In einem syrischen Gefängnis setzt die Handlung ein. Zig Häftlinge sind in einer Zelle zusammengepfercht. Ihre Notdurft verrichten sie in Plastikflaschen. Sie schlafen auf dem verdreckten Fußboden. Unter den Gefangenen befindet sich Giwar (Emilio Sakraya), der bei Verhören stets nach seinem Gold gefragt wird. Er gibt vor, keins zu haben. Mit dem Ergebnis, dass ihm mit einer Zange sein Goldzahn gezogen wird ...
Ein Beginn, furios montiert, packend inszeniert. Dann geht es zurück in die Vergangenheit. Giwar fungiert als Erzähler, führt durchs Drama: „Ich bin schon als Kind im Gefängnis gewesen.“ Weil die Hajabis, vom Terror-Regime ihrer Heimat verfolgt, in den Irak geflohen waren, wo sie sich den kurdischen Widerstandskämpfern anschlossen und verhaftet wurden. Die Ausreise nach Europa gelingt. Nach einem Zwischenstopp in Paris landet die Familie in Bonn, wo der Vater, Eghbal Hajabi, ein berühmter Komponist und Dirigent, eine Anstellung an der Bonner Oper erhält. Gerade einmal drei Jahre ist Giwar da alt. Eine Odyssee hat er bereits hinter sich. Zig Länder, zig Städte. Kenntlich gemacht durch Texttafeln und unterschiedliche Bildformate, mal klassisches 4:3, dann ausladendes Cinemascope, virtuos gehandhabt von Kameramann Rainer Klausmann („Tschick“). Im neuen Zuhause angekommen, kehrt der Papa den Seinen für eine andere Frau den Rücken, dirigiert die Ouvertüre der Titel gebenden Wagner-Oper und gibt dem Sohn einen Satz mit auf den Weg, den der nie vergessen wird: „Es ist das Gold, das unsterblich macht, und wer es einmal hat, wird es nie wieder aus der Hand geben.“ Flucht, Vertreibung, Unterdrückung, Verlust der Identität. Eine Tragödie – wie bei „The Cut“, wo sich Filmemacher Fatih Akin mit dem Genozid an den Armeniern beschäftigt.
Im Mittelteil packender Thriller
Dann wechselt die Tonart. Initiation ist angesagt. Giwar (Illes Moutaoukkil) wächst heran, entdeckt seine Liebe zum Hip-Hop und zum schnellen Geld. Pornos werden auf VHS vervielfältigt und an Mitschüler verkauft. Noch mehr Umsatz bringt Rauschgift. Ob seiner Schlitzohrigkeit und Gewaltbereitschaft steigt der junge Mann schnell zum Großdealer auf – Gangster-Attitüde und Goldkette inklusive. Bis er eine Ladung flüssiges Kokain verliert und, um seine Schulden beim Kartell zu begleichen, einen Goldraub organisiert. Thriller, Heist Movie mit komödiantischen Momenten ist das Werk jetzt. Minutiös wird der Coup nachgezeichnet, ein Werttransporter nach sorgfältiger Ausspähung dilettantisch überfallen. 120 Kilogramm Gold im Wert von rund 1,7 Millionen Euro bringt das den Gaunern ein. Vom Großteil der Beute fehlt bis heute jede Spur. Zwei Jahre später werden die Täter nach ihrer Flucht über Moskau und den Nahen Osten gefasst und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Wieder einmal sitzt Giwar hinter Gittern. Eine neue Episode: die Wandlung vom Saulus zum Paulus – via Rap.
Schillernde Figuren
Atemlos, kurz, zu kurz fällt das letzte Kapitel aus. Mit der Decke über dem Kopf singt er auf einem eingeschmuggelten Rekorder seine Songs ein. Die Aufnahmen landen bei einem Produzenten (Dennis Moschitto), der das Album, das sich als Hit entpuppt, veröffentlicht. Happy End. „Staight Outta Bonn“ statt „Straight Outta Compton“. Am Pool der Villa mit Blick auf den Rhein sitzt Xatar mit Frau und Kind final. Zahlt sich Verbrechen doch aus?
Die Produktion fesselt durch Tempo, Abwechslungsreichtum und ihre schillernden Figuren. Gespannt folgt man der Handlung. Wartet atemlos darauf, was als Nächstes passieren wird. Und vergisst darüber, wie wenig man über das Innenleben des Protagonisten erfährt, darüber, was ihn letztendlich antreibt, Musik zu machen. Weniger Klischees hätten dieser gegen den Strich gebürsteten, hoch unterhaltsamen Erfolgsstory nicht geschadet.
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