Wenn es dunkel wird in Pingxi, steigen die Erwartungen. Die einen träumen von viel Geld, andere von der sensationellen Karriere, der großen Liebe, Gesundheit oder vom Weltfrieden. Hochfliegende Wünsche, die Besucher auf große Laternen pinseln. Fertig bemalt steigen sie in die Nacht. Immer höher, bis nur noch leuchtende Punkte zu sehen sind, wie Glühwürmchen auf dem Weg zu einer Audienz mit irgendwem, der vielleicht Bitten entgegennimmt: Gott, Buddha, das Universum. Zurück bleiben die Fotos auf den Smartphones und das gute Gefühl, es könne etwas nutzen. Jedenfalls nicht schaden. Zumindest hat man Spaß gehabt.
"Der Lichtzauber ist gut für die Shopbesitzer, aber schlecht für die Umwelt."
Die Shops stehen eng in Shifen Old Street im Distrikt Pingxi, drängen sich rechts und links der Bahngleise, auf denen einst Kohle transportiert wurde. Früher lebten hier in der Gegend Bergarbeiter, heute geht der Blick der Bewohner in die andere Richtung, nach oben, den Himmelslaternen hinterher. Eine neue Art von „Glück auf!“. Denn dafür kommen jedes Jahr Hunderttausende Besucher – vom Zentrum Taipehs aus brauchen die Touristenbusse nur rund 40 Minuten. Buntes Laternenpapier klemmt an Ständern vor den kleinen Läden – bereit, mit Wünschen verziert zu werden. Weil kaum einer Kalligrafie beherrscht, werden Schriftzeichen meist ungelenk von laminierten Infoblättern abgezeichnet, die die Shopbesitzer aushändigen. Bereits durch die Wahl der Papierfarbe gibt man dem Begehr ein Thema: Rot steht für Gesundheit und Frieden, Gelb für Geld und Wohlstand, Blau meistert die Karriere, Weiß denkt an die Zukunft, Orange findet die Liebe oder macht die Heirat klar. Magenta ist was für angehende Sternchen, denn es verspricht Popularität, Pink generell Freude.
Das Laternenfest findet jedes Jahr am 15. Tag nach dem Chinesischen Neujahr statt, in der Nacht des ersten Vollmonds. Es ist das Ende der Feierperiode, in der sich Familien zusammenfinden, ganz gleich, wohin sie zerstreut wurden. Überall im Land hängen dann Laternen, die sich mancherorts wie Lichterdecken über die Straßen legen, Tempel und Parks erleuchten. Oft in Rot, denn das bringt Glück. Das offizielle Laternenfestival findet immer in einer anderen taiwanischen Provinz statt – mit mehr als 3000 bis zu 23 Meter hohen, viele Tonnen schweren und Hunderttausende Euro teuren Lichtgebilden, denn Laternen kann man die meisten nicht nennen. Die Sky Lanterns aber, die man in die Lüfte entlässt, dürfen nur in Pingxi steigen. Weil der Brauch so gut ankommt, inzwischen an jedem Tag im Jahr. Gut für die Shopbesitzer, weniger gut für die Umwelt. Denn die Laternen verschwinden natürlich nicht im Himmel, sondern fallen irgendwo wieder zu Boden. Zwar wird ein Teil meist von Kindern wieder aus den Wäldern geklaubt, weil sie dafür Geld bekommen, doch viel Papier und vor allem Draht bleiben ungefunden oder unerreichbar.
Im Hinterzimmer eines Laternenshops in Shifen Old Street sitzt eine alte Frau zwischen Kartons und Stoffrollen auf einem Schemel. Vor sich einen Kindertisch, auf dem sie faltet, klebt und Perlen auffädelt. Und zwar mit so viel Routine, dass ihre Augen meist auf dem Fernseher ruhen, wo eine Show läuft. Lin Huang Mu Dan macht Minilaternen, grade mal so groß wie Salzstreuer, die Besucher anders als die Himmelslaternen mit nach Hause nehmen können.
Die 88-Jährige war vor vielen Jahren die Erste, die in ihrem Shop zusätzlich zu den großen auch die kleinen Laternen verkaufte. Fragt man, was sie an ihrer Tätigkeit fasziniert, sagt sie einfach: „Dass man damit Geld verdienen kann.“ Sie hatte in den Kohleminen geputzt, bis ihr Mann starb. Da war sie Mitte fünfzig und hatte sieben Kinder. Und nur einen einzigen Wunsch: „Dass es der Familie gut geht.“ Den hat sie einst auf eine Himmelslaterne geschrieben und in die Wolken geschickt. Inzwischen überlässt sie das komplett den Touristen.
