Was für ein Leben! Sie badeten geradezu in Skandalen, dabei kamen sie aus anerkannten Familien: Der Vater von Mary und Stiefvater von Claire Clairmont, William Godwin, war ein bekannter Autor und Philosoph, der allerdings als Begründer des politischen Anarchismus gesellschaftlich aneckte. Marys Mutter war die Schriftstellerin Mary Wollstonecraft, die mit „Verteidigung der Rechte der Frau“ eines der ersten feministischen Bücher schrieb; Percy Bysshe Shelley war der Sohn eines reichen Adeligen, George Byron gar Baron und der berühmteste englische Autor seiner Zeit.
Aber die Liebe wirbelt ihr Leben durcheinander: Mary und Percy Shelley verlieben sich 1814, als sie 17 Jahre alt und er noch verheiratet ist, und sie geben ihrer Leidenschaft nach. Und auch Claire, ihre Stiefschwester, verliebt sich erst in Shelley, später in Byron, dem sie sich durch ständige Briefe aufdrängt, bis der nachgibt und mit ihr eine Affäre beginnt: Geliebt hat er sie nie, das weiß sie auch, aber sie hofft.
Um der gesellschaftlichen Ächtung in London zu entkommen, fliehen Mary, Claire und Shelley auf den Kontinent, 1814 für ein halbes Jahr, dann 1816 noch einmal. Am Genfer See treffen sie Byron und seinen Leibarzt John Polidori, und es kommt zu einer folgenschweren Nacht, nach der Polidori die erste Vampirgeschichte der westlichen Literatur schreibt und Mary Shelley den Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“.
Enger Fokus, exaltierter Stil
Der Karlsruher Autor Markus Orths hat jetzt einen historischen Roman über dieses damals berüchtigte Vierergespann geschrieben, in dem er den Fokus über lange Strecken fast gänzlich auf ihr exaltiertes Liebesleben legt. Nun mögen viele Leser keine Romane um historische Figuren: Zu behaupten, was wer wann dachte oder wer wen wann küsste, halten sie für unsinnig und greifen lieber zu wissenschaftlich belegten Biografien. Auch Orths denkt sich viele solcher Details aus, benutzt und zitiert andererseits Originalquellen, als Gedanken und Gefühlsausbrüche seiner Heldinnen, aus deren Perspektive er schreibt. Zu spüren ist, wie sehr sich Orths in sie hineinversetzt, wenn er über Liebe, Sehnsucht, den Tod der Kinder und dunkle Phantasien schreibt.
Problematisch ist der Roman, weil Orths stilistisch zu wenig variiert, über weite Strecken im romantisch exaltierten und oft manierierten Stil schreibt, der dann doch bald auf die Nerven geht. Und auch der etwas enge Fokus auf das überspannte und rauschhafte Gefühlsleben ist nicht immer erträglich. Sogar Orths’ zweites, sehr interessantes Thema, die überlebenswichtige Rolle der Literatur, die er fast hymnisch feiert, ist in Gefahr, dabei unterzugehen.
Erst am Ende weitet sich das ein wenig, wenn man etwas über Mary Wollstonecrafts Feminismus und den Frankenstein-Roman erfährt, als Mary Shelley mit den vielen Toten spricht, die sie überlebt hat. Leider aber fühlt sich dieser etwas kühler geschriebene Teil an wie künstlich angefügt.
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