Woran ich denke, wenn ich hier bin?“, fragt Assaf Holzer erstaunt zurück. „An alles Mögliche, zum Beispiel an Basketball.“ Assaf – entspannter Typ, schwarzes T-Shirt, Dreitagebart – arbeitet als Guide, regelmäßig führt er Touristen durch den israelischen Red Canyon. An diesem warmen Wintertag sind wir seine Gäste. Von Eilat im südlichsten Zipfel Israels ging die Fahrt eine halbe Stunde direkt an der israelisch-ägyptischen Grenze entlang. Als Besucher denkt man hier nicht ans Tagesgeschehen, schon gar nicht an Sport, sondern an die ewigen Themen. Daran, dass schon Moses in dieser Gegend unterwegs war, daran, dass es hier damals wahrscheinlich schon genauso aussah wie heute. Die Landschaft wirkt geschichtslos mit ihrem roten, braunen, grauen oder auch gelben Gestein. Wäre da nicht der Grenzzaun, der diese Region im Hier und Jetzt verankert.
Alles wird geteilt
Der Landstrich ist menschenverlassen, zumindest erweckt er den Anschein. Die Grenze zum Sinai sei aber gut bewacht, versichert Assaf. Auch als wir den Canyon erreichen, sind ein paar Mücken, die vereinzelt durch die heiße Luft schwirren, die einzigen Lebewesen weit und breit –abgesehen von einer Handvoll anderer Touristen. Irgendwo eine einsame Akazie, ansonsten bringt der Boden kaum einen Grashalm hervor.
Trocken ist es und still, nur der Schotter knirscht unter unseren Turnschuhen. Die Schlucht ist eng, aber breit genug für Besucher. Auf beiden Seiten ragen rote Felswände empor. Sie entstanden vor Millionen Jahren, wie wir von Assaf erfahren, der von Haus aus Archäologe ist. Es waren Wasserfluten, die ihnen ihre geschwungene Form verliehen. Heute ist Wasser hingegen ein knappes Gut: Nicht einmal 50 Millimeter Niederschlag fallen im Jahr. Ausgerechnet in dieser Wüste, dieser beeindruckend schönen, aber auch lebensfeindlichen Region tief im Süden Israels, hat Assaf vor vielen Jahren eine landwirtschaftlich geprägte Gemeinschaft mitbegründet.
Das war 1976, nach seinem Militärdienst. Gemeinsam mit anderen rief er einen Kibbuz ins Leben, der bis heute besteht: Samar. Er blieb den sozialistischen Idealen aus seiner Anfangszeit über all die Jahrzehnte treu – was keineswegs selbstverständlich ist, denn nur ein kleiner Teil der Kibbuzim kann das in dieser Konsequenz von sich behaupten. Samar will seinen Mitgliedern ermöglichen, ein Leben gemäß ihren individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen zu führen.
Die gut hundert Mitglieder suchen sich beispielsweise innerhalb des Kibbuz selbst einen Tätigkeitsbereich, in den sie sich einbringen möchten, etwa den Dattelanbau oder die Milchwirtschaft. Sie entscheiden auch, wie viel sie arbeiten. Das, was man hat, wird geteilt. Alle Mitglieder haben Zugang zum Konto des Kibbuz und nehmen sich, was sie brauchen. Wirtschaftlich geht die Rechnung meist auf, heißt es beim Kibbuz, in manchen Jahren mache er sogar etwas Gewinn. „Meine Einkünfte als Tour-Guide bekommt der Kibbuz“, erzählt Assaf.
Gut 250 Kibbuzim gibt es in ganz Israel. Das Wort bedeutet Gemeinschaft, aber es sind schätzungsweise zwischen zwei und vier Dutzend Kibbuzim, die so strikt gemeinschaftlich ausgerichtet sind wie Samar. Die Wirtschaftskrise der 1980er-Jahre erschütterte auch sie, die staatliche Förderung wurde gedrosselt. Die Kibbuzim waren vielfach gezwungen, sich neu aufzustellen, die sozialistische Organisationsform und die Besitzverhältnisse zu überdenken. Insgesamt leben heute noch knapp zwei Prozent der Israelis in einem Kibbuz.
