Musik

Betörende Nachtgedanken: So klingt das neue Album von Taylor Swift

Noch nie klang Taylor Swift so souverän und erwachsen wie auf dem neuen, von cooler Eleganz geprägten Album „Midnights“

Von 
Steffen Rüth
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Machte ein großes Geheimnis um ihr zehntes Album „Midnights“: Taylor Swift. © Universal Music

Vom Countrywunder zur Popqueen und Frauenrechtlerin

Die Erfolgreiche: Taylor Swift, geboren 1989 in Reading im US-Staat Pennsylvania, zählt mit rund 250 Millionen verkauften Tonträgern weltweit zu den erfolgreichsten Popkünstlerinnen aller Zeiten.

Der Country-Star: Ihre Karriere begann sie als Country-Sängerin. Ihr Debüt „Taylor Swift“ (2006) wurde mit Fünffach-Platin ausgezeichnet. Mit „1989“ wandte sie sich 2014 von der Country-Musik ab, hin zum Pop.

Die Engagierte: Swift hat sich durch politisches und gesellschaftskritisches Engagement einen Namen gemacht. Sie tritt für Frauenrechte und sexuelle Selbstbestimmung ein, engagiert sich aber auch für Bildungspolitik und gegen Rassismus.

Das Album: „Midnights“ gibt es seit Freitag, 21. Oktober, bei Republic (Universal Music). dms

„I have this thing where I get older but just never wiser“, lamentiert Taylor Swift in der Eröffnungszeile von „Anti-Hero“ mit durchaus leichtem Augenzwinkern, sie werde bloß älter, doch nicht klüger. Aber kann man das so stehenlassen? Nein. Man muss ihr vehement widersprechen. So erwachsen und dabei verspielt, so abgeklärt und dabei selbstironisch, so offen wie ein Buch und dabei lyrisch doch immer noch hinreichend kryptisch wie auf ihrem zehnten Studioalbum klang Taylor Swift noch nie. „Midnights“ ist das Werk einer gereiften Künstlerin, die sich mehr als je zuvor von dem Druck und den Erwartungen in ihrem Metier befreit hat.

Die kommerziell wohl erfolgreichste und sicher am intensivsten unter dem Brennglas einer promibesessenen Öffentlichkeit stehende Popsängerin und Songschreiberin hätte stilistisch ja überall hingehen können mit „Midnights“. Ende August kündigte die 32-Jährige das Album an, nach und nach verriet sie auf TikTok die einzelnen Songtitel und projizierte zuletzt verschiedene Textfragmente auf eine Handvoll Großstadtwände von Sao Paulo bis Nashville. Aber über den Sound von „Midnights“ konnte man nur spekulieren, was viele auch genüsslich taten. Alles blieb perfekt unter Verschluss, es gab keine Vorab-Single, nicht einmal ein paar Schnipsel.

Würde Taylor Swift also zurückkehren zum prallen Zuckerwattesound ihres 2019er-Albums „Lover“, würde sie an ihren Pandemieplattendoppelschlag mit den zauberhaften, von Aaron Dessner produzierten, Indiefolk-Alben „Folklore“ und „Evermore“ anknüpfen? Würde die auf dem Dorf in Pennsylvania großgewordene und heute über ein Vermögen von einer geschätzten halben Milliarde verfügende Swift gar noch einmal ihre Wurzeln besuchen, nachdem sie zuletzt neuaufgenommene Versionen ihrer früheren Alben „Fearless“ und „Red“ veröffentlichte, weil sie an den alten Originalen nicht die Rechte besaß?

Tatsächlich stellt sich „Midnights“ – auf dessen Cover Taylor Swift an den französischen 70ies-Look einer Françoise Hardy oder Jane Birkin erinnert – als weiterer überraschender Hakenschlag in dieser spektakulären, nun auch schon seit anderthalb Jahrzehnten währenden, Weltkarriere heraus. Das Album, soundlandschaftlich vielleicht ihrem ersten Popgroßwerk „1989“ (2014) am nächsten stehend, klingt bemerkenswert unaufdringlich, lässig, bisweilen gar beiläufig. Kein Bombast, keine Knalleffekte, kein Feuerwerk. Sondern wirklich schlaue, schlüssige, selbstbewusste Songs von einer Frau, die es – angesichts von Neidern, Frauenfeindlichkeit, Doppelmoral – auch nicht immer leicht hat, aber sich die Lust an ihrem Leben nicht länger nehmen lässt. Insbesondere die Liebe nimmt auf „Midnights“ ungewohnt breiten Raum ein. Seit sechs Jahren ist Swift nun mit dem englischen Schauspieler Joe Alwyn liiert, und das gemeinsame Glück schimmert deutlich durch. „Lavender Haze“, das von Beats und stimmverzerrenden Soundeffekten getragen wird, ist ein kraftvolles Bekenntnis für diese Beziehung trotz all der Negativität, mit der das Paar bombardiert wurde. Das verträumte, an Lorde erinnernde, „Maroon“ handelt, in typischer Taylor-Detailverliebtheit, vom Kennenlernen an einem Ausgehabend in New York. Der Song ist sowieso einer der besten der Platte, Swift wirkt hier wie eine gute Freundin, die einem Intimitäten aus ihrem Leben ins Ohr flüstert. Das am meisten an die „Folklore“-Phase erinnernde, fast akustische „Sweet Nothing“ schließlich haben Swift und Alwyn gar gemeinsam geschrieben.

Natürlich scheint auf „Midnights“ nicht nur die Sonne. Taylor Swift thematisiert auch ihre Ängste, ihre Unsicherheiten. Im eingangs erwähnten, soundtechnisch relativ kernigen „Anti-Hero“ bekennt sie: „Sometimes I feel that everyone is a sexy baby/ And I’m a monster on a hill“, im besonders introspektiven „You’re On Your Own, Kid“ reist Swift zurück in die einsamen Sehnsuchtssommer ihrer Adoleszenz, im finalen Stück „Mastermind“ beklagt sie sich, niemanden zum Spielen gehabt zu haben. Aber wo die Selbstzweifel sind, da wächst auch die Selbstbehauptung. An gleich mehreren Stellen tritt Taylor konservativen und antifeministischen Rollenvorstellungen in den Hintern.

Produziert hat Taylor Swift das Album erneut mit dem „Lover“-Kollaborateur Jack Antonoff, der auch Lorde und Lana Del Rey betreut. Der Sound ist grundsätzlich cool und anspruchsvoll, manchmal, wie auf dem an Billie Eilish erinnernden „Midnight Rain“ auch urban-bedrohlich-düster, hier und da wünscht man sich bei aller diesigen Subtilität und Souveränität vielleicht etwas weniger betörendes Dahinplätschern und etwas mehr von dem Biss, mit dem sie in „Karma“ (mutmaßlich) Ex-Freund Jake Gyllenhaal verspeist.

Doch trotz leichter Mängel ist „Midnights“ eines der charismatischsten und besten Popalben des Jahres. Niemand außer Taylor Swift weiß auch mit dem zehnten Album noch für eine kleine Sensation zu sorgen.

Freier Autor

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