Eduardo Mamani eilt durch seinen Heimatort, klopft an Türen. „Bist du dabei?“, fragt er auf Quechua. Der Chefträger holt sein Team zusammen. 26 Rücken braucht er für 14 Touristen. Er ist verantwortlich, dass beim Start der Tour keiner fehlt, denn sonst darf die Gruppe nicht loslaufen. Deshalb geht er persönlich zu ihnen. Ab übermorgen werden sie Zelte, Schlafsäcke, Reis, Fleisch, Gemüse, Kaffee, Töpfe, Tische, Stühle, eine Gasflasche und eine mobile Toilette tragen – vier Tage lang über Pässe und Brücken, Steine und Stufen, bis nach Machu Picchu. Die Männer arbeiten auf dem Inka-Trail, einem der berühmtesten Wanderwege Südamerikas, den 85 000 Menschen im Jahr begehen. Die Träger bessern damit ihr Auskommen auf, die meisten sind arme Bauern aus der Gegend.
Während Eduardo klopft, wiegen Touristen in der Lobby eines Hotels in Cusco ihr Gepäck. Es darf nicht schwerer sein als sechs Kilogramm. Zwei Drittel gehen für Schlafsack und Aufblasmatratze drauf. Braucht man das Insektenspray wirklich? Was ist wichtiger: Regenhose oder Schuhe zum Wechseln? Plötzlich scheint es nicht mehr albern zu sein, wenn Wanderer ihre Zahnbürsten absägen.
Es gibt nicht den einen Inka-Trail, es gibt viele. Quer durch die Anden, von Ecuador bis Argentinien. Aber es gibt nur einen, über den alle sprechen: teils noch mit Steinen gepflastert, samt Treppen und Tunneln, vier Tage, 44 Kilometer lang. Das Ziel: Machu Picchu. Wofür der Inka-Trail einmal angelegt wurde, wissen die Archäologen genauso wenig, wie sie die Ursprünge der vergessenen Stadt selbst kennen. Die Guides behaupten, dass hier die Könige der Inkas pilgerten. Der Weg führt durch mehrere Klimazonen, mit spektakulären Ausblicken, vorbei an Ruinen und Terrassen, vor denen keine Reisebusse stehen, weil keine Straße dorthin führt.
Nur Wanderer können sie betreten. Und die Lamas. Früher vergrößerten die Inkas mit den Tieren ihr Reich – sie trugen alles und sorgten für Fleisch und Wolle. Ohne sie wäre das Volk nie so einflussreich geworden – und heute würden ihre Stätten zuwuchern ohne die Tiere, die als Rasenmäher eingesetzt werden.
An Bahnkilometer 82 im Heiligen Tal treffen sich Träger und Touristen zum ersten Mal. Es ist der offizielle Startpunkt der Tour. Ein paar Häuser, Bahngleise, ein Parkplatz. Frauen in bunten Röcken eilen auf die angehenden Inka-Trail-Bezwinger zu, offerieren alles, was man in den nächsten vier Tagen nicht entbehren will: Schokolade, Getränke, Chips, Strickmützen, Taschentücher. Und Gummipuffer für die Wanderstöcke: „Hier! Die brauchst du!“ Mit wachem Auge hat eine Verkäuferin entdeckt, dass die Spitzen mancher Stöcke keinen Schutz haben. Ein Trick, oder? Aber nein, es stimmt: Auf machen Abschnitten verlangen die Behörden Puffer, weil die Metallspitzen dem teils noch original steinbelegten Weg schaden könnten. Das Regelwerk rund um den Wanderweg wird beständig dicker. Keiner darf den Weg mehr ohne Guide gehen. Zelte werden nur auf markierten Plätzen errichtet. Tickets gibt es nur über Reiseagenturen. Träger dürfen nicht mehr als 20 Kilo schultern. Abfall muss zurückgetragen werden.