In der Arava-Wüste finden sich neben Assafs Gemeinschaft Samar weitere Kibbuzim – auch solche, in denen die Mitglieder überwiegend außerhalb arbeiten und ihre Einkünfte bis auf eine Art Steuer für den Kibbuz behalten. Wovon die Siedlungen leben, unterscheidet sich, aber der Dattelbau spielt für viele eine Rolle. Da ist etwa Lotan, wo die Bewohner mit biologischem Landbau und Recycling experimentieren; Ketura, wo der erste Solarpark des Landes entstand; Neot Smedar, dessen Mitglieder dem Wüstenboden selbst biologisch angebauten Wein abringen; oder Kibbuz Yotvata, der für seine Eiscreme bekannt ist.
Datteln und Touristen
Ein sauber gestutzter Rasen, dazwischen ockerfarbene Gebäude: In Israels südlichstem Kibbuz Eilot leben dreihundert Menschen, von denen rund hundert stimmberechtigte Mitglieder sind. Einer von ihnen ist Schmulik, ein freundlicher Mann mit sonnengebräuntem Gesicht. Er kam 1977 in die Siedlung. „Nach dem Militärdienst war mir klar, dass ich in der Landwirtschaft arbeiten will“, erinnert er sich an seine Anfänge in der Wüste – es war eine der großen Entscheidungen seines Lebens. Nach zwei Jahren votierte die Gemeinschaft mit Dreiviertelmehrheit dafür, ihn als Mitglied aufzunehmen. Seitdem gehört er dazu.
Schmulik kümmert sich in Eilot um die Palmen, die die kostbaren Medjoul-Datteln als Früchte tragen, sowie um deren aufwendige Bewässerung. Auch wenn dafür nur aufbereitetes Wasser zum Einsatz kommt – dass jeder Liter bestmöglich genutzt werden muss, erschließt sich von selbst: 14 000 Palmen stehen ordentlich aufgereiht in der Hitze, die Plantage ist riesig. Dort, wo sie aufhört, beginnt Jordanien, am Horizont liegen die Berge. „Wir sind der größte Dattelproduzent in Israel“, freut sich Schmulik. Aber nicht ausschließlich mit Landwirtschaft bestreitet die Gemeinschaft ihr Auskommen, wie viele andere Kibbuzim hat auch dieser mehrere Standbeine. Auch der Tourismus gehört dazu; in Eilot stehen 42 Gästezimmer für Besucher bereit. Sie kommen, um im nur wenige Kilometer entfernten Roten Meer zu schnorcheln, um die Wüste zu erkunden wie beispielsweise im nahe gelegenen Timna-Nationalpark oder um Vögel auf einer ihrer Hauptrouten zwischen Europa, Asien und Afrika zu beobachten.
„Während der Krise in den 1980er-Jahren verließen einige Mitglieder den Kibbuz“, erzählt Schmulik. In Eilot hat sich seither manches verändert. Die Mitglieder erhalten zwar dasselbe Budget, unabhängig von der Tätigkeit; es unterscheidet sich nur nach der Zahl ihrer Kinder. In dieser Hinsicht ist der Kibbuz egalitär. Aber die Mitglieder müssen haushalten: Ihre Stromrechnung etwa bezahlen sie heute selbst.
Im Kibbuz zu leben oder nicht, macht einen großen Unterschied. „Es geht nicht nur darum, sich zwischen gemeinschaftlichem und individualistischem Leben zu entscheiden, sondern auch zwischen dem Leben in der Stadt und dem in der Wüste“, sagt Assaf aus dem Kibbuz Samar. Er hat zwei Kinder; welchen Weg sie einschlagen, steht noch nicht fest. Das Leben in Samar jedenfalls ist noch immer gefragt: Es gibt sogar eine Warteliste.
Tipps und Hinweise
- Anreise: Informationen über die Einreise angesichts der Corona-Krise: www.auswaertiges-amt.de.
- Kibbuz-Aufenthalt: Zahlreiche Kibbuzim haben Gästehäuser. Kibbuz Eilot liegt wenige Kilometer nördlich der Stadt Eilat, DZ kosten zwischen 110 und 155 € inkl. Frühstück. Auch Lotan, Neot Smedar und Ketura bieten Zimmer an.
- Allgemeine Informationen zum Reiseland: info.goisrael.com/de.
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