Die Kraft der Erde

Marienbad gehört zu den elf als Weltkulturerbe ausgezeichneten „Großen Bäderstädten Europas“. Auch drei deutsche Städte sind dabei.

Von 
Wolfgang Molitor
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Die Singende Fontäne in Marienbad © imago/Zaruba Ondre

Wer es anspruchsvoll mag, setzt sich vor das schmucke Goethe-Museum, blickt auf die imposanten, pseudobarocken Gusseisenkolonnaden und gibt sich der hohen Literatur hin. Ein Druck auf den untersten von vielen Knöpfen am Tor zur ehemaligen Pension Zur Goldenen Traube lässt eine sonore Stimme auf Deutsch die „Marienbader Elegie“ vortragen – jenen Liebesabschied des großen Dichterfürsten, der sich im Alter von 72 Jahren in dem tschechischen Kurort endgültig darüber klar werden muss, nicht erhört zu werden. Er hatte sich angemaßt, um die Hand der 17-jährigen Ulrike von Levetzow anzuhalten.

Goethe hat sich in den 1820er Jahren öfter in Marienbad aufgehalten. Keineswegs aus rein gesundheitlichen Gründen. Sein elegisches Altmänner-Beben gehört zu Marienbad wie die vielen gekrönten Häupter und intellektuelle Prominenz: Ob Sigmund Freud, Richard Wagner, Franz Kafka, Frédéric Chopin, Johann Strauß oder der englische König Edward VII., sie alle erhofften sich von den rund 50 kalten, mineralhaltigen Quellen eine stabile Gesundheit und sich erholende Manneskraft - dazu Genesungsfortschritte bei Nierenerkrankungen, Problemen der Harnwege, des Nervensystems, des Verdauungstraktes, der Haut, der Atemwege oder des Bewegungsapparates. „Eine österreichische Fabrik für Gesundheit“ nannte Mark Twain das Örtchen in sumpfiger Umgebung mit feiner Ironie.

Bäderstädte

Anreise Mit dem Zug über Nürnberg und Cheb nach Marienbad, www.bahn.de

Unterkunft Im Falkensteiner Hotel (5 Sterne) kann man verschiedene Wellnessaufenthalte buchen. Preisbeispiel für drei Nächte: 749 Euro. Es gibt auch eine Post-Covid-19-Rehabilitation ab 7 Nächten oder eine Stoffwechselkur ab 9 Nächten. Das Doppelzimmer kostet pro Nacht ab 200 Euro, www.falkensteiner.com. Hotel Da Vinci (4 Sterne), DZ ab 53 Euro, www.hoteldavinci.cz. Hotel Reitenberger (4 Sterne), DZ ab 90 Euro, www.reitenberger.cz.

Weltkulturerbe Unter dem Titel „Bedeutende Kurstädte Europas“ ist seit 2021 der Zusammenschluss von elf traditionsreichen und in ihrer Bedeutung herausragenden europäischen Kurstädten als Unesco-Weltkulturerbe eingetragen.

Drei liegen in Deutschland (Baden-Baden, Bad Ems, Bad Kissingen), drei in Tschechien (Franzensbad, Karlsbad, Marienbad) und jeweils eine in Österreich (Baden), Belgien (Spa), Frankreich (Vichy), Italien (Montecatini Terme) und im Vereinigten Königreich (Bath).

Allgemeine Informationen https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/die-bedeutenden-kurstaedte-europas WMO

1679 hatte der Klosterarzt Johann Josef Nehr eine Schrift über die Heilwirkung von sechs eisenhaltigen, hypotonischen und mineralisierten Säuerlingen veröffentlicht. Keine zehn Jahre später wurde an der Marienquelle ein erstes festes Badehaus errichtet. 1818 wurde Marienbad als Badeort anerkannt. Die Sümpfe wurden trocken- und Parkanlagen angelegt. Von 1817 bis 1823 entstand das erste Kurgebäude.

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Der eigentliche Aufschwung aber kam 1872 mit dem Anschluss an die Eisenbahn. 1897 reiste Kronprinz Albert Edward, von 1901 bis 1910 König Edward VII. von Großbritannien, übergewichtig zum ersten Mal zur Kur nach Marienbad. 1904 besuchte ihn dort der österreichische Kaiser Franz Joseph I.. Ein Denkmal zeigt beide Monarchen in Lebensgröße auf einer Parkwiese. Den Zweiten Weltkrieg überstand Marienbad als großer Lazarettstandort unzerstört. Doch mit der royalen Pracht war es danach vorbei. Ab 1948 wurde Marienbad Kurort für sozialistische Arbeiter.

Jetzt träumt man von neuer Blüte. Die Kulturorganisation der Vereinten Nationen hat Marienbad neben zehn anderen Kurorten als „Große Bäderstadt Europas“ ausgezeichnet. Sie seien „Zeugen der europäischen Bäderkultur, die sich seit dem frühen 18. Jahrhundert bis in die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts entwickelt hat“, schreibt die Unesco. Kurhäuser, Grandhotels, private Villen, aber auch Kolonnaden und Trinkhallen finden sich hier wie meist wunderschöne Parkanlagen, Casinos und Theater. Rund um die Heilquellen entstand damit ein eigener städtebaulicher Typus: die Kurstadt.

Ein ruhiger Aufenthalt ist den Marienbader Gästen gewiss. Problemloses Zahlen mit Euro auch. Trotzdem ist die Reise vor allem ein Sprung in die königlich-kaiserliche Jugendstilzeit, zu prächtig renovierten Häuserfassaden, dem weitläufigen Kurpark, der computergesteuerten Singenden Fontäne. Auch kleine, feine Ausflüge in die nähere Umgebung bieten sich an: etwa zum 1910 gestalteten Royal Golfplatz (im Kreis von 35 Kilometern gibt es fünf weitere 18-Loch-Anlagen), ins umtriebigere Karlsbad oder ins verschlafene Franzensbad, die beide seit 2021 ebenfalls zu den „großen Bäderstädten Europas“ zählen. „Ein bisschen schläft Marienbad noch“, sagt die Gästeführerin Lenka Jindrichowa. Und so hofft nicht nur Bürgermeister Martin Kalina auf mehr finanzielle Zuschüsse und mehr Langzeit-Touristen.

In Baden-Baden, neben Bad Ems und Bad Kissingen eines der drei deutschen „großen Bäder“, setzt Nora Waggershauser andere Akzente. Die Unesco-Auszeichnung mache sie zwar stolz und sei ein ganz besonderes Gütesiegel, sagt die Tourismus-Geschäftsführerin: „Aber wir setzen auf qualitatives und nicht auf quantitatives Wachstum.“ Ein Wirtschaftsboom durch das Unesco-Siegel sei nicht das Ziel. „Zu uns kam man ohnehin nicht zur Bade-, sondern zur Gesellschaftskur“, sagt Waggershauser augenzwinkernd. Um zu sehen und gesehen zu werden.

Daran habe sich bis heute nicht viel geändert. Baden-Baden und Marienbad feiern ihren Unesco-Titel – grundverschieden.

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