London. Aus den „Kingsman“-Actionabenteuern kennt der Kinofan die Savile Row, jene Straße im Londoner Nobelstadtteil Mayfair wo sich im späten 18. Jahrhundert zahlreiche Schneiderbetriebe niedergelassen haben. Bond, James Bond, hat sich hier eingekleidet, der ehemalige Premierminister Winston Churchill oder die Erfolgsautoren Charles Dickens und Ian Fleming. Das Dinner Jacket soll hier von einem gewissen Henry Poole „erfunden“ worden sein, alle Stücke entstehen in Handarbeit, beste Qualität – bei höchsten Preisen – ist selbstverständlich.
Dieser altehrwürdigen Zunft entstammt Leonard (Mark Rylance), der nach einer persönlichen Tragödie von der Themse-Metropole nach Chicago übergesiedelt ist. In der „windy city“ hat er sich niedergelassen, fertigt im Jahr 1956 mit unendlicher Geduld und Präzision maßgeschneiderte Anzüge. Zu den Kunden, die sich seinen edlen Zwirn leisten können, zählt ein mächtiger Mafia-Klan. Diskret verhält er sich gegenüber den von Roy Boyle (Simon Russell Beale) geführten Verbrechern, ignoriert die Gespräche, sie sie in seinem Laden führen, interessiert sich nicht für die Pakete, die sie dort zur Abholung hinterlegen.
Immer dreister agieren die Gangster, nutzen Leonards sanfte, zuvorkommende Art aus. Eines Nachts kulminieren die Ereignisse, als Roys schwer verletzter Sohn Richie (Dylan O’Brien) und der Killer Francis (Johnny Flynn) nach einer Schießerei mit der Konkurrenz in seinem Geschäft Unterschlupf suchen. In ihrem Besitz befindet sich eine Tonbandaufnahme, mit deren Hilfe ein Informant innerhalb ihrer Reihen enttarnt werden soll. Plötzlich sehen sich der Herrenausstatter und seine tüchtige Angestellte Mable (Zoey Deutch) in blutige Machenschaften verstrickt.
Der beliebte Spion
- Als Agent in „Bridge of Spies - Der Unterhändler“ bzw. Lordprotektor Cromwell der TV-Serie „Wölfe“ ist Mark Rylance zum Star avanciert. Als einer der größten Theaterschauspieler seiner Generation – in über 50 Bühneninszenierungen wirkte er bereits mit – gilt der 1960 in Ashford, Kent, geborene Brite, bis dato wurde er mit einem Oscar, drei Tony Awards, zwei Olivier Awards sowie drei BAFTA Awards prämiert.
- 1962 wanderte er mit Familie in die USA aus, 1978 kehrte er in seine Heimat zurück. Nach der Ausbildung an der Royal Academy of Dramatic Arts trat er 1980 am Glasgow Citizens Theatre auf. Der Beginn einer steilen Bühnenkarriere, in deren Verlauf er von 1995 bis 2005 als künstlerischer Leiter des Londoner Globe Theatre fungierte. Seit den 1990ern ist Rylance beim Fernsehen und im Kino gefragt.
Entschleunigung ist angesagt
Auf der wahren Geschichte, dass das FBI in den 1950er-Jahren erstmals eine sogenannte Wanze bei einem unbescholtenen Schneider installiert haben soll, fußt die Grundidee zum Drehbuch von „The Outfit“. Auf die Story stieß Graham Moore bei der Arbeit zu seinem Erstlingsskript zu „The Imitation Game: Ein streng geheimes Leben“, für das er gleich einen Oscar gewann. Die Eckpunkte dieser Geschichte hat er nun in seinem Regiedebüt verwoben, den Titel dazu klug gewählt. Doppeldeutig ist er, steht er gleichzeitig für Kleidung wie für Gruppe – in diesem Fall eine weit verzweigte Unterweltorganisation.
Ein Kriminaldrama. Aber eines das sich gängigen Konventionen verweigert. Entschleunigung ist angesagt, Konzentration auf einen Raum. Man muss sich für dieses Kammerspiel Zeit nehmen, wie auf ein Theaterstück einlassen. Zunächst erklärt der unscheinbare Protagonist – er fungiert gleichzeitig als Erzähler – sein Handwerk. Erläutern die Schritte, die es braucht, um den perfekten Anzug herzustellen. Und besonderen Wert legt er darauf, „cutter“, also „Maßschneider“, nicht „tailor“, sprich „Schneider“, genannt zu werden.
Um Feinheiten geht es, um Nuancen. Um Blicke und Bewegungen. Es dauert nicht lange, bis einem dämmert, dass dieser Mann mit der sanften, leisen Stimme einen ganz eigenen Plan verfolgt. Suspense ist angesagt. Doch anders als bei Alfred Hitchcock ist der vermeintlich naive Held kein zufälliges Opfer, sondern maßgeblicher Akteur. Immer verzwickter wird die Lage, Mitglieder verfeindeter Gangs tauchen auf, zu Handgreiflichkeiten und tödlichen Schießereien kommt es.
Getragen wird die gegen den Strich gebürstete Genrearbeit von Rylance („Bridge of Spies – Der Unterhändler“), der seine langjährige Bühnenerfahrung unter Beweis stellt. Großartig die Momente, in denen er den von Beale („Jahrmarkt der Eitelkeiten“) wuchtig verkörperten Paten das Unschuldslamm vorspielt, während dieser ihn misstrauisch beäugt. Nur um dann gegenüber Mable, patent und sexy von Deutch („Zombieland 2: Doppelt hält besser“) angelegt, den souverän Chef zu geben. Eher stereotyp legen O’Brien als großmäuliger Ganovenboss in spe und Flynn als psychopathischer Killer ihre Parts an.
Die Enge des Schauplatzes – die Schneiderei wird erst final verlassen – weiß Dick Pope („Mr. Turner – Meister des Lichts“) perfekt zu nutzen. Einfach, mit minimalen Kamerabewegungen löst er die Szenen auf, setzt auf gedämpftes, warmes Licht, das durch die vorherrschenden Braun- und Schwarztöne noch verstärkt wird. Klaustrophobie pur – stimmig untermalt vom eisigen Score des zweifachen Academy-Award-Preisträgers Alexandre Desplat („Shape of Water - Das Flüstern des Wassers“). Eine atmosphärische, clevere Neo-Noir-Variante, die trotz der etwas aufgesetzten Schlussvolte überzeugt. Vorausgesetzt man bringt die nötige Geduld mit.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/leben/gesehen-und-gehoert/kino_artikel,-kino-verbrechen-nach-mass-_arid,1957483.html