Reisen

Blau ist die Hoffnung

Berge versetzen, Wüsten begrünen und Krater fluten – am Ende dieser speziellen Schöpfungsgeschichte wird im ehemaligen Braunkohlerevier der Lausitz die größte Seenlandschaft Europas entstanden sein. Vorausgesetzt, die Klimakrise trocknet den Touristentraum nicht aus.

Von 
Nicole Quint
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Natur und Industrie: die Lausitz lebt mit Gegensätzen © bildbaendiger/Thomas Schneider

Der rot-weiß gestreifte Leuchtturm macht gemeinsame Sache mit blendend blauem Seewasser und einer sanften Brise, damit auch im tiefsten Ostdeutschland, knapp 400 Kilometer von der nächsten Küste entfernt, maritime Urlaubsstimmung aufkommen kann. Zusammen mit schwimmenden Ferienhäusern, einem Sportboothafen und Badestränden gehört der kleine Leuchtturm zur Grundausstattung des Bärwalder Sees, dem größten Binnensee Sachsens. So großartig wie hier kann die Versöhnung mit der Vergangenheit also aussehen. Nichts erinnert mehr daran, dass genau an dieser Stelle bis 1992 im Tagebau Bärwalde in rauen Mengen Rohkohle abgebaut wurde.

Bärwalde gehörte zum Braunkohlerevier der Lausitz, einer Region zwischen Spreewald und Zittauer Gebirge, die das Energiezentrum der DDR und damit auch eine der dreckigsten Gegenden Ostdeutschlands war. Der ganze Landstrich wurde umgegraben, zurück blieb eine als Mond verkleidete Welt aus Geröll, Wüsten und monströsen Kratern.

Wildblumen im Seebiotop

Lausitz

Anreise Von Berlin, Cottbus und Leipzig lassen sich die Bahnhöfe des Lausitzer Seenlandes (Forst, Großräschen, Hoyerswerda, Schwarzkollm, Senftenberg) mit verschiedenen Regionalverkehrslinien erreichen. www.bahn.de, www.vvo-online.de, www.odeg.de, www.vbb.de, www.zvon.de

Unterkunft Das Angebot an Hotels, Pensionen und Ferienhäusern ist vielfältig. Eine gute Auswahl bietet: www.lausitzerseenland.de. Besonders reizvoll sind die schwimmenden Ferienhäuser am Geierswalder See, ab 190 Euro am Tag (www.lausitz-resort.de) und am Bärwalder See, ab 160 Euro (www.schwimmendeshaus.de), Mindestmietdauer drei Tage.

Aktivitäten Auf asphaltierten Rundwegen entlang der Seen entdecken Skater und Radfahrer die Lausitzer Landschaft. Wer nicht allein auf Wanderung gehen mag, kann sich von den Alpakas der Gästeführerin Cornelia Schnippa begleiten lassen (www.lausitzleben.de) oder gleich den bequemen Weg wählen und das Seenland während einer Ballonfahrt aus Möwenperspektive erleben: www.ballon-abenteuer.de. Der alten Lausitzer Industriekultur kommt man auf der Energie-Route an Originalschauplätzen (Besucherbergwerken, Brikettfabriken, Kraftwerken) auf die Spur: www.energie-route-lausitz.de

Allgemeine Informationen Alles über Thementouren, Seerundwege, Unterkünfte und aktuelle Neuigkeiten findet sich unter: www.lausitzerseenland.de und www.lausitz.de. Brandenburg Tourismus: www.reiseland-brandenburg.de

Lässt sich eine derart zerstörte Landschaft jemals wieder heilen? Vielleicht. Die vielversprechendste Medizin heißt Wasser. Nach einer Idee des Landschaftsplaners Otto Rindt, die Tagebaurestlöcher im Zentrum der Lausitz zu fluten und eine Seenkette zu schaffen, entstand Anfang der 1970er Jahre der Senftenberger See. Mit Sandstränden, waldigen Ufern und Campingplätzen wurde er zum Vorzeigeprojekt der DDR und zum Modell für das heutige Renaturierungs-Projekt. Inzwischen schillern in der Lausitz schon 125 Quadratkilometer Bergbaufolgeseen. Am Ende wird sich die größte von Menschen geschaffene Seenlandschaft Europas quer durch die Bundesländer Brandenburg und Sachsen erstrecken, 80 Kilometer breit und 40 Kilometer lang.

