Die Oder ist launisch. Mal ist sie freundlich und einladend, dann wenn sie wie ein kleines unspektakuläres Rinnsal dahin plätschert. Mal schroff und kalt, wenn sie sich auf ihrer Strecke zu einem mitunter wilden und weit verzweigten Strom entwickelt. Dazwischen stille und leise Melancholie an ihren Ufern. Doch einsam wirkt es nur auf den ersten Blick. Die barocke Pracht in Neuzelle im Südosten Brandenburgs überrascht.
Neuzelle in Brandenburg ist ein kleines Dorf mit einem Kloster direkt an der Oder. 1268 gegründet, 1817 säkularisiert und 2018 wiedereröffnet. Die spirituelle Kraft des Ortes ist zurückgekehrt. Dauerhaft leben hier wieder Zisterzienser aus der Abtei Heiligenkreuz, aus dem Wienerwald in Österreich, auf dem Gelände.
Pater Kilian steht am Kircheneingang im weißen Gewand mit schwarzem Überwurf und hält sein Handy in der Hand. „Wir sind Mönche des 21. Jahrhunderts.“ Wenn viele Leute kommen, sei ihm das am liebsten. Er nennt die Anlage einen Ort des Friedens, den man mit dem Herzen betrete.
Barocke Pracht
Siebenmal treffen sich die Mönche zum Stundengebet in der Katholische Stiftskirche St. Marien. Das erste Mal um fünf Uhr morgens, das letzte Mal um halb acht am Abend. So ist die Ordensregel. Um 12 Uhr laden sie Besucher ein, ihrem Gebet beizuwohnen. Diese kommen gern, schon um die barocke Pracht und die in Marmor geschlagenen Fabelwesen zu bewundern. Sobald sich die Mönche im Chorgestühl versammelt haben, stimmen sie ihr gemeinsames Gebet an. Die hohen Männerstimmen erheben sich und die Melodie durchdringt die uralten Mauern der Abteikirche. Das Gelände um die Kirche weitet sich, als wolle es die Besucher mit ausgebreiteten Armen begrüßen.
Der alte Weinberg wurde wieder belebt und die Trauben wachsen fast so wie damals, als Abt Martinus im 18. Jahrhundert Weinstöcke einpflanzte, die er aus Burgund hatte kommen lassen. Einige der alten Rebsorten wachsen noch zwischen den Büschen, die währen einer Führung zu sehen sind. Dann geht es in den Berg hinein, ins Museum „Himmlisches Theater“ zu den Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab. Ein monumentales barockes Kulissentheater. Auf bis zu sechs Meter hohen, farbig bemalten Holztafeln und Leinwänden erzählen sie die Passion Jesu. Ein einzigartiges Zeugnis europäischer Kunst- und Kulturgeschichte.
Ein vollendetes Kunstwerk ist der Klostergarten neben der Stiftskirche. Terrassen, Wasserspiele, Sichtachsen, Broderie-Parterre und Orangerie, alles nach französischem Vorbild und nach Originalplänen aus dem Jahr 1760. Neu ist der Küchen- und Kräutergarten, wo Thymian, Majoran und Wermut wachsen. Ein feiner Duft nach Blu?ten weht durch die Luft. Es sind die Zitronenbäume. Jedes Jahr im Frühling hofft Gärtnermeister Ralf Mainz, dass die zarten Bäume, die aus der Orangerie geholt werden, wieder blühen. Er sagt, für die Zitronenbäume ist es anstrengend Blüten zu bilden. Sie brauchen einen sonnigen und geschützten Platz und die richtigen Nährstoffe, selbst das Gießen ist eine Wissenschaft für sich. Diesen Ratschlag gibt er Gästen mit auf den Weg, die die Blütenpracht bewundern. So idyllisch der Garten ist, der Blick über die Oderwiesen gehört zu den schönsten Ausblicken des Landes Brandenburg. Weites unberührtes Land. Bis zur Oder ist man 20 Minuten zu Fuß unterwegs.
In den Dörfern des Odergebietes geht es über Kopfsteinpflaster, vorbei an Feldsteinkirchen und Fachwerkreihenhäusern. Manche renoviert, die Fenster strahlend weiß und mit Blumenkästen dekoriert. Die meisten leben hier schon immer. Jakobsdorf, vor den Toren von Frankfurt Oder, am Jacobs-Pilgerweg gelegen, wirkt eher verschlafen. Jetzt wird wieder Wein angebaut, fast so wie vor Jahrhunderten. „Hier sind meine Wurzeln. Warum nicht mal etwas Neues ausprobieren.“ Der Winzer und Brennmeister Holger Lehmann holt die Früchte vom flachen Feld hinterm Haus. „Ich liebe es zu verarbeiten, was die Natur so hergibt“, erzählt er.
Er ist einer, der mit seiner Familie im Ort geblieben ist. Andere, besonders die Jungen zieht es in die Stadt. Frankfurt an der Oder ist 15 Kilometer entfernt. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist die Europa-Universität Viadrina, im Juli 1991 gegründet. Auf den ersten Blick wirkt die ehemalige Hansestadt etwas trostlos. Aber das ändert sich, sobald man mitten in der Stadt ist. Auf dem Marktplatz ragt die St. Marien-Kirche zwischen Betonbauten in die Höhe. Über die drei zwölf Meter hohen Chorfenster mit ihrem farbenprächtigen mittelalterlichen Glasmosaik der Schöpfungsgeschichte spricht die Welt, zumindest diejenigen die schon mal da waren.
Gleich nach Frankfurt beginnt ein Schlenker in die Kunst. Schloss Steinhöfel, Ende des 18. Jahrhunderts errichtet, ist zwar ein Schloss von altem Adel, aber steif sind nur die Servietten im Restaurant. Bereits am Eingang begrüßen den Besucher zwei Sphinxe. Geschaffen wurden sie 1792 als Sandsteinkopien nach den Originalen von Conrad Boy auf der ehemaligen Herkulesbrücke in Berlin. Auch Fontane besuchte während seiner Recherchereise im Mai 1862 das Schloss und den Park. Wo früher einmal der Schlossgarten war, wachsen heute fast unbekannte brandenburgische Gemüsesorten. „Kochende Gärten“ nennt der Verein „LandKunstLeben“ das Erlebnis gemeinsam in einer Gruppe zu kochen.
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