In seinem jüngsten Buch „Das rote Bonbon“ erweist sich der Schriftsteller Jan Turovski auch als Meister der kurzen Prosa. Neben den mehr als fünfzehn veröffentlichten Romanen hat er seine literarischen Möglichkeiten auch in diesem Genre ausgelotet. Insbesondere ist es aber das Interesse am „Wunder des Gewöhnlichen“, das er in den kurzen und sehr kurzen Geschichten mit der Aura des Besonderen auflädt.
Sie entwerfen, surreal und sinnlich, ein komplexes Panorama des Alltags menschlichen Zusammenlebens, insbesondere von Mann und Frau, und erkunden es aus verschiedensten Perspektiven.
Jede einzelne dieser Short-Stories steht zwar für sich, doch durch Motive, darunter Scheitern, Zweifel, Verunsicherung oder Normverletzung, sind sie wie durch unsichtbar angelegte Gefäße miteinander verbunden. Exemplarisch steht dafür die Titelgeschichte „Das rote Bonbon“, wo mitten in einer Dose, in der gelbe Bonbons „in Puderzucker ruhen“, ein einziges in Rot eingebettet ist. „Es sah so aus, als habe jemand in der Fabrikfertigung eine kleine subversive Handarbeit geleistet…“ Dem Rätsel der Figuren, egal ob es ein Ich-Erzähler oder eine Ich-Erzählerin ist, ein Mann, der Stephan heißt, oder eine Frau namens Sabrina, spürt der Autor mit Ironie, manchmal auch mit Humor oder gar Häme nach.
Der Käfig der Beziehung
Einsam, sexsüchtig, sind die Helden stets bemüht, auf die eine oder andere Art, eine Beziehung einzugehen oder dem Käfig einer Beziehung zu entrinnen. Auch in den kürzesten Texten wie „Angenommen“ oder „Kubus“ spiegeln sich ganze Lebensdramen wider, in die der Leser wie in einem schlängelnden Fluss von Worten und Deutungen einsteigt.
Geschichten von Einsamkeit, wie die des Krankenpflegers in „Kim“ oder der Kindergärtnerin in „Frau Marks“, zielen mitten ins Herz der Gegenwart – ebenso wie der Text „Die Lesung“, wo eben dann das Handy des lesenden Autors klingelt, als er „die letzte Zeile des ersten Gedichts vor gut achtzig Zuhörern geschickt nachklingen ließ“.
Damit nicht genug, es klingelte auch nach dem neunten von siebenundzwanzig Gedichten und auch dann, als er es ausschaltete. Handeln die Protagonisten nach ihrem freien Willen? Sind sie gesteuert und werden zum Spielball des Schicksals? Die Antwort müssen die Leser selbst herausfinden.
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