"Noch rasch ein Foto, dann steigt die Laterne zum Himmel"
Gehen die Wünsche in Erfüllung? Bei ihr hat es ja wohl geklappt. Ansonsten: Feedback gibt es wenig. Einmal hätte ein Mann hereingeschaut, der sagte: „Ichhabe meinen Jungen bekommen, er ist schon in der Grundschule. Danke!“ Vorn im Shop sind die Minilaternen nach Zweck sortiert: Sie versprechen allzeit gute Fahrt, Gesundheit, eine blühende Zukunft, eine gute Ehe, viel Geld. Doch welche Laterne konzentriert sich worauf? Nur Schriftzeichen sind zu sehen, nirgends ein Buchstabe, keine Erklärung für Nicht-Asiaten, denn von denen kommen nicht viele nach Pingxi. Schüttelt man die Laternen, leuchten sie nacheinander in allen LED-Farben wie eine verrückte Jukebox. Gegen Kitsch hat man in Taiwan wenig einzuwenden.
Signalleuchten, ein scharfer Warnton: Der Zug will durch. Alle, die sich mit ihren fertigen Himmelslaternen auf den Gleisen in Position gestellt haben, müssen weichen. Haarscharf rattert die Bahn an den Touristen vorbei, die sofort danach wieder die Schienen bevölkern. Denn hier ist die beste Startbahn für die Bitten ans Universum.
In einen Drahtring, der die flachen Laternen in eine runde Form bringt, kommt ein ölgetränkter Lappen. Einmal angezündet, erhitzt er die Luft in der Laterne und plustert sie auf wie die überdimensionierte Mütze eines Sternekochs. Gehalten von Freunden, Verliebten, Familien, werden erst einmal sehr viele Fotos geschossen, bis man die Sky Lantern fliegen lässt. Hoffend, dass sie nicht an den Häusern hängen bleibt oder überhaupt gleich Feuer fängt, was häufig passiert. In Pingxi ist das Steigenlassen legal, weil es recht abgelegen liegt und weil es oft regnet, die Waldbrandgefahr gering ist.
Nach dem Chinesischen Neujahr wird besonders viel gewünscht, aber eigentlich bitten die Taiwaner ihre Götter rund ums Jahr um Mithilfe. In Tempeln fragen Gläubige die jeweils zuständigen Gottheiten um Rat und erbitten Gelingen. Da gibt es Götter für Erfolg, Partnerwahl, Gnade, Nachwuchs, Krieg, Literatur und den Schutz der Städte. Die geben mittels auf den Boden geworfener roter Yin-Yang-Hölzer Antwort: ja, nein, vielleicht. Wer’s genauer wissen will, zieht Stäbchen aus einer Box. Anhand der Nummer lässt sich eine Prognose aus einer Liste suchen. Eine andere Variante: Man schreibt sein Begehr auf Metallplättchen, die an einer goldenen Wunschglocke baumeln und im Tempel aufgehängt werden. Es gibt viele Arten, in Taiwan dem Glück auf die Sprünge zu helfen.
Taiwan
Anreise
Flüge von Frankfurt am Main nach Taipeh unter anderem mit China Airlines, www.china-airlines.com, oder Air China, www.airchina.de. Für Reisen im Land empfehlen sich Züge. Sie verkehren entlang der Küsten, www.railway.gov.tw/en. Hochgeschwindigkeitszüge: www.thsrc.com.tw/index_en.html
Unterkunft
5-Sterne-Luxushotel im Kolonialstil: Palais de Chine, Taipeh, DZ ab 170 Euro pro Nacht inkl. Frühstück, www.palaisdechinehotel.com.
Modernes Stadthotel: Lealea Garden Hotel, Taipeh, DZ ab 85 Euro pro Nacht inkl. Frühstück, www.lealeahotel.com.
Sehenswürdigkeiten und Ausflüge
Mit einem Ausflug zu den Himmelslaternen in Shifen Old Street kann man sehr einfach einen Besuch von Jiufen verbinden. In der alten Goldgräberstadt in den Bergen gibt es einen spannenden Markt und traditionelle Teehäuser.
Auch direkt bei Taipeh lässt es sich gut Tee trinken: Die Seilbahn bringt einen vom Zoo aus hinauf zu den Teehäusern von Maokong. Dort kann man durch Teeplantagen spazieren, Tee trinken und auf die Großstadt hinunterblicken.
Was Sie tun und lassen sollten
Unbedingt auf den Nachtmärkten einkaufen und essen gehen – und das nicht nur einmal. Jeder ist anders und keiner ist langweilig. Wovor Sie sich aber hüten sollten: Stinky Tofu zu probieren. Das ist wirklich nur für einheimische Gaumen eine Delikatesse. Wobei man an frittierten Hühnerkrallen durchaus mal knabbern kann.
Allgemeine Informationen
Taiwan Tourismusbüro, www.taiwantourismus.de
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