„Porter, Porter!“, klingt es auf dem Inka-Trail andauernd. Denn sobald die schwer bepackten Träger daherkommen, sollen Touristen andere warnen und Platz machen, um sie nicht aus dem Rhythmus zu bringen. Touristen und Träger sind zwar auf demselben Weg unterwegs und doch in anderen Welten. Die Touristen sitzen bei ihren mehrgängigen Menüs am Tisch in einem Zelt, schlafen in Igluzelten, bekommen morgens einen Koka-Tee gebracht plus eine Schale mit warmem Wasser zum Waschen. Die Träger sind für ihr Essen selbst zuständig. Meist gibt es Reis. Sie haben oft keine Schlafsäcke, übernachten im Küchenzelt. Kleidung bekommen sie von den besseren Touranbietern gestellt: eine Regenjacke, Rücksäcke, Wanderschuhe. Trotzdem sieht man auf dem Trail ein buntes Sortiment an Ausrüstung. Entweder die Firmenkollektion ist schon verschlissen oder weiterverkauft. Oder die Begleiter tragen die abgetragenen Schuhe von Touristen, manche auch tatsächlich Sandalen aus Autoreifen.
Seit 2004 ist die Zahl der Besucher auf dem Inka-Trail limitiert. Nur 500 Menschen dürfen am Tag losgehen. Knapp mehr als ein Drittel der Plätze ist für Touristen reserviert. In der Hochsaison muss man ein halbes Jahr vorher fix buchen. Das Argument für die Limitierung war, dass dies zum Erhalt des Pfads nötig sei und die Umwelt geschützt werden müsse. Allerdings nutzt die Änderung nicht nur der Umwelt, sondern auch den Touranbietern, an denen jetzt keiner mehr vorbeikommt. Auch der Staat profitiert vom Trail: 75 Euro zahlt jeder Veranstalter pro Tourist und Ticket. Wer den Inka-Trail mit offenen Augen und Ohren geht, hat schnell den Eindruck: Das dürfte ein gutes Geschäft sein – so wenig, wie am Wanderweg getan wird. Pflastersteine werden nicht ersetzt, Toiletten nur ausnahmsweise errichtet, geschweige denn geputzt. Träger müssen Kocher und Gasflaschen mittragen, weil es keine Kochstationen gibt. Vor ein paar Monaten ersetzten die Träger selbst ein Stück Weg, an dem es einen Erdrutsch gab. Zu ihrer eigenen Sicherheit, weil von offizieller Seite nichts unternommen wurde.
Am vierten Tag frühmorgens drängen sich die Wanderer am Sonnentor, von dem aus man zum ersten Mal auf Machu Picchu herabschauen kann. Den ganzen Morgen hat keiner „Porter!“ gerufen. Denn zu der Zeit sitzen die Träger mit den ganzen dicken Rucksäcken schon im Zug, sie fahren zurück Richtung Cusco oder in ihre Dörfer. Noch vor Sonnenaufgang haben sie sich von der Gruppe getrennt und sind ins Tal abgestiegen, denn sie dürfen nur bestimmte Züge nehmen, die Porter-Trains. Die anderen sind für Touristen reserviert. Und so sehen die, die so oft im Jahr den Weg Richtung Machu Picchu gehen, die umschwärmte Stätte am Ende nie. Stattdessen warten sie darauf, dass es bald wieder an ihrer Tür klopft.
Peru
Anreise
Mit KLM von Stuttgart nach Cusco, mit zweimal Umsteigen, www.klm.com.
Inka-Trail
Rund 200 staatlich lizenzierte Agenturen bieten Touren auf dem Inka-Trail an. Seitdem nur 500 Personen am Tag starten dürfen (inklusive Guides, Träger, Köche), muss jeder Teilnehmer beim Ministerium für Kultur persönlich registriert werden, mit Passnummer – und das geht nur über einen Reiseveranstalter.
Reisearrangement
Eine 7-tägige Reise mit 4 Tagen auf dem Inka-Trail bietet etwa der kanadische Anbieter G Adventures. Das Unternehmen wurde von der Regionalverwaltung für Außenhandel und Tourismus in Cusco als bester Anbieter auf dem Inka-Trail ausgezeichnet. Preis pro Person ab 798 Euro ohne Flug, www.gadventures.com.
Weitere Veranstalter z. B. www.viventura.de oder www.diamir.de
Allgemeine Informationen
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