Der Zug der Kraniche

Ein beeindruckendes Naturspektakel lockt ab Oktober bis in den Dezember hinein Naturfreunde zum Kyffhäusergebirge, die Goldenen Aue und in den Südharz: Bis zu 40 000 Kraniche rasten jedes Jahr hier und sammeln Kraft für den Weiterflug in den Süden.

Von 
Christiane Neubauer
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Man hört sie lange, bevor man sie sehen kann: „Grru-grii, grru-grii“ –mit lauten, trompetenartigen Rufen kündigt ein Schwarm Kraniche seine Ankunft an. Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen: aus dem Norden, wo sie den Tag auf den Wiesen und Feldern am Fuße des Südharz verbracht haben, und aus Westen von den Äckern rund um das Dorf Auleben. Am imposantesten sehen an diesem Abend jedoch die Formationen aus, die aus Südosten vom Kyffhäuser-Gebirge zum Stausee Kelbra einschweben.

Wie Scherenschnitte wirken ihre markanten Silhouetten am Abendhimmel, der im Licht der tief stehenden Sonne einen mystischen blauen Farbton angenommen hat. Indessen sind die Kraniche, die aus Westen heranfliegen, im Gegenlicht nur schwer auszumachen.

Thüringen

Anreise Mit der Bahn nach Halle oder Göttingen, von dort weiter bis zum Bahnhof Berga-Kelbra. Mit dem Auto über die Autobahnen A 7 oder A 38.

Unterkunft Bad Frankenhausen: Hotel Thüringer Hof, Am Anger 15, DZ ab 80 Euro mit Frühstück, www.thueringer-hof.com, Kelbra: Komforthotel Kaiserhof, Frankenhäuser Str. 1-3, DZ ab 105 Euro mit Frühstück, http://komforthotel-kaiserhof.de

Aktivitäten Termine und Anmeldung für die Kranichführungen unter Tel. 03 61 / 5 73 91 64-15 oder -18. Eine Beobachtungsstation mit Spektiven befindet sich im Strandbereich des Campingplatzes und am Hauptdamm nahe der Stadt Kelbra steht ein Turm mit Aussichtsplattform. Auch eine mobile Vogelbeobachtungsstation gibt es. Den aktuellen Standort kann man unter den oben genannten Telefonnummern erfragen, www.naturpark-kyffhaeuser.de, Barockdorf Bendeleben: www.naturpark-kyffhaeuser.de/1/park-bendeleben, Panorama-Museum in Bad Frankenhausen: www.panorama-museum.de Kyffhäuser mit den Ruinen der Reichsburg Kyffhausen, dem tiefsten Burgbrunnen der Welt sowie dem Kyffhäuser-Denkmal: www.kyffhaeuser-denkmal.de Die Barbarossahöhle ist die größte Schauhöhle im Anhydrit-Gestein Europas und damit eine absolute geologische Rarität: www.barbarossahoehle.de

Allgemeine Informationen Thüringer Tourismus GmbH, Tel. 03 61 / 3 74 20, www.thueringen-entdecken.de

Martin Lindner reicht einer Teilnehmerin seiner Kranichführung ein Fernglas, damit sie die Landung des Schwarms am gegenüberliegenden Ufer besser beobachten kann. Tausende Kraniche stehen dort bereits auf den Sandbänken oder staksen durchs flache Wasser. Und tausendfach schallen auch ihre markanten Rufe zu den Beobachtern herüber.

Dass sich dieses beeindruckende Naturschauspiel Abend für Abend am Stausee Kelbra erleben lässt, hat einen besonderen Grund. „Die Uferzonen sind das Schlafgemach der Kraniche“, sagt Lindner, der seit vielen Jahren als Ranger im Naturpark Kyffhäuser arbeitet. „Der Schilfgürtel und die Flachwasserzonen bieten den Kranichen Schutz vor natürlichen Feinden.“

Aber auch die Schwarmbildung diene dem Schutz der Individuen. Bis zu 40 000 Tiere habe man schon mal gezählt, weiß der 58-Jährige. „Sobald es wieder hell wird, fliegen die Kraniche in kleineren Gruppen auf die umliegenden Wiesen und Felder und fressen sich dort satt.“

Nicht nur für die Einheimischen ist der Besuch der Kraniche eine besondere Attraktion. Die Region zählt zu den bedeutendsten Kranich-Rastplätzen in Mitteleuropa und lockt daher jedes Jahr auch unzählige Naturfreunde aus nah und fern an. Von Mitte Oktober bis Mitte November – das ist die Zeit, in der die Zahl der rastenden Vögel am höchsten ist – bietet das Team vom Naturpark Kyffhäuser interessierten Besuchern Führungen an. Dabei gibt es nicht nur Kraniche zu sehen. Auch Kiebitze, Grünschenkel, Alpenstrandläufer, Austernfischer und Kanadagänse rasten wie die Kraniche auf ihrem Weg in die Überwinterungsgebiete in und um den Stausee Kelbra. Insgesamt leben über 300 verschiedene Vogelarten im Naturpark“, weiß Lindner. „Immer häufiger überwintern Zugvögel sogar hier – auch Kraniche“, sagt Lindner. „Denn solange die Winter mild sind und der Boden nicht gefriert, finden die Vögel auch hier genügend Nahrung.“ Und gäbe es doch Frost, flögen die Tiere weiter in den Süden. „In zwei Tagen erreichen die Kraniche, die 600 Kilometer am Stück fliegen können, den Süden Frankreichs oder Spanien.“

Für Besucher hat die Region noch mehr zu bieten. „Ich empfehle Gästen immer einen Spaziergang durch Bendeleben“, sagt Martin Lindner. Das Dorf imponiert durch ein einmaliges Ensemble aus Gutshof, Gutshof, Schlosspark mit Teichen und Römischen Bad, Orangerie sowie zahlreichen Wohnhäusern, die im Baustil des Barocks erbaut worden sind.

Ein Hingucker ist auch der Turm der Oberkirche in Bad Frankenhausen. Mit einem Überhang von 4,60 Metern überbietet der Schiefe Turm von Bad Frankenhausen seinen berühmten Kollegen in Pisa um 70 Zentimeter. Die meisten Besucher aber kommen wegen des Panorama-Museums. Weithin sichtbar überragt der zylindrische Rundbau auf einer kahlen Kuppe die Stadt Bad Frankenhausen. Hier wurde 1525 eine der letzten großen Schlachten im Deutschen Bauernkrieg geschlagen. In Erinnerung daran schuf Werner Tübke das Monumentalgemälde „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“, das im Panorama-Museum zu sehen ist. Auch ein Besuch bei Deutschlands drittgrößtem Denkmal ist ein Muss. Das gigantische Monument auf dem Kyffhäuser besteht aus einem 81 Meter hohen Turm mit einem 11 Meter großen Reiterstandbild Kaiser Wilhelms unter dem ein 6,5 Meter großen Abbild des schlafenden Kaiser Barbarossas sitzt. Seit 1896 schläft er hier schon, mit dem Kinn auf der Brust und nicht mal das laute „Grru-grii, grru-grii“ der Kraniche konnten ihn bislang wecken. Glaubt man der Sage, dann ist Barbarossa gar nicht tot. Vielmehr sei er verzaubert worden und warte nun in unterirdischen Gemächern darauf, dass der Bann gelöst werde. Die Zeit des Erwachens sei gekommen, wenn keine Raben mehr um den Berg fliegen. Bleibt zu hoffen, dass der Zwerg die Kraniche über dem Kyffhäuser nicht für Raben gehalten hat.

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