Psychologie - Höhenangst kann auch beim Wandern auftreten / Überforderung ist eine häufige Ursache, weiß Coach Reinhardt

"Angst vor dem tiefen Sturz"

Von 
Lara Feder
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"Der Berg ruft": Bei manchen löst das zitternde Knie aus. Höhenangst kann man aber Meter für Meter überwinden - und dann den Ausblick genießen.

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Mannheim. Weiche Knie und feuchte Hände - damit rechnet man wohl eher auf dem Kirchturm. Doch Höhenangst kann einem auch beim Wandern oder Skifahren zu schaffen machen. Sport-Mentalcoach Frank-Uwe Reinhardt erklärt, wie man die Angst überwinden kann.

Warum macht Höhe manchen Menschen denn Angst?

Frank-Uwe Reinhardt: Höhenangst entsteht, wenn die Augen keine festen Punkte mehr zum Fixieren haben. Dann tritt der Höhenschwindel auf. Das kann überall passieren: wenn man auf einen Stuhl steigt, auf einem Kirchturm ist oder beim Wandern. Viele Menschen haben am Berg zudem Angst, zu fallen und in die Tiefe zu stürzen.

Was genau ist überhaupt Höhenschwindel?

Reinhardt: Der kann im Prinzip auch schon auf dem Boden entstehen: Wenn Sie sich auf eine freie Fläche stellen, in den Himmel schauen und rechts und links nichts mehr ist, an dem sich das Auge festhalten kann, fängt man an zu schwanken. Das ist Höhenschwindel.

Beim Wandern sind doch häufig Bäume da, an denen sich das Auge festhalten kann. Warum tritt die Angst trotzdem auf?

Reinhardt: Beim Wandern ist die Angst vor der Angst die häufigste Erscheinungsform: Angst vor dem Stürzen. Die Ursache dafür kann sehr vielfältig sein. Wer sich zum Beispiel körperlich überfordert, wird schwach: Die Beine zittern, man schwitzt und fühlt sich deshalb unsicher. Aber auch frühere schlechte Erlebnisse oder ein allgemein hohes Stresslevel spielen eine Rolle.

Wie zeigt sich Angst?

Reinhardt: Angst ist eine Form von Stress. Und der baut sich langsam auf. Die erste Phase, Unsicherheit, kennt vermutlich jeder: leicht veränderte Atmung, verzögerter Bewegungsablauf. Man schreitet nicht mehr so forsch und zügig voran, sondern tastet sich nur noch langsam vor. In Phase zwei der Höhenangst verändert sich die Atmung deutlich, die Herzfrequenz steigt an, die Bewegungen werden sichtlich unsicher. Aber aus beiden Phasen kommt man recht gut noch raus.

Und Phase drei?

Reinhardt: Nach und nach schalten sich Bereiche im Gehirn ab, dann irgendwann übernimmt das Stammhirn - und das kennt nur Flucht, Angriff oder Totstellen. Zum Schluss kommt der totale innere Rückzug in die Panik. Frühe Anzeichen zu erkennen ist also wichtig, um die Angst aufzuhalten.

Wie stoppt man den Prozess?

Reinhardt: Indem man eine kurze Pause macht, die Atmung bewusst kontrolliert: tief und konzentriert atmet. Verkrampfungen lassen sich lösen, indem man sich die Körperhaltung bewusst macht. Bei Angst zieht man sich zusammen, durch mentale Techniken kann man sich aber wieder aufrichten. Dabei ist es egal, ob es sich um Höhenangst auf einem Berg oder einem Kirchturm handelt.

Was ist besser: bewusst in die Tiefe schauen oder gerade nicht?

Reinhardt: Beim Wandern sollten Menschen mit Höhenangst eher nicht in die Tiefe schauen. Stattdessen den Weg oder den Vordermann ins Visier nehmen. Hilfreich ist auch, das hohe Gras am Wegrand oder die Felswand zu berühren, das gibt Halt.

Wanderer erklimmen meist wegen der Aussicht den Gipfel ...

Reinhardt: Wer schon so weit ist, dass er den Gipfel erreicht, sollte sich dann hinsetzen. Das verhindert das Schwanken. Den Blick sollte man aber ganz behutsam Richtung Tal wandern lassen - erst nach links und recht und dann langsam nach unten.

Sich an Höhe zu gewöhnen, ist also ein langsamer Prozess?

Reinhardt: Ja, es ist ein Anpassungsprozess - beim Sport kann man ja auch nicht sofort mit einem Marathon anfangen, sondern muss sich die Ausdauer erarbeiten. Wie lange es dauert, seine Höhenangst zu überwinden, ist sehr individuell. Man sollte es aber keinesfalls mit der Holzhammer-Methode erzwingen, sondern in seinem eigenen Tempo Meter für Meter erklimmen.

Ist es das Ziel einer Therapie, entspannt auf dem Gipfel zu sitzen?

Reinhardt: Genuss an der Aussicht und damit an der Höhe beim Wandern, ist das Ziel. Das muss nicht immer der Gipfel sein. Wichtig ist, mit Freude und Spaß wandern zu können - und nicht mit Qualen.

Weitere Informationen

Zur Person

Frank-Uwe Reinhardt ist 56 Jahre alt.

Er ist zertifizierter Sport-Mentalcoach und Reactiv-Walking Trainer.

Seit vielen Jahren ist er unterwegs im Harz und Elbsandstein, seit Mitte der 90er auch in den Alpen.

Schon früh hat er die Liebe zur Natur und zu den Bergen entdeckt - die möchte er an andere weitergeben.

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