Transparency-International-Experte zu Heidelberger Bluttest

„Das ist ein ganz schlimmer Fall von Korruption“

Lesedauer: 
Ein Bluttest wird im Labor des Universitätsklinikums Heidelberg durchgeführt. © Labor/Universitätsklinikum Heidelberg/dpa

Heidelberg/Berlin. Wenn Universitäten an der Vermarktung ihrer Erfindungen beteiligt werden, enthält dies nach Ansicht von Wolfgang Wodarg von Transparency International in Deutschland ein hohes Korruptionsrisiko. Im Interview kritisierte er scharf die Praxis der wissenschaftlichen Ausgründungen und auch die Umstände rund um den Heidelberger Brustkrebs-Bluttest.

Herr Wodarg, in Heidelberg ist die Vermarktung eines an der Uniklinik entwickelten Bluttests offenbar schiefgelaufen. Birgt die Beteiligung von Wissenschaftlern an Start-ups nicht generell einen Interessenskonflikt?

Wolfgang Wodarg: Ja, sicher. Das ist ein typischer Interessenkonflikt. Gerade Wissenschaftler sollen unbestechlich nach Wahrheit suchen und immer alles in Frage stellen. Dafür werden sie bezahlt, das ist ihre Aufgabe. Wenn sie aber andere Interessen haben, berühmt werden oder sich bereichern wollen, besteht die Gefahr, dass das primäre Ziel verraten wird.

In Heidelberg war zum einen die Uniklinik an der Vermarktungsfirma Heiscreen beteiligt. Zum anderen haben Mitentwickler des Tests Anteile an dem Start-up, eine Person war zudem Geschäftsführer. Finden Sie das problematisch?

Wodarg: Ja - und noch mehr. Die Wissenschaft wurde, anscheinend wegen der wirtschaftlichen Interessen, verraten. Und es wurden Dinge über den Test behauptet und dargestellt, die gar nicht stimmten. Das ist meiner Meinung nach ein ganz schlimmer Fall von Korruption.

Sehen Sie einen strafrechtlichen Verstoß?

Wodarg: Korruption ist kein Begriff aus dem Strafrecht, sondern aus dem Moralisch-Ethischen. Das hat zunächst einmal nichts damit zu tun, ob es strafbar ist oder nicht. Das müssen Gerichte klären. Aber in unseren Augen ist es mit Sicherheit Korruption.

Universitäts-Ausgründungen in Form von Start-ups sind in Deutschland politisch erwünscht.

Wodarg: Wir beobachten in der Tat auf der institutionellen Ebene zahlreiche Fehlanreize. Universitäten werden dafür belohnt, wenn sie der Industrie viel liefern. Wenn Professoren viele Drittmittel anwerben, haben sie gute Karrierechancen. Und Wissenschaftlern werden Geld und Beteiligungen vonseiten der Wirtschaft angeboten, weil man sich Patente und Produkte erhofft, die man dann vermarkten kann.

Was stört Sie daran?

Wodarg: Solche Fehlentwicklungen können zu großen gesellschaftlichen Schäden führen. Es gibt mittlerweile Investitionsspezialisten, die um die Universitäten kreisen wie die Geier. Auch das Risikokapital versucht zu investieren, es ist die reinste Spielhölle. Wird es fündig, wird der Eindruck erweckt, dass etwas ganz groß rauskommen wird, man bringt es an die Börse, kauft und profitiert vom Hype - auch im Fall des Heidelberger Bluttests gibt es ja Anzeichen für Insiderhandel. Es werden also wissenschaftliche Wellen erzeugt, auf denen man kurz reiten kann, die der Gesellschaft aber rein gar nichts bringen. Doch eigentlich müsste die Politik ein Interesse daran haben, dass Forschungsergebnisse auch verlässlich sind.

Was schlagen Sie vor?

Wodarg: Die Hochschulverwaltung darf nicht in Geschäfte verwickelt sein. Sie muss gut dafür bezahlt werden, dass sie ihre Pflicht tut. Dafür ist sie da. Wenn sie aber gleichzeitig dafür sorgen muss, dass Geschäfte gemacht werden, dann ist das ein Konstruktionsfehler. An der Spitze müssen Hüter der Wissenschaft sitzen. Und diese müssen von Fremdinteressen unabhängig sein, gut bezahlt werden und darauf achten, dass alles, was dort geschieht, transparent geschieht.

Das Interview wurde telefonisch geführt und Wolfgang Wodarg vor der Veröffentlichung vorgelegt.

Hintergrund

Der Bluttest zur Früherkennung von Brustkrebs war im Februar zeitgleich auf einem Kongress, durch eine Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg und ein Interview mit dem Chef der Universitätsfrauenklinik Christof Sohn in der „Bild“-Zeitung präsentiert worden. Dabei wurde er als „Meilenstein“ angepriesen und „marktreif“ genannt.

Mehrere Fachgesellschaften übten scharfe Kritik an der Vorgehensweise. Sie kritisierten unter anderem, dass Frauen verfrüht Hoffnung gemacht worden sei. Die Uniklinik distanzierte sich einen Monat später von ihrer Pressemitteilung.

Die Vermarktung des Tests wurde über die Technology Transfer Heidelberg (TTH), eine Tochterfirma der Uniklinik Heidelberg, in die Wege geleitet. Dazu wurde dann 2017 das Start-up Heiscreen gegründet, das auch die umstrittene PR-Kampagne organisiert hat.

Die TTH hält rund 48,6 Prozent der Anteile an Heiscreen. Beteiligt sind außerdem Investor Jürgen Harder über seine Firma Mammascreen (39,2 Prozent), der Leiter der Uni-Frauenklinik Christof Sohn (4,9 Prozent) und Oberärztin Sarah Schott (rund 7,3 Prozent). mad

Wolfgang Wodarg

Der Mediziner und Hochschullehrer Wolfgang Wodarg (72) ist Vorstandsmitglied bei Transparency International Deutschland in Berlin.

Von 1994 bis 2009 saß er für die SPD im Bundestag und war Gründer sowie Sprecher der Enquetekommission Ethik und Recht der modernen Medizin.

Transparency International setzt sich als Nichtregierungsorganisation weltweit gegen Korruption ein. mad

 

Hintergrund

Der Bluttest zur Früherkennung von Brustkrebs war im Februar zeitgleich auf einem Kongress, durch eine Pressemitteilung des Universitätsklinikums Heidelberg und ein Interview mit dem Chef der Universitätsfrauenklinik Christof Sohn in der „Bild“-Zeitung präsentiert worden. Dabei wurde er als „Meilenstein“ angepriesen und „marktreif“ genannt.

Mehrere Fachgesellschaften übten scharfe Kritik an der Vorgehensweise. Sie kritisierten unter anderem, dass Frauen verfrüht Hoffnung gemacht worden sei. Die Uniklinik distanzierte sich einen Monat später von ihrer Pressemitteilung.

Die Vermarktung des Tests wurde über die Technology Transfer Heidelberg (TTH), eine Tochterfirma der Uniklinik Heidelberg, in die Wege geleitet. Dazu wurde dann 2017 das Start-up Heiscreen gegründet, das auch die umstrittene PR-Kampagne organisiert hat.

Die TTH hält rund 48,6 Prozent der Anteile an Heiscreen. Beteiligt sind außerdem Investor Jürgen Harder über seine Firma Mammascreen (39,2 Prozent), der Leiter der Uni-Frauenklinik Christof Sohn (4,9 Prozent) und Oberärztin Sarah Schott (rund 7,3 Prozent). mad

 

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen