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Die Mischung macht’s

Die Filmfestspiele in Cannes bieten mit Schwergewichten und kleineren Geschichten ein gelungenes Programm an. Eine Bilanz zur Halbzeit

Von 
Patrick Heidmann
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Zwei einsame Seelen: Alma Pöysti und Jussi Vatanen in einer Szene des Films „Falles Leaves“ von Aki Kaurismäki. © Festival de Cannes/Malla Hukkanen/Pandora Film/dpa

Was macht die Qualität eines gelungenen Festivalprogramms aus? Zur Halbzeit der Filmfestspiele in Cannes lässt sich festhalten, dass die Antwort einigermaßen simpel ist. Die Mischung macht’s, und diesbezüglich wissen die Filme an der Croisette durchaus zu überzeugen. So feierten etwa nach Schwergewichten wie dem außer Konkurrenz laufenden Scorsese oder Jonathan Glazers Holocaust-Drama „The Zone of Interest“ auch allerlei Geschichten Premiere, die kleiner und intimer, wenn auch nicht weniger dramatisch daherkamen.

Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner etwa erzählt in „Club Zero“ von Teenagern, die immer weniger essen wollen. Kein unbekanntes Phänomen, doch hier ist es eine Privatschul-Lehrerin (Mia Wasikowska) – zuständig für einen Kurs in „bewusster Ernährung“ –, die ihre Schüler subtil, aber zunehmend drängend dazu anstiftet. Hausner inszeniert diese erschütternde Geschichte höchst unterkühlt und visuell bis ins Kleinste durchkomponiert. Die daraus entstehende Künstlichkeit, die sich auch auf die Schauspiel-Leistungen auswirkt, verhindert allerdings auch eine empathische Annäherung.

Als deutlich zugänglicher erwies sich „Anatomie d’une chute“, der neue Film der Französin Justine Triet. Die hat nach „Sibyl“ erneut Sandra Hüller vor ihre Kamera geholt, dieses Mal für die Hauptrolle. Die Deutsche spielt eine Schriftstellerin in einem französischen Bergdorf, deren Mann nach einem Fenstersturz stirbt – und die schließlich als Verdächtige vor Gericht steht.

Facettenreiches Beziehungsdrama

Triet macht daraus weniger einen Thriller als ein genau beobachtetes und enorm facettenreiches Gerichts- und Beziehungsdrama. Mit nach „The Zone of Interest“ nun schon zwei Meisterleistungen im diesjährigen Wettbewerb, sollte Hüller womöglich drüber nachdenken, ihren Cannes-Aufenthalt noch bis zur Preisverleihung zu verlängern.

Konkurrenz macht ihr dabei Natalie Portman, die in „May December“ zu unerwartet großer Form aufläuft. Im Film von Todd Haynes verkörpert sie eine Schauspielerin, die jene Frau aufsucht, in deren Haut sie schlüpfen soll. Gracie (Julianne Moore) war einst in Haft, weil sie als 36-jährige ein Verhältnis mit dem 13-jährigen Joe (Charles Melton) hatte, dessen Kind sie hinter Gittern bekam. Das Paar ist noch immer verheiratet und gibt dem Fernsehstar nun Einblicke in seine Geschichte.

Geradezu leichte Kost ist da „Fallen Leaves“, der Film des Finnen Aki Kaurismäki. Das mit 80 Minuten erfrischend kurze Werk ist eine ebenso entzückende wie melancholische Liebesgeschichte. Ansa (Alma Pöysti) und Holappa (Jussi Vatanen) sind einsame Seelen in Helsinki, deren Zueinanderfinden immer wieder erschwert wird. Fast alles daran ist typisch Kaurismäki: von den schweigsamen Figuren bis zur charmanten Retro-Ausstattung. Nur dass die reale Tagespolitik in Form von Radiomeldungen zum Ukraine-Krieg Einzug hält, ist ungewohnt. Aber warum nicht. Für den einzelnen Film gilt schließlich das gleiche wie fürs ganze Festival: für eine ideale Mischung brauchte es vielfältige Zutaten.

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