Zwölf Jahr lang war sie blind, doch als sie getauft wurde, da konnte sie plötzlich zum ersten Mal in ihrem Leben sehen. Die legendäre Lebensgeschichte der Heiligen Odilie, sie gäbe auch heute noch Stoff für großes Kino. Denn Eticho, der Vater von Odilie, möglicherweise ein Herzog aus dem Elsass, war alles andere als begeistert, als seine Frau Bethsvinda um das Jahr 660 ein Mädchen zur Welt brachte, noch dazu ein Kind, das nicht sehen konnte.
Glaubt man den Erzählungen, war er so wütend, dass er seine Tochter umbringen wollte. Bethsvinda verhinderte dies, indem sie das Kind durch eine Amme heimlich in ein Kloster bringen ließ. Dort wurde das Mädchen im Alter von zwölf Jahren getauft, vermutlich vom Wanderbischof Erhard, der später als Erhard von Regensburg heilig gesprochen wurde. Odilies Taufe war kein gewöhnliches Ereignis, sondern mit einem Wunder verbunden: Das zwölfjährige, bis dahin blinde Mädchen konnte die Welt und die Menschen um sich herum plötzlich sehen.
Besitztum auf 763 Metern Höhe
Über das, was weiter geschah, gibt es verschiedene Versionen. Egal, welche Variante der Geschichte zutrifft, am Ende versöhnten sich Odilie und ihr Vater und Eticho schenkte seiner Tochter ein Besitztum auf einem 763 Meter hohen Berg am Ostrand der Vogesen. Dort gründete Odilie das Kloster Hohenburg – in dem am 13. Dezember dieses Jahres der 1300. Todestag der Klostergründerin und ersten Äbtissin gefeiert wird.
Auf einem Turm, der an das rötliche Sandsteingebäude des Klosters Hohenburg angebaut ist, steht schon seit 1924 eine überlebensgroße, neoromanische Figur von Odilie, die über das Rheintal blickt. Geschaffen wurde sie von Albert Klemm. Verschiedene andere Odilien-Darstellungen – als Gemälde oder als Skulptur – innerhalb des Klosters zeigen die Heilige meist mit einem Buch, auf dem zwei Augen abgebildet sind. Odilie ist zu einer Schutzpatronin der Blinden und Sehbehinderten geworden, aber auch zur Patronin der Winzer. Nicht zuletzt gilt sie als die Schutzheilige des Elsass – wobei umstritten ist, ob sie bereits 1807 von Papst Pius VII. dazu ernannt wurde, oder erst im Jahr 1946 von Papst Pius XXII.
Sicher ist, der Odilienberg bei Obernai ist die bedeutendste Pilgerstätte des Elsass. In normalen Jahren besuchen etwa zwei Millionen Menschen das spektakulär gelegene Kloster am Ostrand der Vogesen, unterhalb dessen sich auch eine Odilienquelle befindet. Dem Wasser dort werden heilende Fähigkeiten nachgesagt. Ein anthroposophisch orientiertes Unternehmen aus Deutschland, so berichten Elsass-Kenner, holt bis heute jedes Jahr am Ostersonntag Wasser von dieser Quelle und verwendet dieses als Bestandteil von Augentropfen. „Sie glauben, das Wasser hat an diesem Tag eine andere Vibrationsfähigkeit“, erläutert Mathieu Dischinger, ein Franzose, der in einem anthroposophischen Haushalt aufgewachsen ist.
Unabhängig davon, ob man an die Heilkraft des Wassers glaubt: Das auf einem großen Sandsteinfelsen gelegene Odilienkloster – es trägt noch immer den Namen Kloster Hohenburg – ist eine der beliebtesten Wallfahrtsstätten Frankreichs und eine wichtige Station auf dem Jakobsweg. „Die einzelnen Dörfer aus dem Elsass haben feste Zeiträume, zu denen sie den Odilienberg gemeinsam besuchen“, berichtet die Elsass-Kennerin Fabienne Fessler.
