Es ist keine Trauergemeinde, die den Friedhof im tirolerischen Kramsach besucht. Die Touristen kommen, um zu staunen. Sie wundern sich. Manche sind empört, andere lachen. Schließlich handelt es sich nicht um einen normalen Friedhof. Hier hat noch nie eine Beerdigung stattgefunden, niemand hat je einen Kranz niedergelegt. Und doch ragen Dutzende eiserne Grabkreuze, die in Österreich „Marterln“ heißen, aus dem kleinen Park. Der Museumsfriedhof in Kramsach ist eine Attraktion, weil er skurrile und verrückte, witzige und geistreiche, vor allem aber erschütternd ehrliche Abschiedssprüche bereithält. Sie stehen auf den Tafeln oder vergilbten Schildern der Kreuze, die im 18. und 19. Jahrhundert vor allem im Alpenraum aufgestellt wurden und in Kramsach ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
„Mit Schi im Schuss – dann war Schluss“ – dieser Spruch zählt noch zu den harmlosen. Saftiger wird es, wenn man dem Verblichenen noch eine letzte Watsch’n mitgibt: „Hier schweigt Johanna Vogelsang, sie zwitscherte ihr Leben lang.“ Scherz und Schmerz liegen eng beisammen, hinter den lustigen Inschriften verbergen sich Tragödien. So manches Dasein lässt sich in drei Worten zusammenfassen: „Aufigschtiegn, obagfalln, hingwösn.“ Aufgestiegen, gefallen, verstorben.
Wie konnten die pietätlos wirkenden Sprüche in einer erzkatholischen Region in Mode kommen? Die Wissenschaftlerin Alina Timofte hat sich in „Der letzte Kracher: Komik in der Sepulkralkultur“ intensiv mit den scherzhaften Grabinschriften befasst, die bereits Anfang des 17. Jahrhunderts erschienen. Sie beschreibt die „Technik, aus dem Namen Fallhöhe für Komik zu gewinnen – mit dem Ergebnis: Verulkung des Berufs“. Interessanterweise nennt sie als explizites Beispiel einen Spruch, der auch in Kramsach zu finden ist: „Hier liegt Martin Krug, der Kinder, Weib und Orgel schlug.“ So mancher Lehrer im Alpenraum erhielt einen ähnlich lautenden Abschiedsgruß. Natürlich hat sich auch Hans Guggenberger, Chef des Open-Air-Museumsfriedhofs, Gedanken über jeden einzelnen Spruch gemacht und festgestellt: „Die Leute waren früher eben sehr ehrlich und haben die Wahrheit gesagt.“ Motto: So war der Verblichene, und so wird’s draufgeschrieben. Fertig.
Guggenberger ist Steinmetz und Bildhauer und hatte auf dem Minihügel ursprünglich nur ein paar Muster-Grabstätten errichtet. Dann fielen ihm die ersten Eisenkreuze mit derben Abschiedssprüchen in die Hände, und er startete seine öffentliche Schau. Klar, dass ihm bald schon Denkmalamt und Kirche in die Parade fuhren, die den „Juxfriedhof“ schließen wollten. Er habe sich die Sprüche selbst ausgedacht und angebracht, um die Aufmerksamkeit auf sich und seinen Steinmetzbetrieb zu lenken. Dabei ist nach Angaben des 68-Jährigen kein einziges Fake-Kreuz dabei. Dennoch ließ sich Guggenberger auf einen Deal ein. Er angelte sich Zuschüsse und gestaltete damit eine politisch und religiös korrekte Ausstellung, die im benachbarten Arkadenhof untergebracht ist. Dort lehnen nun 70 chronologisch gereihte Kreuze an der weißen Wand, die einen Überblick über 500 Jahre Grabeskunst in Tirol und im Alpenraum geben. Vom schmucklosen Schmiedeeisen bis zu den barocken Prachtexemplaren.
Früher musste Guggenberger die Friedhöfe abgrasen, um an wertvolle Stücke zu gelangen. Jetzt, im Internetzeitalter, läuft sein E-Mail-Postfach ständig mit Angeboten voll. Es gibt kaum Sammler, aber viele, die die alten Eisengestelle loswerden wollen. Für wertvolle Exemplare legt Guggenberger schon mal 4000 oder 5000 Euro hin. Die Restaurierung kann noch mal so viel Geld verschlingen. Der Platz unter freiem Himmel reicht längst nicht mehr aus. Der Tiroler hat mehrere Lagerräume gefüllt. Dort hängen säuberlich aufgereiht, nummeriert und katalogisiert rund 1000 Grabkreuze. Guggenberger: „Wenn die alle reden könnten, dann wäre hier der Teufel los.“
Sie schweigen, sorgen aber für ordentlich Gesprächsstoff. Dennoch laufen bei Guggenberger kaum Beschwerden auf. Selbst eingefleischte Katholiken müssen sich nach einiger Zeit auf dem Friedhof eingestehen, dass sich der Tod mit Humor besser verarbeiten lässt. Auch die Kirche gibt mittlerweile Ruhe.
Wenn es einmal so weit ist, wird auf dem Grabstein des Museumschefs auch ein Spruch stehen. Hans Guggenberger hat lange darüber nachgedacht. Der Spruch lautet: „Wanderer steh still und weine, hier ruhen meine Gebeine. Ich wollt’ es wären Deine.“
Tirol
Anreise Mit dem Zug (www.bahn.de) über München und Kufstein nach Brixlegg, dann weiter mit dem Bus.
Unterkunft Gemütlicher Landgasthof: Hotel Gappen, DZ/HP ab 103 Euro, www.gappen.at.
Auch im Winter sind Campingplätze geöffnet, z. B. www.camping-seeblick.tirol.
Aktivitäten Museumsfriedhof, geöffnet Di.-So. 9-17 Uhr, Eintritt frei, www.museumsfriedhof.info. Weitere Museen: Tiroler Bauernhöfe, www.museum-tb.at; Tiroler Bergbaumuseum, www.tiroler-bergbau.at
Allgemeine Informationen www.alpbachtal.at.
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