Brettersteig

Mit Skiern im Winter in einen Klettersteig? Klingt verrückt. Ist es auch. Unser Autor hat es in St. Anton am Arlberg ausprobiert.

Von 
Christian Schreiber
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Am Seil entlang zum Gipfel: Das ist nicht zu vergleichen mit einer Tour im Sommer © Christian Schreiber

Die anderen Skifahrer staunen nicht schlecht, als die kleine Gruppe an der Riffelscharte, wo der Lift endet, ihre Bretter abschnallt und am Rucksack festzurrt. Innerhalb kurzer Zeit hat sich eine neugierige Gruppe gebildet, die jeden Handgriff verfolgt. Sie beobachten, wie die Teilnehmer die Jacken ausziehen, sich die Pieps-Geräte zur Lawinenrettung um die Brust binden und den Klettergurt am Bauch straff ziehen.

Die Leute können nicht ahnen, was hier vor sich geht. Die Seile in der Felswand und am Grat sind nur schwer zu erkennen und die Tafel, die das Verhalten erklären könnte, ist zugeschneit. Mühsam stapft die Gruppe durch den hohen Schnee zum Einstieg.

Bis die Skifahrer registrieren, was vor sich geht, haben die Teilnehmer schon den ersten Felsriegel überwunden. Ein letzter Blick zurück, dann sind sie allein unterwegs am Winterklettersteig in St. Anton am Arlberg, der als erster seiner Art in Europa gilt.

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Von
Thorsten Hof
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Hier im Tiroler Freeride-Mekka ist es nicht ungewöhnlich, wenn Skifahrer die Piste verlassen. Selbst bei Neuschnee sind die nicht präparierten Hänge in Talnähe innerhalb eines Vormittags verspurt, und Tourengeher steigen jedem noch so schwierigen Gipfel aufs Dach. Aber kaum jemand kennt den Rendl-Klettersteig, der nur im Winter begangen wird, weil im Sommer, wenn die Lifte nicht laufen, der Anmarsch viel zu lange dauert. Selbst Bergführer Erich Schweiger ist nur drei- bis viermal pro Saison mit Gästen hier oben auf Tour. Der knapp einen Kilometer lange Steig kostet ziemlich viel Kraft und ist nicht ungefährlich. „Der Berg verändert jeden Tag sein Gesicht“, sagt Erich Schweiger und wuchtet sich mit seinen kräftigen Armen über einen großen Felsen.

Das Abenteuer ist nicht zu vergleichen mit einer Klettersteig-Tour im Sommer. Teilweise ist das Seil, an dem man sich einhängen sollte, um bei einem Ausrutscher nicht in die Tiefe zu stürzen, tief eingeschneit. Dann heißt es jeden Schritt sorgfältig setzen und die Nerven bewahren. Schließlich verläuft der Weg komplett auf dem Grat, zu beiden Seiten geht es mehrere Hundert Meter abwärts.

Die Felsen haben sich einen Eispanzer zugelegt, mit den klobigen Skischuhen findet man nur schwer den nötigen Halt. Immer wieder ziehen sich die sportlichen Tourengeher mit den Armen hoch, statt mit den Beinen das Körpergewicht nach oben zu stemmen, was wesentlich kraftsparender wäre. Aber dafür fehlt schlichtweg die nötige Routine. Elegante Bewegungen, die am Berg manchmal nötig wären, um durch eine enge Spalte zu steigen, sind schier unmöglich, weil man in dem dicken Skianzug so behäbig und drollig daherkommt wie ein Michelin-Männchen. Und dann ist da ja noch der verhältnismäßig schwere Rucksack mit Lawinenschaufel, Stöcken und Skiern, der einen immer wieder aus dem Tritt bringt. Mal schrammt man mit den Brettern am Felsen entlang, dann bohren sie sich in den Schnee oder donnern beim Vorbeugen gegen den Helm.

An vielen Stellen ist es besser, gar nicht erst nachzudenken und den Kopf oben zu behalten. Dann verpasst man auch das Gipfelpanorama nicht. Immerhin ist man ständig über 2500 Metern, und es grüßen imposante Bergspitzen bis aus Südtirol. Mit jedem Schritt nähert sich die kleine Gruppe einer fantastischen Freeride-Area mit jungfräulichen Hängen und einsamen Abfahrten.

Obwohl es der Arlberg auf rund 340 Pistenkilometer bringt, die die Region zur Nummer eins in Österreich machen, kommen sehr viele Gäste nur zum Freeriden in das Skigebiet in Tirol und Vorarlberg. An diesem Morgen konnte man Männer und Frauen beobachten, die ihre Skier abschnallten und mühsam durch hohen Schnee stapften, um eine abseitige Abfahrt zu erreichen. Jetzt sind Snowboarder in der Ferne zu sehen, die über die liftnahen, nicht präparierten Hänge cruisen. Am Hang gegenüber ziehen Skitourengeher gerade ihre Felle auf und visieren den nächsten Gipfel an.

Knapp zwei Stunden hat die schweißtreibende Klettertour zum Endpunkt des Steigs an der Rossfallscharte gedauert. Nun steht man vor der Wahl, entweder nach Westen ins Moosbachtal oder nach Osten ins Malfontal abzufahren. Die Gruppe entscheidet sich für die westliche Schattenseite, weil diese mehr Abfahrtsspaß verspricht, und liegt goldrichtig.

Es ist nicht besonders steil, sodass man die Abfahrt ausgiebig genießen kann. Die breiten Hänge liegen bald hinter den Teilnehmern, und sie tauchen ein in ein Winterwunderland mit putzigen Bächen, kleinen Hütten und sanften Wäldchen, in denen die Bäume unter der Schneelast ächzen. Für einen Moment kommt einem alles so leicht, so unbeschwert vor. Aber die müden Arme und Beine erinnern daran, wie hart die Abfahrt erkämpft wurde.

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