In den Gebäuden auf dem Odilienberg befindet sich heute ein charmantes, aber einfaches Ein-Sterne-Hotel, das die frühere Pilgerherberge abgelöst hat, sowie ein Restaurant, mehrere Kapellen und ein kleines Konvent der Schwestern vom Heiligen Kreuz. Die Gebetszeiten der vier Nonnen und die zwei täglichen Messen stehen Hotelgästen offen. Hauptattraktion des Klosters ist ein Steinsarg mit den Gebeinen der Heiligen Odilie, die nicht hier oben auf dem Odilienberg verstorben ist, sondern im in Sichtweite gelegenen Schwesterkloster Niedermünster, das ebenfalls von ihr gegründet worden sein soll.
Mit Mosaikbildern dekoriert
Außergewöhnlich ist aber auch die Gestaltung von zwei Kapellen, der Tränen- und der Engelskapelle, die mit Mosaiken und Mosaikbildern dekoriert und von Blau- und Goldtönen geprägt sind. Auf der Ostterrasse der Klosteranlage befindet sich eine Sonnenuhr, die nicht nur die örtliche Sonnenzeit anzeigt, sondern die Zeiten verschiedener Regionen der Erde. Sie stammt aus dem 18. Jahrhundert und stand ursprünglich in der Zisterzienserabtei im elsässischen Neuburg, bevor sie 1935 hier aufgestellt wurde.
Die Heilige Odilie starb am 13. Dezember 720, also vor 1300 Jahren. Ein Todestag, dem auf dem Odilienberg würdig gedacht werden soll. Angesichts des Corona-Jahres natürlich mit weniger Vor-Ort-Besuchern als zu normalen Pilgerzeiten. Vor 100 Jahren, zum 1200. Todestag, hatten sich rund 100 000 Menschen versammelt. Zum jetzigen Jubiläum, dem 1300. Todestag, ist ein ganzes Gedenkjahr mit verschiedenen kleineren Veranstaltungen geplant, die in der Zeit vom 13. Dezember 2020 bis zum Dezember 2021 durchgeführt werden und zum Teil – aufgrund der Pandemie – im Internet übertragen werden sollen.
Durch seine exponierte Lage ist der Odilienberg nicht nur für Wallfahrer und Pilger interessant, sondern lockt auch zahlreiche andere Besucher – nicht zuletzt Naturliebhaber und Wanderer, die in der Umgebung bezaubernde Routen finden. Diese bieten exzellente Weit- und Ausblicke und entführen auf Zeitreisen in die Vergangenheit. Dies gilt insbesondere für die Wege entlang der Heidenmauer, einer geheimnisumwitterten, frühgeschichtlichen Steinmauer, die fast zwei Meter dick und rund vier bis fünf Meter hoch gewesen sein soll. Der etwa elf Kilometer lange Ringwall wurde zuerst von den Kelten und später von den Römern genutzt.
Wer um den Odilienberg wandert, der hat die Qual der Wahl – lokale Rundwege stehen ebenso zur Auswahl wie der Vogesen-Fernwanderweg G5 und der Jakobsweg.
Reise-Tipps
- Anreise: Der Odilienberg liegt etwa 50 Kilometer südwestlich von Straßburg auf dem Vogesenkamm. Man erreicht ihn über Obernai. Unterhalb des Klosters finden sich zahlreiche Parkmöglichkeiten.
- Übernachten und Essen: Hotel und Restaurant Mont Sainte-Odile in Ottrott; www.mont-sainte-odile.com. Kosten für ein Einzelzimmer 72 Euro, Doppelzimmer 77 Euro. Übernachtung inklusive Halbpension 102/137 Euro.
- Mehr Information: Wissenswertes zum Odilienberg gibt es unter www.grandest.fr/de/tourismus/ sowie unter explore.massif-des-vosges.com/de/
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