Deutschof mit dem Deutschordensmünster St. Peter und Paul. Er geht zurück auf eine Niederlassung des Deutschen Orden im Mittelalter. Innerhalb seiner Mauern galt eigenes Herrschaftsrecht. Noch heute fühlt man sich hier wie entrückt, weit weg vom Heilbronner Trubel.

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