Literatur

Über das Abwesende und die Poesie

Raoul Schrott schreibt in „Inventur des Sommers“ über sich und die Welt, Butch Cassidy und Kim Basinger

Von 
Georg Patzer
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Raoul Schrott legt mit seiner „Inventur des Sommers“ eine hochgelehrte, anregende Mischung aus Poesie und Essay vor. © Frank May/dpa

Es gibt die Dinge, Geschriebenes und Gesagtes. Aber es gibt auch das Abwesende, das Nichtseiende, die Lücke: „zu allem geschriebenen und gesagten gehört auch ungedachtes, ohne dass es deshalb ursprünglicher wäre als das durchdachte“, schreibt der Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Dichter Raoul Schrott in seinem neuen Buch, „vergessenes bleibt nicht immer irgendeiner tiefe wegen verborgen, es muss weder das schwierigste noch das naheliegend einfachste sein. was solcherart abwesend bleibt, stellt bloss den zwangsläufig vom denken geworfenen schatten dar.“

Zu einem Ganzen verbunden

Er macht sich auf eine Reise nach Griechenland, aber vor allem durch seinen eigenen Kopf, erforscht sich und die Welt mit Gedichten, Gedanken, Erklärungen und Notizen und schreibt mit seiner „Inventur des Sommers“ eine hochgelehrte, anregende Mischung aus Poesie und Essay, immer wieder unterbrochen und als Stückwerk liegengelassen und doch zu einem Ganzen verbunden.

In seinen Gedichten macht er sich auf die Suche nach Butch Cassidy und Sundance Kid, die in Bolivien verschwunden sind, und fährt mit Kim Basinger nach Anatolien, trifft Cameron Diaz bei einem Picknick in Kappadokien, Carlos Gardel und Leonora Carrington.

So streift er durch die griechische Mythologie, Popkultur und Geschichte, begegnet Meerjungfrauen, ruft die Musen und sitzt auf einem Steinsockel im Kaukasus, wo er über Prometheus nachdenkt.

Wie Klaus Theweleit hat er keine Angst vor ungeahnten Verbindungen: merkt an, dass „,gleich’ und ‚leiche’ auf dieselbe gotische bezeichnung für ‚körper’ zurückgehen, denn es ist ja so, dass eine leiche dem zuvor lebendigen körper auf dieselbe weise ähnelt, wie ‚gleich’ die ähnlichkeiten von rein äusserlichem aufzeigt.“ Mit seinen Gedankengedichten kreist Raoul Schrott immer wieder um das Absente und um die Rolle der Poesie beim Zurückholen des Verlorengegangen. Und feiert die lyrischen Momente dieses Lebens.

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