Ras Al Khaimah

Dubais kleiner Bruder

Alle Welt spricht vom Glanz und Glitzer der Millionenstadt, doch kaum jemand kennt ihr Nachbaremirat Ras Al Khaimah. 45 Minuten von der Mega-Metropole entfernt laufen die Uhren langsamer. Hier gibt es eine alt-arabische Perlenzucht, das Hajar-Gebirge sowi

Von 
Nicole Adami
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Das Dhayah-Fort, eine imposante Festung, zieht inzwischen auch Touristen an. Ras Al Khaimah eignet sich auch für Dubai-Urlauber, die das Mega-City-Erlebnis mit einem vergleichsweise günstigen Strandurlaub verbinden wollen.

© Adami

Was wir hier haben, das es in Dubai nicht gibt? Ruhe!", sagt Mohamed und lacht. Dubais Glitzer und Prunk hat hier in Ras Al Khaimah noch nicht Einzug gehalten. Doch Mohamed scheint das nicht zu stören. Im Schneidersitz hockt er vorne auf dem Dhau, das mit einer Gruppe Touristen hinaus in die Lagune schippert, und genießt den warmen Wind, der sein langes weißes Gewand umspielt. Hinter ihm tun sich die schroffen Gipfel des Hajar-Gebirges auf, ein Schwarm Flamingos fliegt durch die vor Hitze flirrende Luft.

Es ist eine fast surreale Szenerie, wenn man bedenkt, dass nur wenige Kilometer entfernt einige der höchsten Wolkenkratzer unserer Erde stehen. Doch all die Superlative Dubais gibt es hier, in Ras Al Khaimah, nicht. Stattdessen Wüste, karge Bergflanken, mächtige Forts, Dattelplantagen, alte Märkte - und die einzige Perlenzucht des gesamten Nahen Ostens.

Mohamed arbeitet bereits seit mehreren Jahren auf der Farm und zeigt seinen Gästen, wie man die kostbaren Perlen kultiviert. Damit geht er einer Tradition nach, die in Ras Al Khaimah fest verwurzelt ist: Das Perlenfischen am Arabischen Golf war lange Zeit ein blühender Wirtschaftszweig. Zwischen Juni und Oktober, wenn das Meer ruhig dalag, fuhren die Vorväter mit den Booten hinaus, um das weiße Gold aus rund 20 Metern Wassertiefe heraufzuholen. Eine beschwerliche Arbeit, die allerhand Gefahren mit sich brachte. Doch sie ermöglichte gute Geschäfte - bis die Japaner in den 30er Jahren den Kunstperlenmarkt entdeckten und das Bedürfnis nach Naturperlen stark zurückging.

"Heute nehmen wir uns die Technik der japanischen Kunstperlenzucht zu Hilfe, um die traditionelle Perlenfischerei wieder aufleben zu lassen", erzählt Mohamed und fügt stolz hinzu: "Die Ras Al Khaimah Pearl Farm ist die einzige professionell betriebene Perlenfarm im Nahen Osten. Unser Emirat ist eine von nur fünf Regionen weltweit, in denen Naturperlen kultiviert werden."

Schatzsuche am Golf

Dann demonstriert er seinen Gästen, wie die Perlenaustern mit winzigen Fremdkörpern präpariert werden, bevor sie in quadratische Netzträger kommen und ins Meerwasser gehängt werden. In den kommenden Wochen reagieren die Austern auf den jeweiligen Eindringling mit einem Perlmuttsekret, das sich Schicht für Schicht um den Störenfried legt und so eine vollständige Perle entwickelt. Nach rund zwölf bis 18 Monaten kann dann die "Ernte" erfolgen.

Nun darf sich jeder Perlenfarmbesucher eine Auster aussuchen - enthält sie eine Perle, darf diese mitgenommen werden. Vorsichtig knackt Mohamed reihum mit einem kleinen Messer die Schalen. Dann klappt er die erste Auster auf und das glibberig-weiche Muschelfleisch hin und her. Und tatsächlich: Eine Perle kommt zum Vorschein. Die Urlauberin, die sich diese Auster vorher ausgesucht hatte, freut sich. "Die Chancen, eine Perle zu erwischen, stehen eigentlich ganz gut", sagt Mohamed. In etwa 80 Prozent der Muscheln sind Perlen zu finden - rund zehn Prozent davon in höchster Qualität. Und so ist er spendabel: Wer keine Perle erwischt hat, darf eine weitere Auster öffnen.

Früher waren die Perlentaucher oft monatelang auf See, um ihre Familien ernähren zu können. Abgesehen von den Erträgen des Meeres gab es in Ras Al Khaimah ja nur Sand und Berge. Einen Eindruck von diesem einst sehr bescheidenen Leben bekommt man in dem Geisterstädtchen Jazirat Al Hamra. Auf der "roten Insel", wie der Name wörtlich übersetzt wird, waren einst Fischer und Perlenhändler zu Hause, deren Häuser bei Flut vom Festland abgeschnitten waren.

Als man Mitte des 20. Jahrhunderts Öl in den Nachbaremiraten entdeckte, kehrten aber immer mehr Menschen dem beschwerlichen Leben den Rücken zu. Sie verließen ihre aus Korallenstein gebauten Wohnhäuser und die öffentlichen Gebäude. Wer die Geisterstadt heute besucht, wähnt sich fast in einer Filmkulisse, so staubig und verlassen sind die Straßen dort. Noch immer sind aber die alten Gebäude, und sogar die frühere Moschee frei zugänglich. In ihren Mauern sieht man noch heute die Muscheln und Korallen, die einst zum Bau der Häuser verwendet wurden.

Alte Festungen

Heute ist Ras Al Khaimah völlig anders. Es gibt sie zwar noch, die alten Nischen und Ecken, die kleinen Märkte, das schroffe - zu großen Teilen noch unerschlossene - Hajar-Gebirge und die alten Festungen wie das imposante Dhayah-Fort. Doch mittlerweile hat auch der Tourismus Einzug gehalten. Weil Ras Al Khaimah so nah an Dubai liegt, eignet es sich besonders für jene Urlauber, die das Megacity-Erlebnis mit einem vergleichsweise günstigen Strand- und Kultururlaub verbinden wollen.

Seit vor zweieinhalb Jahren die angesehene Hotelmarke Waldorf Astoria ihre Türen in Ras Al Khaimah öffnete, ist das Emirat international für "bezahlbaren Luxus" bekannt geworden. Doch auch Hilton und Banyan Tree betreiben mehrere Hotels und Resorts in Ras Al Khaimah. Die Möglichkeit, unter dem arabischen Nachthimmel Golf zu spielen, mit einem Wasserflugzeug die Küste abzufliegen oder Parasailing auszuprobieren, lockt auch immer mehr Familien an. Und vielleicht findet man in der Manar Mall, dem größten Einkaufszentrum der Stadt, ja auch ein Perlenschmuckstück, das als Andenken mit nach Hause genommen wird.

Heute fischt die Ras Al Khaimah Pearl Farm rund 80 000 bis 100 000 Ayoka-Perlen pro Jahr aus den Gewässern des Arabischen Golfs. Nur die Allerschönsten gehen in die Zählung ein und werden zu Schmuck weiterverarbeitet. Form, Farbe, Gewicht, Größe und Glanzkraft unterliegen strengen Kontrollen. "Besonders stolz sind wir auf eine Perle mit zwölf Millimetern Durchmesser, die wir 2007 entdeckt haben", erzählt Mohamed. Heute kann sie im örtlichen Perlenmuseum bestaunt werden.

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