Büfett ade

Wegen des Coronavirus ist Essen in der Selbstbedienungsvariante schwierig geworden. Ein vorauseilender Nachruf ohne Bedauern.

Von 
Nicole Quint
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Abstand halten unmöglich: Die Schlacht am (kalten) Büfett ist vorüber. © Adobe Stock/Kanpisut

Was waren das nur für Zeiten, als die Welt noch hinter gestapeltem Kochschinken und verkohltem Toast wartete? Draußen gab es eine fremde Stadt zu entdecken, aber zwischen den Hotelgästen und dem Leben lag das Frühstücksbüfett und hielt sie in der Zwischenwelt der Hotelrestaurants gefangen. Aus der angrenzenden Küche war Gläserklirren und Tellerklappern zu hören. Mobiliar und Dekoration von Frühstücksräumen wechselten, die akustische Untermalung gehörte jedoch ebenso zum Hotelfrühstück dazu wie das standardisierte Büfett: lange Tischreihen, auf denen sich Schüsseln und Schälchen häuften, Edelstahlbehälter, Etageren, Abdeckhauben, Saftpressen, Serviettenspender und Besteckbehälter. Nur Teller waren nie in ausreichender Anzahl vorhanden.

Besonders viel Raum nahmen die Warmhaltestationen ein. Im Inneren dieser silbernen Särge brüteten Reibekuchen, Eierspeisen und Fleischklößchen ihrer abendlichen Resteverwertung entgegen. So sicher wie die Fettstücke in der Salami gehörten auch Butterpäckchen in Eiswürfelschalen und Marmelade in Miniportionspackungen zum Büfett, und bleiche, großporige Wurstscheiben waren offenbar genauso unvermeidbar wie Trockenfrüchte, die auch als altägyptische Grabbeigaben hätten durchgehen können. Büfetts waren Déjà-vu-Garanten. Genau deshalb klagten wir zwar stets über diese Form der Hotelgast-Speisung, balancierten unsere Teller aber dennoch brav immer wieder am Büfett-Tisch entlang. Sie war uns halt vertraut, diese morgendliche Prozedur, die fast überall auf der Welt nach den gleichen Regeln ablief. Deshalb konnte uns ein Büfett Souveränität schenken, selbst wenn wir uns in der Fremde unsicher fühlten. Dank Büfett mussten wir nicht mittels peinlicher Pantomime versuchen, Essen zu bestellen, wenn wir die Sprache des Reiselandes nicht beherrschten. Die Gleichförmigkeit der internationalen Büfett-Kultur wirkte in der ganzen Palette ihrer natürlichen und künstlichen Lebensmittelfarben beruhigend auf uns. Den Preis für diese Vertrautheit zahlten wir oft mit der Enttäuschung über warm gehaltene Omelette-Tragödien und Wurstbriketts. Dabei waren Büfetts grundsätzlich eine gute Idee: ein Potpourri verschiedenster Spezialitäten, von denen sich jeder bedienen konnte. Leider erwiesen sich kulinarische Vielfalt, Kostenkalkulation und menschliche Triebe als unvereinbar. Selbstbedienung endete in Barbarei und Hamsteranfällen. Müsliriegel glitten in geöffnete Handtaschen, und Würstchen um Würstchen wurden in die Serviette gewickelt, während sich die Jackentaschen der Äpfel-Schmuggler beulten. Hoteliers brachten längst schon keine Hinweistafeln mehr an: „Bitte keine Speisen und Getränke vom Büfett auf die Zimmer nehmen!“ Solche Gebote hätten bei Nichtbefolgen schließlich Maßnahmen verlangt, und wie hätte man einen Gast strafen sollen? Ihm vor versammelter Mannschaft die geschmierten Brote aus dem Rucksack holen? Das Gastgewerbe rächte sich für schlechtes Benehmen geschickter - mit Rührei-Imitaten und mit metallisch schmeckendem Kaffee, und das alles in der Zeit zwischen 7 und 10 Uhr. So sah professionelle Erniedrigung aus.

Es gab auch vorbildliche Büfetts. Klein und fein, mit Käse, Quark und Joghurt aus der Dorfkäserei, selbst gemachter Brombeermarmelade, Bio-Eiern aus regionaler Freilandhaltung und heimischen Birnen statt importierter Bananen. Kaffee wurde auf Wunsch frisch zubereitet. So sah die beste aller Büfett-Welten aus – nachhaltig und lecker. Doch mit der Qualität des Frühstücks verbesserte sich das Benehmen der Gäste nicht zwangsläufig. Pfannkuchen-Logik kann man dieses Phänomen nennen. Menschen, die daheim höchstens eine Tasse Kaffee am Morgen trinken, verwandelten sich im Hotel zu Liebhabern von Blaubeerpfannkuchen, Birchermüsli und Rührei.´Dieser Büfett-Irrsinn gehört nicht zu den großen Mysterien der Menschheitsgeschichte. Es liegt in unserer Natur, als Erster das Beste bekommen zu wollen. Wo hört harmloser Hamstertrieb auf, wo fängt Plünderei an, und macht es für unser Karma keinen Unterschied, ob wir für später ein Käsebrot oder fünf Croissants eingesteckt haben? Eines ist sicher: Am Büfett verliert Anstand immer gegen Raffgier. Es wäre zum Erhalt der Selbstachtung also nur zu unserem Besten, wenn wir uns nach der Corona-Pandemie nicht kampfbereit in die Selbstbedienungsschlange stellen müssten, sondern am Tisch sitzen und so tun könnten, als wären wir schon immer ein Ausbund an Zivilisiertheit gewesen.

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