Moskau, bleib’ so wie du bist!

In Moskau findet im Juli das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft statt. Dafür hat sich die Metropole an der Moskva mächtig herausgeputzt: neue Straßen, Parks, eine Flusspromenade, ein hypermodernes Freizeitzentrum. Nötig hat es die russische Hauptstadt nicht.

Von 
Martina Katz
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Matroschkas sind das wohl beliebteste Mitbringsel aus Moskau. © Katz

Ein Moskowiter muss nicht unbedingt in Moskau geboren sein, aber er muss die Stadt lieben, spüren, entdecken und begreifen“, sagt Marina Savitskaya, in der Hand ein Plombir Eis, ein süßes Relikt aus der Sowjetzeit. Die 53-jährige Russin, die Touristen durch die Hauptstadt an der Moskva führt, steht vor einem goldfarbenen Holzhäuschen im noblen Einkaufszentrum GUM am Roten Platz. Morozhenoe, übersetzt: Eiscreme, steht darauf.

Geduldig warten hier alle auf ein cremiges Milcheis im Waffelbecher. Marina gibt der Verkäuferin, die wie in alten Zeiten eine weiße Haube trägt, einen 50-Rubel-Schein, umgerechnet 70 Cent, und lacht: „Als ich Kind war, wurde das Eis noch aus dem Bauchladen verkauft, die Kugel für 20 Kopeken.“

Das war vor mehr als 40 Jahren. Die zehnjährige Marina aus Sibirien kam regelmäßig mit ihren Eltern zum Verwandtenbesuch nach Moskau. Schon damals war das traditionelle sowjetische Speiseeis ein Verkaufsschlager, seine Herstellung dem strengsten Standard weltweit unterworfen. Das GUM, das im russischen Kaiserreich im Jahre 1893 als vornehmes Handelshaus eröffnete, war zu jener Zeit ein staatliches Kaufhaus.

Beliebter Treff

Erst mit dem Zerfall der Sowjetunion zu Beginn der 1990er Jahre wurden die Läden privatisiert – das kommunistische Warenhaus verwandelte sich in ein schickes Einkaufszentrum. Heute laden internationale Luxusmodegeschäfte die Hauptstädter in die lichtdurchfluteten Passagen aus Granit und Marmor. Auch wenn sich der Normalbürger einen Einkauf im GUM nicht leisten kann, das Wahrzeichen der russischen Metropole bleibt ein beliebter Treff, um bei einem Bummel auf den Galerien ein Sowjet-Eis zu genießen und dabei in Kindheitserinnerungen zu schwelgen.

„Das Tolle an Moskau ist, dass man sich darin verlieren kann“, schwärmt Marina vor der rot-weißen Basiliuskathedrale. Neun Zwiebeltürme, rot-grün gespickt oder himmelblau-weiß gestreift und aufgeblasen wie ein halbierter Heißluftballon, ragen über hundert Meter in den Himmel – ein Unesco Weltkulturerbe. Touristenscharen posieren vor der märchenhaften Fassade für Selfies.

Eigentlich besteht die Basiliuskathedrale aus neun Kirchen, jede einem anderen Heiligen gewidmet. Zar Iwan der Schreckliche wollte sich im 16. Jahrhundert für seinen Sieg über die Tataren mit dem Bau der schönsten Kirche der Welt belohnen. Damit das so blieb, ließ er anschließend seinem Baumeister die Augen blenden, so hört man es oft auf dem Roten Platz. Marina weiß es besser, schließlich schuf der Zarenbedienstete auch nach der Basiliuskathedrale architektonische Schönheiten.

Überhaupt geben sich die Moskowiter gern stolz und ein klein bisschen snobistisch, erzählt Marina auf dem Weg zum Kathedralenplatz im Kreml. Fünf Kirchen gruppieren sich um die weite Piazza in Moskaus ältestem Viertel und heutigem Präsidentensitz. Wer vor dem mit Gold bemaltem Messingtor der russisch-orthodoxen Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale steht und in ihrem Inneren die 69 Symbolfiguren auf einer riesigen Ikonenwand sieht, kann sich gut vorstellen, wie es gewesen sein muss, als die Zaren hier Krö-nungen und Hochzeiten feierten.

In wohl kaum einer anderen Stadt auf der Welt leben mehr als drei Viertel der Einwohner in Eigentum anstatt zur Miete. Weit gefehlt, wer glaubt, die Moskowiter hätten dafür fleißig gespart oder besonders hart gearbeitet. Zwar verdient man hier durchaus mehr als in vielen anderen Regionen Russlands, letztendlich aber verhalf der Staat Anfang der 1990er Jahre zahlreichen Hauptstädtern zu potenziellem Reichtum, indem er damaligen Mietern anbot, die Staatswohnung, in der sie lebten, kostenlos zu erwerben.

Rund 90 Prozent der Moskowiter hatten die Möglichkeit, denn fast der gesamte Bestand gehörte dem Staat. Man wollte einen privaten Wohnungsmarkt schaffen und die Staatskosten senken, da die Hauptstädter bislang so gut wie kostenfrei wohnten und nur einen minimalen Prozentsatz des Durchschnittsgehalts für Miete aufbrachten. Für den einen oder anderen Neueigentümer, der eine Wohnung in bester Lage übernehmen konnte, dürfte es sich gelohnt haben. Bei heutigen Kaufpreisen von rund 29 000 Euro – pro Quadratmeter – ist manch einer Millionär geworden.

Im neuen Businesszentrum in Moskau City schießen futuristische Wolkenkratzer wie Pilze aus dem Boden. Davor fließt die Moskva, thront der gewaltige Bau des ehemaligen Hotels Ukraina, eine der im stalinistischen Zuckerbäckerstil erbauten Sieben Schwestern – eine beeindruckende Skyline.

„Hoffentlich wächst Moskau nicht weiter. So ist sie die Stadt der Zukunft und der Welt: schön, alt, modern, lebendig, nicht schlechter als New York, wohin viele streben.“ Touristenführerin Marina grinst und steigt in die Metro. Sie weiß um die Stationen aus dem frühen 20. Jahrhundert, die Theaterkulissen ähneln: die Wände aus Marmor und Majolika-Ornamenten, Reliefs an den Gewölbedecken und Säulen im Art Déco-Stil. Marina genießt und schweigt und denkt an das nächste Plombir-Eis.

Reise-Tipps

  • Anreise: Turkish Airlines fliegt ab Frankfurt über Istanbul nach Moskau  (www.turkishairlines.com); alternativ mit Finnair über Helsinki (www.finnair.com).
  • Übernachten: Das ruhige Boutique Hotel Golden Apple, in Fußweite zur Twerskaja und zum Puschkin Platz, bietet einen Jakuzzi und ein empfehlenswertes Frühstücksbuffet (www.goldenapple.ru). Im StandArt Hotel im historischen Zentrum am Boulevardring ist jedes Zimmer anders im retro-futurischen Stil eingerichtet; es gibt ein Restaurant, eine Dachterrasse und ein Spa (www.standarthotel.com).
  • Pauschalreisen: Studiosus hat Moskau im Rahmen einer fünftägigen Städtereise im Programm (www.studiosus.com). Bei Dr. Tigges kann man Moskau auf einer 4-Tage-Studienreise entdecken (www.gebeco.de). Wikinger Reisen bietet Moskau auf einer Wander-Studienreise in Kombination mit St. Petersburg an (www.wikinger-reisen.de).

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