Feminismusliteratur

Wie Virginie Despentes wieder auf Sex, Porno, Prostitution setzt

In ihrem neuen Roman "Liebes Arschloch" bleibt die französische Ex-Prostituierte und Feministin rigoros und unverblümt: Wieder geht es um Sex, Drogen und die Niedertracht des Mannes

Von 
Roland Mischke
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Die  französische Autorin Virginie Despentes hat ihren neuen Roman "Liebes Arschloch" vorgelegt. © Juan Carlos Hidalgo/dpa

Der alternde Schriftsteller Oscar Jayack lästert über die Schauspielerin Rebecca Latté, die ihre Fünfzigerjahre überschritten hat. Sie sei einst ein Traum junger Franzosen gewesen, inzwischen sei sie eine „verlebte Schlampe“, ihre große Zeit sei einfach vorbei. Was als Beleidigung erscheint, hat Gründe. In Wahrheit will er der frühen Jugendfreundin noch mal die Ehre erweisen und für sie einen Theatermonolog verfassen. Aber die Schauspielerin attackiert ihn im Mailwechsel heftig: „Ich hoffe jetzt nur, dass deine Kinder von einem Lastwagen überfahren werden und du ihren Todeskampf mitansehen musst, und ihnen die Augen aus den Höhlen spritzen und ihre Schmerzensschreie dich jeden Abend verfolgen.“ Die zeigt, dass zwischen den beiden noch einiges zu klären wäre.

Kampf gegen die Reichen

Abgerockte Außenseiter mag Virginie Despentes (53), sie schreibt über sie und ist damit eine der in Frankreich bekanntesten Schriftstellerinnen. Im neuen Buch fetzen sich die Schauspielerin und der Schriftsteller, da gibt es ordentlich Krach. Es geht um #MeToo, Feminismus, soziale Medien und andere Reizthemen. Rebecca schreibt Oscar mit „Liebes Arschloch“ an, immerhin lieb. Der Mail-Wechsel wird weitergeführt, wir sind in der Corona-Zeit in der Phase der Ausgangssperren.

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Virginie Despentes war um ihre zwanzig herum, in den Achtzigern, eine Frau, die bekannt war für Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll. Es sei ihre beste Zeit gewesen, sagt sie, es gab noch kein Internet und nur wenige Neoliberale. Ab dem Jahr 2000 habe sich alles radikal verändert. Die Tochter von Angestellten der Post waren überaus an Politik interessiert und gewerkschaftlich unterwegs. Virginie wurde Plattenverkäuferin, Prostituierte und Pornodarstellerin, bekämpfte die Reichen, zu denen Präsident Macron als Vorreiter gehört. Sie erinnert sich, dass es damals noch Schulen und Universitäten für die Mittelklasse gab, Krankenhäuser und Zahnärzte, die für ihre Behandlungen nicht obszöne Rechnungen stellten. Sie wehrt sich als Netz-Feministin gegen die Reichenpolitik, rechnet mit Männern ab.

Es geht vor allem um Drogen

Zwar werden Männer abgewatscht, aber sie dürfen auch Zwischentöne einbringen. Das männliche Wesen ist nicht mehr apokalyptisch, auf die Beschreibung körperlicher Gewaltexzesse beim Sex wie in ihren früheren Werken verzichtet die Autorin. Allerdings wird der Schriftsteller Oscar an den Pranger gestellt, dafür sorgt eine Frau namens Zoé Katana, Verlagsassistentin, die Influencerin geworden ist und ihren hunderttausend Followern erklärt, was einer wie Oscar ist. Ein Monster, der unter Dauerbeschuss gehört, weil er in die lange Reihe der Vergewaltiger gehört. „Die Weiblichkeit ist ein Gefängnis, und wir kriegen lebenslänglich“, schimpft die Wütende. Was genau mit Vergewaltigung gemeint ist, bleibt unklar.

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Neben Kämpfen um Gerechtigkeit und Geschlechtergleichheit geht es der Autorin auch um Drogen. Sie selbst sagt, Drogen seien „das Herz des Buches“. Da sind Selbsthilfegruppen, in denen sich Betroffene gegenseitig unterstützen, es geht darum, aus der Sucht herauszukommen. Das ist neu bei Despentes, das wirkt brav - sie ist nicht mehr grundsätzlich eine Provokateurin. Ihren Oscar, den Missbrauchstäter und Alkoholiker, lässt sie aus seinem toxischen Leben herausfinden, indem er seine Kinder liebt und sich um sie kümmert.

Von der Underground-Autorin zur Hilfe und Enthaltsamkeit für Süchtige, das ist eine Wende. Virginie Despentes will nicht mehr bei der Beerdigung von guten Freunden dabei sein und sie beweinen. Sie hat ihr Leben geändert, lebt heute mit einer Frau und bereitet sich auf den endgültigen Altersfrieden vor.

Despentes: Liebes Arschloch. KiWi. 332 Seiten, 24 Euro.

Freier Autor

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