Die Gassen sind eng, verwinkelt sowieso, und dass fast alle Gebäude blau sind, erleichtert nicht gerade die Orientierung. Es geht bergauf und bergab, aber auch diese Gasse in Chefchaouens Altstadt führt nicht zum zentralen Platz Outa el Hammam, sondern ins Nirgendwo. Das heißt in diesem Fall: zu Omar.
In seinem bodenlangen Gewand, einer wollenen Dschellaba, steht er an diesem Februartag vor seinem Laden, bereit zum Empfang verirrter Besucher. Die blaue Mauer hat er zur Verkaufsfläche umfunktioniert, hier stellt er nun seine Teppiche aus. Auf manchen verbinden sich geometrische Muster zu Reihen, andere sind einfarbig, grün oder rot. Wer stehenbleibt, erfährt etwas über ihre Herkunft, ihre Muster und Farben. Und über die Vorzüge dieses Geschäftsmodells: „Es ist besser, Teppiche zu verkaufen als Gras.“
Teppiche statt Hanf
Chefchaouen wurde Kult, nachdem die Hippies in den 1960er Jahren kamen. Der Ort im Norden Marokkos ist bekannt für seine blauen Gassen, die Region berüchtigt für den blauen Rauch, fürs „Kif du Rif“. Chefchaouen liegt im Rifgebirge, ist mit 40 000 Einwohnern zugleich seine größte Stadt. Die Gegend ist arm, viele Bewohner verdienen ihr Geld mit dem, was der Boden hergibt, sie bauen zum Beispiel Oliven an – oder Hanf. Das ist zwar illegal, aber Marokko ist dennoch der größte Haschischproduzent der Welt und Chefchaouen eines der Zentren. Rund eine Million Menschen im Land leben schätzungsweise vom Cannabisanbau.
Seine Familie, sagt Omar, sei eine von ihnen gewesen. Sie habe Hanf angebaut, ganz in der Nähe, fernab der großen Straßen. Schließlich aber sei ihr das zu heikel geworden. „Wegen der Polizei.“ Nun bestreite sie ihr Auskommen ausschließlich mit Teppichen und lebe befreit von dieser Sorge. Es war die bessere Wahl, wenn man ihm glaubt; denn dieses Geschäft laufe auch gut. Der Onkel führt es, Omars Mutter webt die Teppiche, und er selbst ist der Verkäufer.
Ein Glück für den, der hier einen Laden hat. Denn Chefchaouen ist wunderschön, und das wissen auch die Touristen. Sie kommen wegen des andalusischen Flairs, wegen der blauen Gassen, der Berge ringsum. Von Hektik keine Spur. Tagesgäste fotografieren sich vor den farbigen Hausfassaden, mal reicht das Blau bis Kopfhöhe, mal bis unters Dach. Wer mehr Zeit hat, geht oft noch wandern in den weiten, luftigen Tälern. „Schau, die Hörner“ bedeutet Chefchaouen übersetzt, damit sind die beiden Gipfel der Umgebung gemeint. Der höhere misst um die 2000 Meter, er ragt bis in die Wolken.
Chefchaouen war einst als heilige Stadt bekannt,und Christen war der Zutritt bis in die 1920er Jahre verboten. Doch heute hat sich der Ort vor allem einen Namen als Hauptstadt des Bergtourismus in Nordmarokko gemacht. Seit Jahrzehnten steigt die Zahl der Besucher. Zuletzt waren es über das Jahr verteilt mehr als 40 000 Gäste, die über die gewundenen Straßen ihren Weg in die grüne Berglandschaft fanden. Das sind in etwa so viele, wie Chefchaouen Einwohner hat. Für viele Einheimische ist der Tourismus eine Chance, ein besseres Leben zu führen, so wie für Omars Familie. Und auch Fatima Hamisch gehört zu denen, die von den Besuchern profitieren.
