Ist der Mann im roten T-Shirt vielleicht ein Genie? Die Frau in Turnschuhen Nobelpreisträgerin? In Cambridge ist an diesem Tag kein Talar zu sehen, aber irgendwo müssen die großen Geister ja stecken, vielleicht im Nachbarboot. Oder sind das am Ende auch bloß Touristen?
Der Fährmann unseres Stechkahns hat uns im flachen Flusswasser an den berühmten Cambridger Colleges vorbeigeschoben, in denen seit Jahrhunderten exzellente Köpfe über ihren Ideen brüten. Nun gleiten wir unter einer hölzernen Brücke hindurch, vor dem Queen’s College überspannt sie den River Cam – angeblich ein Wunderwerk der mathematisch durchdachten Baukunst. Anders als heute soll sie in früheren Zeiten komplett ohne Nägel ausgekommen sein. Ein kluger Tüftler, so erzählt man sich, habe die Holzstreben so geschickt angeordnet, dass einzig physikalische Kräfte sie zusammenhielten. Manche behaupten, es sei Isaac Newton gewesen.
Charles Darwin, Stephen Hawking, Sylvia Plath – die Liste berühmter Persönlichkeiten, die an Cambridge’s Colleges studiert oder geforscht haben, ist lang. Da liegt zwischen ihren dicken Mauern natürlich die Hoffnung nah, das Talent jener Geistesgrößen färbte ein kleines bisschen auf einen ab. Und wenn es nicht gleich der wissenschaftliche Durchbruch ist – in Cambridge lassen sich jenseits der 31 Colleges ja auch bescheidenere Ziele verfolgen. Englisch lernen zum Beispiel, das kann schließlich niemals schaden.
Vokabeln im schattigen Hof
Clever oder hardworking, honest oder loyal? Im Hinterhof von „Select English“, einer der hiesigen Sprachschulen, sitzen Jugendliche aus aller Herren Länder im schattigen Hinterhof beisammen und ringen um den treffenden Ausdruck. Die meisten Teenager hätten zwei Wochen mit vier Stunden täglich gebucht, sagt Robert Hesketh, der Direktor. Aber wer sich durch Grammatik und Kommunikation nicht ausreichend gefordert sieht, kann auch einen Kurs wählen, bei dem er nachmittags über Reagenzgläsern sitzt oder an Raketen bastelt. Wo sonst sollte man seinen Forschertrieben nachgehen können, wenn nicht in Cambridge? Außerhalb der Sommermonate bereiten sich Schüler aus aller Welt an Heskeths Schule auf das Studium in Großbritannien vor. Wer auf einen Platz in Oxford oder Cambridge hofft, braucht gute Noten und ein dickes Portemonnaie. Abgänger von Privatschulen stellen an den britischen Eliteschmieden Cambridge und Oxford etwas weniger als die Hälfte der Studenten, sind damit aber immer noch überproportional vertreten: Es sind durchschnittlich sieben Prozent der Jugendlichen, die in Großbritannien eine der teuren Privatschulen besuchen.
Zum Beispiel St Swithun’s im beschaulichen Winchester im Süden der Insel, rund 160 Kilometer von Cambridge entfernt. Ein riesiges Gebäude aus rotem Backstein, davor ein gigantischer Rasen – rund 500 Mädchen gehen hier unterjährig zur Schule, rund die Hälfte von ihnen lebt hier im Internat. Wenn sie Mitte Juli in die Sommerferien verschwinden, übernehmen 200 Jungen und Mädchen zum Englischlernen ihr Revier. Bis St Swithun’s den normalen Betrieb Anfang September wieder aufnimmt, wird es zur Sprachschule umfunktioniert.
Internatskultur der Insel
Doch so global bedeutsam Englisch auch ist, hier ist es nicht damit getan: „Caritas, Humilitas, Sinceritas“ steht als Leitmotiv in großen Lettern über dem Eingang des Internats, das dieses Grundstück 1929 bezog. Nächstenliebe, Demut und Aufrichtigkeit mögen Werte sein, an denen sich auch andere Schulen orientieren, doch hier werden sie auf besondere Weise gelebt. So beschreibt es zumindest Tahira Martin, die heute das Netzwerk der Ehemaligen koordiniert. „Hier zur Schule gegangen zu sein, hat mir immer viel bedeutet“, beteuert sie.
Tahira Martin selbst kam als Siebenjährige gemeinsam mit ihrer Schwester nach St Swithun’s und verbrachte die folgenden elf Jahre hier. Der Vater war für die Vereinten Nationen tätig, die Töchter wollte er nicht mit nach Nigeria nehmen. Die Umstände sprachen, wie in so vielen Familien des Vereinigten Königreichs, für ein Internat.
Inzwischen, nach vielen Jahren in Paris und London, ist Tahira in die südenglische Stadt zurückgekehrt – sicher eine gute Wahl. Winchester mit seiner Kathedrale, den steinernen Mauern und all dem Grün ist nicht nur idyllisch, sondern wurde von der „Sunday Times“ auch schon zur lebenswertesten Stadt Großbritanniens gekürt. Aber warum Winchester selbst auch einen Besuch wert ist: Das ist ein anderes Thema.
tipps und adressen
Englisch lernen: LAL Sprachreisen bietet in britischen Städten Englischkurse an. Zwei Wochen für Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren in Cambridge mit Unterkunft, Vollpension, Betreuung und Freizeitaktivitäten ab 1650 Euro, in Winchester für Jugendliche von neun bis 17 Jahren ab 1775 Euro. Anreise extra (www.lal.de).
Cambridge: Die Colleges (die berühmtesten sind King’s und Trinity) sind ein Muss. Öffnungszeiten variieren. In Ufernähe mehrere Möglichkeiten, Stechkähne (punts) zu mieten – seit jeher beliebt bei Studenten.
Winchester: Restaurant mit besonderem Ambiente in mittelalterlichem Gebäude: „The Chesil Rectory“. Interessante Stadtführungen bei David Snuggs (davidanddiana.snuggs@outlook.com).
jul
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