Das ist die Alchemie des Strukturwandels, die das Blei der Bergbauzerstörung in das Gold einer touristischen Zukunft verwandelt, damit demnächst Urlauber die Kohle ins einstige Revier bringen. Solche Aussichten färben die Hoffnung in der Lausitz blau, und es wurde an wirklich alles gedacht, damit die Region den touristischen Tauglichkeitstest besteht – Häfen, Strandbars, Hotels und Aussichtsplattformen. Noch kann von den 35 geplanten Seen jedoch erst die Hälfte genutzt werden. Die anderen Seen unterliegen weiterhin der Bergbausanierung und sind großflächig gesperrt.

Statt ins Wasser geht es alternativ auf die Route der „Lausitzer Industriekultur“, die zu stillgelegten Brikettfabriken und Besucherbergwerken führt. Der Stolz auf das industrielle Erbe der Lausitz soll bewahrt, alte Anlagen, Brücken und Bagger deshalb auch erhalten werden. Auf diese Weise erwächst dem Seenland ein Teil seiner Verführungskraft aus der Sichtbarkeit seiner Geschichte und aus dem irritierenden Kontrast zwischen Natur und Industrie. Das Bild von Kühltürmen und aufsteigenden Wasserdampfsäulen am Horizont hat vom Strandkorb am See aus betrachtet Fata-Morgana-Qualitäten, und der museal schöne Schaufelradbagger unweit des Berzdorfer Sees verkörpert die ganze Ambivalenz der neuen Lausitzer Landschaft. Ohne die vorherige Verwüstung durch diesen Giganten aus Stahl würden heute keine Wildblumenwiesen im Seebiotop wuchern.

Doch inzwischen droht der Gegend das Wasser auszugehen. Allein Flüsse wie Spree, Neiße und Schwarze Elster reichen als Wasserlieferanten nicht mehr aus. An manchen Orten ist die Flutung schon ins Stocken geraten, und der Klimawandel verschlimmert die Wasserknappheit weiter. Unterbleibt die kontinuierliche Flutung jedoch oder sinkt der Wasserspiegel existierender Seen wieder zu weit ab, geht der Gegendruck verloren, der das Aufsteigen und Einsickern belasteten Grundwassers verhindert. Dann drohen sinkende Böden, verunreinigtes Trinkwasser und instabile Gebäude. Über 30 000 Hektar sind in der Lausitz nicht zugänglich, einige Flächen werden es aufgrund von Geländeeinbrüchen voraussichtlich auch dauerhaft bleiben.

Die Wiederherstellung naturnaher Lebensräume aus Tagebaugruben ist in dieser Größenordnung eine extrem teure Langzeitaufgabe. Zur Erholung in eine vollständig sanierte und renaturierte Landschaft wird man frühestens überübermorgen, vermutlich sogar erst am Ende dieses Jahrhunderts reisen können. Doch bis dahin können in den Wunden der Lausitz wertvolle Lebensräume reifen. Naturschützer beobachten an ehemaligen Gruben bereits heute, wie Feldhasen, Rothirsche und Wölfe Gebiete zurückerobern.

Es ist zu wünschen, dass viele Flächen zu Naturreservaten erklärt werden. Wenn nicht nur die Art der Ausbeutung wechselt, könnte das Lausitzer Seenland hohe Wellen schlagen als ein Ort, der erholsamer Lebensraum statt nur Tourismusmarkt sein will.

Dann wäre Urlaub mit Zusatzsinn möglich, Ferien zur eigenen Erholung, zur Rettung der Lausitz und der Erde. Darunter sollten es die Lausitzer nicht machen, es wäre die schönste Liebeserklärung an ihr Land und an sich selbst.

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