Die quirlige Frau zog vor 30 Jahren der Heirat wegen von der Mittelmeerküste hierher. In Chefchaouen gehe es sicher und konservativ zu, erzählt sie, Luft und Wasser seien sauber, kurzum: Das Leben vor Ort sei gut. Hamisch ist eine freundliche Frau mit wachen Augen und schwarzem Kopftuch. Die hellblauen Holzläden ihres Geschäfts hat sie zur Gasse hin aufgeklappt, hier hängt ihre Ware: edle Damenhandtaschen, schlicht oder auch mit Dekor, außerdem Rucksäcke und marokkanische Lederpantoffeln, Babouches. Vor zwei Jahren stellte sie ihr Angebot auf die Besucher um, zuvor hatte sie Kopftücher im Sortiment.
Andalusisches Flair
Als sie damals hier ankam, habe man Geschäfte mit Souvenirs vergeblich gesucht. „Früher gab es in diesen Läden Obst und Fleisch“, erinnert sie sich. Jahrhundertelang regierte der Alltag in diesen Gassen. Bald nachdem die Stadt 1471 gegründet worden war, ließen sich Muslime und Juden nach ihrer Vertreibung aus Spanien hier nieder. Sie prägten die Architektur der Altstadt, Straßennamen wie „Avenida Granada“ erinnern daran. Heute finden sich hier Geschäfte mit Kleidung, Schals und Kunsthandwerk, das Angebot orientiert sich stärker an den Gästen als an den Bewohnern. Die Effekte all dessen reichen über die Stadtgrenzen hinaus. Chefchaouen wächst seit Jahren, vor allem Menschen aus Dörfern des Rif lassen sich hier nieder. Am Ortseingang werden neue Häuser gebaut, was das Stadtbild aber nicht stört. Noch immer prägen die Häuser, die sich am Berghang malerisch übereinanderschichten, den Ort.
Wenn es nach dem Willen lokaler Initiativen zur Entwicklung der Region geht, soll die Umgebung Chefchaouens stärker als bisher von den Besuchern profitieren. Schon heute gibt es Unterkünfte im Hinterland, ein paar Stunden Fußmarsch von der Stadt entfernt, die auch abgelegene Gegenden für den naturnahen Ökotourismus erschließen.
Und wer genug hat von all der Natur, weiß die internationale Metropole Tanger nahe gelegen. Gerade einmal zwei Busstunden entfernt, eröffnet sich hier eine andere Welt. Jenseits der legendären Altstadt mit ihren geschäftigen Märkten und ihren zwielichtigen Gestalten lässt das moderne Marokko grüßen. Die breiten Boulevards wirken wie frisch geteert, überall wird gebaut, Kräne ziehen neue Hochhäuser hoch.
König Mohamed VI. hat den Aufstieg Tangers zu seinem Herzensprojekt gemacht, viele sagen, nirgendwo in Marokko passiere mehr als hier. Schon heute ist es der zweitwichtigste Wirtschaftsstandort im Land. Kein Hafen am Mittelmeer fasst mehr Container, und in Tanger fährt seit kurzem El Boraq ab, der erste Hochgeschwindigkeitszug von ganz Nordafrika.
„Die Eile ist des Teufels“, sagt man in Marokko, aber das mag andernorts gelten, nicht hier. In Tanger herrscht Aufbruch. Und dann fährt er los, der Zug, mit Kurs auf Casablanca. Vor dem Fenster rauscht das Land vorbei. Hier hat man keine Zeit zu verlieren. Das digitale Display im Abteil zeigt an: 316 Stundenkilometer. So schnell geht es voran.
Tipps und Adressen
- Beste Reisezeit: Ganzjährig, im Nordwesten mediterranes Klima.
- Anreise: Nach Chefchaouen fahren Busse, u.a. ab Tanger.
- Gruppenreisen: FTI bietet mehrere Rund- und Wanderreisen in Marokko an, z.B. eine elftägige Städtereise, die u.a. nach Tanger und Chefchaouen führt. Im DZ inkl. HP und Flug ab 1039 € p.P. Telefon: 089-71045-1498, im Internet: www.fti.de.
- Informationen zum Reiseland: www.visitmorocco.com/de.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/machen/reise_artikel,-reise-blaue-gassen-blauer-rauch-_arid,1632056.html