Staunend legt man am Ende das Buch zur Seite, in dem der Autor Jan Turovski virtuos auf der Klaviatur der Gefühle eines Mannes spielt, der getrieben ist von der Sehnsucht nach Liebe. In seinem Roman „Die Frau aus dem Plakat“, erschienen in der Mannheimer Edition Andiamo, feiert er noch einmal die überwältigende Leidenschaft, Thema vieler seiner vorangegangenen Romane. Auf der Suche nach der perfekten Frau, einer Frau „aus Träumen für die Wirklichkeit“, verharrt der Protagonist, der 44-jährige Feuilleton-Chef einer großen Tageszeitung, Alexander Bernstein, wie gebannt vor einer farbigen Riesenreklame. Und es scheint ihm, dass die dort abgebildete Frau alles hat, was er an anderen vermisst: „Nie habe er einen derartigen Mund, solche Augen gesehen, eine solch wilde Seele, die die Hände nach ihm streckte.“ Sie heißt Mandy M., ist Schauspielerin und ihr Gesicht scheint zu sagen, dass sie vieles über ihn wisse.
Und indem er ihre Signale zu entschlüsseln versucht, kreuzen von Kapitel zu Kapitel weitere Frauen seinen Weg: Melissa, seine langjährige Partnerin, von der er sich getrennt hatte, weil er „ihr Reden nicht mehr ertrug“, Viola van Campe, die 22-jährige Volontärin, in die er sich verliebte, oder Virginia aus dem „Paradise Island“, einem Supermarkt am Weg. Sein Alltag ist von Frauen beherrscht, von realen und solchen, von denen er träumt, dass sie „ihn lieben würden, heftig, endgültig“ und die schließlich zu der Frau an sich verschmelzen. Wer die Biografie des Autors kennt, weiß, dass Turovski zwar in Bielefeld geboren ist und in Bad Godesberg bei Bonn lebt, sich aber längere Zeit in den USA, in London, Paris oder Siena aufhielt. Diese Lebenserfahrung speist er ein in die Handlung. Bernstein besucht seinen Freund Ned in Chicago, in Idaho begibt er sich auf die Spuren der Schauspielerin Mandy M., „die er in sein Leben holen will“. In Siena kommt wieder „seine verschüttete Jugend“ ans Licht.
Liebesroman, der in keine Schublade passt
Mit „Die Frau aus dem Plakat“ legt Jan Turovski einen Liebesroman vor, der in keine Schublade passt. Er besitzt keine durchgängige Handlung und ist trotzdem von großer erzählerischer Spannkraft. In den kurzen amourösen Szenen verschränken sich Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, Realität und Traum, dabei mangelt es nicht an Meditation über das Leben, die Liebe, die Kunst und Musik. Sprachlich riskiert der Autor stets ungewöhnliche Bilder, wobei er jeden Gefühlskitsch und jede Stereotypie meidet. Zum Schluss bleibt offen: Was ist nun realer: Erlebtes oder Imaginiertes? Gewiss aber ist, dass in der Literatur die Realität immer nur ein subjektiver Blick auf die Welt ist.
Turovski: „Die Frau aus dem Plakat“. Andiamo, 304 Seiten 14,50 Euro.
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