Liebe ist manchmal wie eine Naturgewalt. Das Aufeinanderprallen zweier Menschen mit ihrer unterschiedlichen Körperlichkeit, Erfahrungswelt und Wesensart kann Energien von explosiver Kraft freisetzen. Gitarrist Claus Boesser-Ferrari und Sängerin Jutta Glaser zeigen das eindrucksvoll auf ihrem neuen Album „Return & Crossing“, auf dem sie Texte der 2021 verstorbenen Lyrikerin und Künstlerin Etel Adnan vertonen. Im Stück „Love Is A Forest“ erscheint die amouröse Verschmelzung als erschütternde Gefühldsdetonation: ein infernalischer Tumult aus Dröhnen, Krachen, Kreischen, Stöhnen.
Der Titel ist typisch für die Expressivität, mit der das Duo Texte der US-amerikanisch-libanesischen Autorin in Töne fasst. Dass dabei keine konventionellen Songs entstehen, sondern eher assoziative Sound-Kulissen und kühne Noise-Collagen, versteht sich bei dem Laudenbacher Freistil-Instrumentalisten und der experimentierfreudigen Vokalistin aus Nussloch von selbst. Die Zwei erschaffen eine Klangwelt, in der Geräuschhaftes und frei Improvisiertes weiten Raum einnehmen. Melodische Anwandlungen oder harmonisch Eingängiges ist meist nur von kurzer Dauer, auch wenn die Sehnsucht des Saiten-Virtuosen nach folkloristischer Romantik immer mal wieder überraschend zum Zuge kommt.
Klangwelten und Poesie
Das ist im Titelstück zu hören, einer freien Improvisation, bei der Boesser-Ferrari mit Rascheln, Rauschen, Ratschen einen schemenhaften Klangraum erschafft, der unversehens in eine Idylle mündet, die anmutet wie eine englische Folk-Weise – als wär’s ein unwirklicher Traum. Glaser, die ihre Stimme hier rein instrumental zum Einsatz bringt, reagiert – raunend, hauchend, flüsternd, schnaufend – auf kongeniale Weise. Diese Intensität des Zusammenspiels fördert die sensible, freiformale Umsetzung der Gedichte, die in sinnlicher Bildsprache mit vielen Natur-Metaphern die Hoffnungen und Enttäuschungen arabischer Freiheitsbestrebungen beschreiben.
In „The Sea Was Alone“ ist von einer „Revolution“ die Rede, von „Freude und Blut“, vom „Lärm eines Angreifers“. Glaser intoniert die Zeilen mit beschwörender Eindringlichkeit, wie eine archaische Tragödin, die von einer Katastrophe berichtet. Dann hebt sie zu einem flehentlichen wortlosen Klagegesang an, während der Gitarrist den Soundtrack dazu liefert, indem er die Saiten schmerzvoll dehnt, sein Instrument voller Wut schroff aufbrausen lässt und brennende Geräusch-Schlieren entfacht. Flamenco-artige Arabesken verweisen auf den Ort des Geschehens: die Mittelmeer-Region.
Ganz anders setzen beide „Mount Tamalpais“ in Szene: Die Musik konterkariert den düsteren Text über einen Schmetterling, der zum Sterben an den Berg kommt, dessen Schatten schließlich „das Geheimnis des Todes überdecken“. Dazu erklingt eine Art alpenländisches Volkslied, das mit Slide-Gitarre-Effekten verfremdet wird. Glaser jodelt (!) dazu entrückt wie in einem friedvollen Schweizer Bergfilm. Dass Sterben zur Natur des Lebens dazugehört - kann man es in Text und Ton sinnfälliger zum Ausdruck bringen? Ein durchweg starkes Album.
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